Putsch-Technik:Plötzlich weiß Erdoğan iPhones zu schätzen

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Jener Mann, der nicht zögert, moderne Technik abschalten zu lassen, wenn er sich von Meinungen bedroht fühlt, wendet sich per Smartphone an sein Volk - ein immenser Vorteil gegenüber den Putschisten.

Von Johannes Boie

Wenn erst mal Soldaten in den Städten stehen, stellt sich die Machtfrage öffentlich. Die Frage zu stellen, ist der erste Schritt eines Putsches. Der zweite ist, sie beantworten zu können.

In fragilen Situationen wie diesen definiert sich Macht mehr noch als sonst über symbolische Handlungen und Kommunikation. Denn die Putschisten können nicht darauf hoffen, dass ihre Macht von einer anderen Instanz legitimiert wird.

Andere Nationen werden sich bestenfalls heraushalten, eine rasche Anerkennung ist jedenfalls nicht zu erwarten. Die reguläre Regierung verweigert die Anerkennung meist dauerhaft oder bekämpft die neuen Machthaber sogar.

In den heikelsten Momenten eines Putsches, eines Bürgerkriegs, einer Staatskrise, wenn die Lage unübersichtlich ist und Machtstrukturen brüchig sind, hat deshalb derjenige die Macht, der öffentlich erklären kann, dass er sie hat.

Am Freitagabend verkündete deshalb in der Türkei der putschende Teil des Militärs schon wenige Stunden, nachdem die Welt überhaupt von sichtbaren, aber schwer einzuschätzenden Unregelmäßigkeiten im Machtgefüge der Türkei erfahren hatte, die Macht "übernommen" zu haben.

Die Situation änderte sich, als Erdoğan auf dem Moderatorinnen-Handy erschien

Die Welt nahm diese Meldung zur Kenntnis, als die Nachrichtenagentur Reuters die Verkündung wenig später als Eilmeldung verbreitete. Da hatte die putschende Gruppe kurzzeitig die Meinungs- und Deutungshoheit gewonnen.

Die Situation verkehrte sich allerdings in ihr Gegenteil, als Stunden später Präsident Recep Tayyip Erdoğan beim Sender CNN Türk auf dem Handy einer Moderatorin erschien. Er rief über die Facetime-Funktion seines iPhones an, bei der nicht nur die Stimme, sondern auch ein Videobild des Anrufers übertragen wird.

Die Moderatorin hielt das Handy mit dem Bild des Präsident in die Kamera. So sprach Erdoğan zum Volk, jener Mann, der nicht zögert, moderne Technik abschalten zu lassen, wenn er sich von Meinungen bedroht fühlt, die dort verbreitet werden.

Wie froh wäre Gorbatschow gewesen, wenn er ein iPhone gehabt hätte?

Nun profitierte er von dieser Technik wie nie zuvor in seinem Leben. Viele Menschen hielten es zunächst für ein Zeichen der Schwäche, dass Erdoğan sich, auf Bildschirmgröße geschrumpft, buchstäblich in die Hände einer Journalistin begeben musste, um die Öffentlichkeit zu erreichen.

Ein öffentlicher Auftritt war Erdoğan in dieser Nacht nicht möglich, weil er offenbar bedroht wurde. Aber dank seines iPhones blieb sein Volk für ihn erreichbar.

Wie froh wäre 1991 der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow gewesen, wenn er in Foros auf der Krim ein iPhone gehabt hätte? Damals gab es die Technik nicht, und Gorbatschow musste, vom Sender zum Empfänger herabgestuft, an seinem Urlaubsort mit ansehen, wie seine putschenden Gegner und dann Boris Jelzin die mediale Bühne betraten.

Letzterer stand bei seiner berühmten Ansprache vor dem Parlament in Moskau nicht zufällig auf einem Panzer. Seine Botschaft lautete: Das Wort siegt über die Waffe, fußt aber auch darauf.

