Psychotherapeuten in Casting-Show:Therapien vor Millionen

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Bei der britischen Casting-Show "The X Factor" untersuchen Psychotherapeuten die seelische Verfassung der Teilnehmer.

Wolfgang Koydl

Eine hausbackene alte Jungfer, die auf der Bühne plötzlich lasziv die Hüften rollt und später hinter der Bühne völlig ausrastet; eine Zehnjährige, die vor einem Millionenpublikum hemmungslos schluchzt, am ganzen Leib zitternd, weil sie den Text zu ihrem Lied vergessen hat; und ein Ex-Insasse von "Big Brother", der sich nach seinem Rauswurf aus dem Haus daheim vor dem Bildschirm die Pulsadern aufschneidet - dies scheinen einige der offenbar erheblichen Risiken und Nebenwirkungen zu sein, welche Auftritte in Fernsehshows nach sich ziehen, wenn der Druck des öffentlichen Interesses unerträglich wird.

Susan Boyle war bei der Talentshow "Britain's Got Talent" zusammengebrochen. Nachdem sie plötzlich zu internationalem Starruhm katapultiert wurde, musste sie in psychiatrische Behandlung gebracht werden. (Foto: Foto: dpa)

Rasant bekannt - schrecklich riskant

Alle drei genannten Beispiele ereigneten sich in den vergangenen Monaten in Großbritannien, und Talkback Thames, eine der größten britischen Produktionsgesellschaften will nun die Konsequenzen ziehen. Für die neue Staffel der erfolgreichen Talentshow "The X Factor" - die britische Variante von Deutschland sucht den Superstar - standen von Anfang an Psychotherapeuten bereit, welche die Teilnehmer regelmäßig auf ihre geistige und seelische Verfassung hin untersuchen sollen.

Susan Boyle, die singende schottische Matrone, und Hollie Steel, ein sperlingsgleich zierliches Kindertalent, waren bei der Talentshow "Britain's Got Talent" zusammengebrochen. Der Student Sree Dasari versuchte sich zu töten, als er die ehemaligen Hausgenossen im Fernsehen sah und glaubte, nicht mit der Schmach des Scheiterns leben zu können. Vor allem der Fall der 48 Jahre alten Susan Boyle hatte die Öffentlichkeit beschäftigt, nachdem die plötzlich zu internationalem Starruhm katapultierte Kirchenhelferin in psychiatrische Behandlung gebracht werden musste. Der behandelnde Mediziner, Professor Chris Thompson, bezeichnete es damals als "schrecklich riskant", Menschen unvorbereitet einer derartigen öffentlichen Aufmerksamkeit auszusetzen.

Dieser Druck hat sich bei der am vergangenen Wochenende gestarteten neuen Staffel von "The X Factor" erhöht. Denn zum ersten Mal fand das erste Vorsingen nicht im Schutze eines Studios allein vor den drei Juroren und einer Kamera statt. Stattdessen mussten sich die Kandidaten gleich vor einem bis zu 3000 Köpfe zählenden Publikum und auf einer großen, schrecklich leeren Bühne beweisen. Der irische Musikmanager Louis Walsh, einer der Juroren der Show, gab zu, dass das neue Format "die Latte höher gehängt" habe.

Bei den ersten Proben, die bereits abgedreht wurden, gab es nach Angaben des Senders ITV keine Probleme - und dies, obwohl einer der Bewerber an Asperger-Syndrom leidet, einer milden Form von Autismus. Sieben Jahre lang hatte Scott James nach eigenen Worten nicht sein Haus verlassen, und erst vor fünf Jahren habe er seine Singstimme entdeckt.

"Wir waren uns seiner Krankheit von Anfang an bewusst", erklärte Richard Holloway, der Produzent von "The X Factor". "Nachdem er vorgesungen hatte, sprach die Psychiaterin mit ihm und sie sagte, dass es eine wirklich positive Erfahrung für ihn gewesen sei." Als Holloway die Therapeutin fragte, ob es etwas gebe, auf das man achten müsse, habe sie nur geantwortet, dass man "sorgsam mit ihm umgehen" müsse.

© SZ vom 25.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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