Prozess um Graffiti-Sprayer OZ:Wenn Banksy hier wäre

"Es lebe der Sprühling": Rekordverdächtige 120.000 Mal findet sich sein Zeichen auf Hamburgs Wänden, unzählige Male wurde Graffiti-Sprayer "OZ" auf frischer Tat ertappt. Nun wollen die Anwälte des 61-jährigen Hamburgers den Fall in einen Musterprozess für das Grundrecht auf Kunstfreiheit verwandeln.

Ronen Steinke

So sehen Stilikonen aus. Der dünne, 61 Jahre alte Mann sitzt zwischen seinen beiden Strafverteidigern, hinter einer schwarzen Plastiksonnenbrille und in Jeans, die er mit der Schere an die Länge seiner Beine angepasst hat. Er hustet ab und zu. Ab dem Moment, da die Richterin "Guten Morgen" sagt, schweigt er.

WALTER JOSEF FISCHER GRAFFITI-SPRAYER

Der Hamburger Graffiti-Sprayer Walter Josef Fischer alias "OZ" hält sich in der Außenstelle des Hamburger Landgerichts ein Schild vor sein Gesicht. Acht Jahre verbrachte er schon wegen Sachbeschädigung im Gefängnis.

(Foto: DPA)

Walter F. ist in Hamburg seit mehr als zwei Jahrzehnten als Graffitisprüher aktiv. Sein Künstlername "OZ" und sein gesprühtes Markenzeichen, der kindliche Smiley, finden sich rekordverdächtige 120.000 Mal in der Stadt, hinzu kommen zahllose naive Malereien: farbige Punkte, kleine Spiralen. Anhänger des FC St. Pauli entrollten jüngst beim Derby ein Banner mit der Aufschrift "Free OZ", dazu ließen sie bunte Luftballons steigen.

Und als kürzlich Bewunderer F.s eine Ausstellung mit Fotos seiner Graffitis im Hamburger Schanzenviertel zusammenstellten, da schickte ihnen jemand ein Bild zu, das an der israelischen Trennmauer zu den Palästinensergebieten aufgenommen worden war: Dort, wo der Sozialhilfeempfänger F. nie gewesen ist, hat jemand zu seinen Ehren "OZ" hingesprüht.

Weil mittlerweile nicht nur die Kunstszene den 61-Jährigen umgarnt, hat er im Amtsgericht Hamburg-Barmbek, wo er sich wegen Sachbeschädigung in 19 Fällen verantworten muss, zwei Anwälte zur Seite, die den Fall nicht ganz pro bono, aber doch pour l'Art übernommen haben: Andreas Beuth und Martin Kowalske wollen ihn zu einem Musterprozess für das Grundrecht auf Kunstfreiheit machen, Barmbek als Durchgangsstation nach Karlsruhe sozusagen. So haben sie gar nicht erst versucht, die Richterin von der Unschuld ihres Mandanten zu überzeugen, haben stattdessen gleich am ersten Verhandlungstag im Februar angekündigt, ihr Mandant werde weiter sprühen. Woraufhin die Richterin aufbrandenden Applaus im Publikum unterbinden musste.

Es ist dann ein langer Prozess geworden, im Gerichtssaal ging es viel um Nebensachen, der Aspekt der Kunstfreiheit kam eher nebenbei vor: Eine Gruppe aus der Hamburger Gängeviertel-Szene etwa schrieb im März auf einem Flugblatt: "Wer mag, stelle sich vor, Banksy hätte nicht im hippen London, sondern im schillernden Hamburg gelebt", und schloss daran die rhetorische Frage an: Hätte der englische Graffitikünstler, dessen Dokumentarfilm "Exit through the gift shop" in diesem Jahr für den Oscar nominiert war, dann auch - wie Walter F. in Hamburg - acht Jahre wegen Sachbeschädigung hinter Gittern verbracht?

Der Unterschied hat am Ende wahrscheinlich weniger mit Hamburg oder London zu tun als mit Sich-Erwischen-Lassen oder nicht. Man kann die Bildbände der beiden, Banksys "Wall and Piece" (Random House, 2005) und OZ' ebenso dickes, aber weniger hintersinniges "Es lebe der Sprühling" (Colortrip, 2009), hübsch nebeneinander im Regal stehen haben, man muss sich aber durchaus auch beide als Zellennachbarn vorstellen können. Banksy entzieht sich allen Enttarnungsversuchen mit der Eleganz eines Meisterdiebs. Walter F. lässt sich zumindest laut der Staatsanwaltschaft sogar noch während des laufenden Prozesses auf frischer Tat ertappen. Das ist der Unterschied. Ein rechtlicher ist es nicht.

Kunstfreiheit vs. Eigentumsfreiheit

"Ob ich das schön finde oder nicht, ist überhaupt nicht die Frage", erklärte die Barmbeker Richterin Heike Valentin gleich zu Beginn: Rechtlich komme es allein darauf an, ob fremdes Eigentum beschädigt worden sei. Im Jahr 1984, als der Schweizer Harald Naegeli, der "Sprayer von Zürich", aus Deutschland ausgeliefert werden sollte, hat das Bundesverfassungsgericht die Frage erörtert und kam damals zu dem Urteil: Wer fremdes Eigentum in Anspruch nimmt, kann sich generell nicht auf die Kunstfreiheit berufen.