Schicksalhaft war auch die Fernsehansprache des spanischen Königs Juan Carlos I., mit der dieser 1981 einen Putsch beendete und die junge Demokratie rettete. Seinen Machtanspruch begründete Juan Carlos einerseits durch die Uniform des Oberbefehlshabers, aber auch historisch: "Die Krone als Symbol der Beständigkeit und Einheit des Vaterlandes kann keinesfalls Handlungen von Personen hinnehmen, die versuchen, durch den Einsatz von Gewalt den demokratischen Prozess zu stören."

Das saß. Die Soldaten rückten ab. Die türkischen Putschisten, Militärstrategen, hatten zentrale Stellen auf Landkarten markiert. Sie hatten Brücken besetzt und Helikopter aufsteigen lassen. Aber sie hatten den Medienwandel nicht bedacht. Sie besetzten zwar das Staatsfernsehen. Aber in der Türkei ist Social Media wichtig. Twitter war zwar zumindest in Istanbul am Abend des Putsches bald nicht mehr zu erreichen - und zwar weder mit mobiler Datenverbindung vom Handy aus noch über das DSL-Kabel, das seltener zensiert wird.

Aber Facebook Live-Videos und andere Social-Media-Dienste blieben online. So verbreiteten sich aus dem besetzten Sender Bilder von bewaffneten Soldaten in Redaktionen und gerade nicht, wie es noch vor zehn Jahren gekommen wäre und wie es wohl eben jene Soldaten auch geplant hatten, die ungestörten Botschaften der Militärs.

Schon während des arabischen Frühlings war die Angst vor der Unkontrollierbarkeit der neuen Medien spürbar: Während des Aufstands gegen Präsident Hosni Mubarak 2011 ließ Ägyptens Regierung Internet und Mobilfunk einfach abstellen.

Massenhaft verschickte SMS sind für einen autoritären Herrscher nicht mehr als ein Knopfdruck

In der Schicksalsnacht der Türkei waren Facebook-Videos, nebenbei bemerkt, auch für Zuschauer in aller Welt das Mittel der Wahl, um sich ein Bild von den Zuständen zu verschaffen. Das Fernsehen, insbesondere das deutsche, hinkte den Videostreams unbeholfen hinterher. Erdoğans Helfer ließen massenhaft SMS-Nachrichten verschicken, offenbar an sämtliche Bürger der Türkei: Sie sollten sich für ihren Präsidenten erheben.

Technisch ist das Vorgehen trivial, gerade in einem autoritären Land, dessen Regierung schon oft bewiesen hat, dass sie Zugriff auf die Telekommunikationskonzerne hat. Für diese sind massenhaft verschickte SMS an sämtliche Nutzer nicht mehr als ein Knopfdruck.

Massenhafte SMS zu verschicken, ist aber selbst in stabilen Ländern eine einfache Übung, zum Beispiel für Internetbetrüger. Zudem sind SMS in einem Land in Aufruhr hocheffektiv. Sie erreichen ihren Empfänger unabhängig von seinem Aufenthaltsort und werden in der Regel sofort gelesen. So gelangten Erdoğans Worte zum technisch gut vernetzten Teil der Bevölkerung.

Aufruf zum Widerstand von den Minaretten

Ein anderes soziales Netzwerk übernahm den Rest: Ab zwei Uhr morgens schallte der Aufruf zum Widerstand im gesamten Land von den Türmen der Minarette. Moscheen sind in dem ehemals laizistischen Land wieder zu Orten geworden, die politische Legitimation verleihen können - zumal für die Erdoğan-Anhänger; man mag an frühere Epochen denken, als Kaiser und Papst, Fürsten und Feldherren versicherten, sie seien von Gott persönlich geschickt.

Zur Sicherung der Macht muss man diese selbst behaupten, aber auch möglichst viele andere haben, die sie bestätigen. Umso besser, wenn es Imame sind.

Das türkische Wochenende war deshalb auch ein Lehrstück für künftige Putschisten. Mit dem Gewehr ins Fernsehstudio - das reicht nicht mehr.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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