Graffiti-Sprayer 'OZ' muss erneut vor Gericht

Graffiti-Sprayer "OZ", der sich selbst als Künstler versteht, sorgte in den letzten 20 Jahren immer wieder für Schlagzeilen: Mehr als 120.000 Mal ist sein Zeichen auf Wände in Hamburg gesprüht worden, er wurde unzählige Male auf frischer Tat ertappt.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Kunstfreiheit prallt hier auf Eigentumsfreiheit", sagt hingegen der Anwalt Martin Kowalske und präsentiert eine interessante Begründung dafür, dass Sprayer nicht schlicht auf andere Orte ausweichen könnten. Im besonderen Fall der Street Art könne der Künstler nicht darauf verwiesen werden, sich zum Malen doch bitte ein Atelier zu suchen: Street Art stelle Bezüge zwischen den Gegenständen im öffentlichen Raum her.

Wenn OZ Smileys auf Stoppschilder sprüht, wenn Banksy frisch gestrichene Mauern in der Londoner City mithilfe eines aufgesprühten Wappens als offizielle Graffitiflächen ihrer Majestät ausweist: dann sind das Ideen, die in einer Galerie nicht funktionieren. Wer solche Kunst "nur" im öffentlichen Raum verbiete, sagt Kowalske, der verbiete sie in Wahrheit ganz.

Der Anwalt schlägt deshalb vor, zwischen dem Eigentum und dem Interesse an der Kunst in jedem Einzelfall abzuwägen. Zumindest wo der künstlerische Wert groß sei, müsse dieser den Wert des Eigentums aufwiegen können. Womit allerdings alles gesagt ist und zugleich nichts. Denn abgesehen von dem Problem, wie bitte schön der Wert dieser Kunst verbindlich festgelegt werden soll, bleibt die Frage, ob der Künstler durch die Rechte anderer schlicht eine Schneise schlagen darf.

Es gibt die Geschichte des Liverpooler Pubs "The Whitehouse". Das Gebäude wurde eines Nachts von Banksy mit einer riesigen Ratte besprüht, die Eigentümer waren verzückt und versteigerten es kurzerhand zu einem Traumpreis. Was die Ratte hier so leicht akzeptabel macht, ist aber nicht die plumpe Ergebenheit vor einer als zwingend verstandenen Kunst - sondern die freie Entscheidung der Betroffenen.

Man mag die "strafrechtliche Graffitibekämpfung", die der deutsche Gesetzgeber bei der letzten Verschärfung 2005 sogar selbst so genannt hat, inzwischen maßlos und überzogen finden: Die für "OZ" zuständige Staatsanwaltschaft plädierte in der vergangenen Woche für anderthalb Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Die Ansicht jedoch, wonach das Malen auf fremden Häusern "großen" Künstlern grundsätzlich gestattet sein müsste, wird dadurch noch nicht besser begründbar.

Es gibt dann aber auch die Geschichte des Bunkers in der Hamburger Schomburgstraße. Der ist heute mindestens so schön bemalt wie das "Whitehouse": Im vergangenen Sommer, zur Grillzeit, konnten die Anwohner zusehen, wie ein älterer Herr, den niemand kannte, den fensterlosen Betonklotz vor ihrer Haustür mit eigens angeschlepptem Gärtnergerät umrundete.

Der Mann las Zigarettenstummel auf, schnitt Gestrüpp zurück und überstrich Pissflecken an der Bunkerwand. Und dann begann er zu sprühen. Woraufhin nachts offenbar noch andere Sprayer auf den Zug aufsprangen und den bunten Stil des älteren Herrn respektvoll imitierten. Herausgekommen ist eine Farblandschaft, die sich einmal um den ganzen Bunker schlängelt: mit gelben und rosafarbenen Strahlen, die sich biegen und verknoten, und mit unzähligen kleinen schwarzen Punkten dazwischen, die an Keith Haring erinnern.

Manche der Anwohner am Bunker brachten dem Mann Würstchen - und wundern sich jetzt, ein Jahr später, darüber, dass die Staatsanwaltschaft Barmbek Walter F. auch für diese Arbeit ins Gefängnis schicken will. Zwei Anwohnerinnen haben sich bei Gericht gemeldet und angeboten zu erzählen, wie sie F. damals ermutigten - die Richterin lehnte eine Anhörung als Zeuginnen dennoch ab. Was die Anwohner dächten, sei für den Tatbestand der Sachbeschädigung nicht relevant, der Bunker öffentliches Eigentum.

Und was "öffentlich" heißt, darüber sollte offenbar nicht gestritten werden: Die freie Entscheidung darüber, ob der Staat in die Bemalung seines Bunkers freudig einwilligt oder nicht, traf die Staatsanwaltschaft nach ihrem ganz eigenen Kunstgeschmack, wie ein Privateigentümer, der niemandem verpflichtet ist, auch nicht dem Grundrecht auf Kunstfreiheit.

Am 29. Juli halten die Strafverteidiger im Fall von Walter F. ihr Plädoyer. Das Urteil könnte noch am selben Tag folgen. In Barmbek, vorerst.

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