Prozess in der Türkei:Aslı Erdoğan soll aus der Haft entlassen werden

Prozess in der Türkei: Symbolfigur für die Willkür des türkischen Staates: Aslı Erdoğan.

Symbolfigur für die Willkür des türkischen Staates: Aslı Erdoğan.

(Foto: imago stock&people)

Der türkischen Autorin wird vorgeworfen "Mitglied einer terroristischen Vereinigung" zu sein. Sie für die Dauer des Prozesses aus der Haft zu entlassen, könnte ihr das Leben retten.

Von Luisa Seeling

Die türkische Justiz produziert absurde Pointen, die aber nichts Komisches haben. Der Enthüllungsjournalist Ahmet Şık beispielsweise, einer der schärfsten Kritiker der Gülen-Bewegung, wurde festgenommen, obwohl die Regierung doch beteuert, ihre Festnahme- und Entlassungskampagne richte sich gegen eben jenes Netzwerk.

Der größte Widersinn ist es aber, die Schriftstellerin Aslı Erdoğan wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" vor Gericht zu stellen. Viereinhalb Monate hat Aslı Erdoğan - die nicht mit dem Staatschef verwandt ist - im Istanbuler Frauengefängnis Bakırköy in Untersuchungshaft gesessen. Am Donnerstag hat der Prozess gegen sie und acht weitere Angeklagte begonnen. Zum Auftakt, so berichten türkische Medien, ordnete das Gericht an, Aslı Erdoğan und zwei Mitangeklagte aus der Haft zu entlassen. Eine Entscheidung, die lebensrettend sein könnte für die 50-Jährige, die an chronischen Erkrankungen leidet und auf ärztliche Betreuung angewiesen ist.

Wie die anderen Angeklagten war Erdoğan mit der prokurdischen Zeitung Özgür Gündem verbunden, von der die Staatsanwaltschaft behauptet, das Blatt sei ein Sprachrohr der militanten Kurdenorganisation PKK. Aslı Erdoğan hat Kolumnen geschrieben und saß im Beirat des Blattes, das im August per Notstandsdekret eingestellt wurde. In der Anklageschrift heißt es, sie habe PKK-Mitglieder als zivile Bürger dargestellt, die Sicherheitskräfte kritisiert und durch ihre Mitarbeit bewiesen, dass sie die Ziele der Terrororganisation unterstütze.

Die mehrfach preisgekrönte Romanautorin ("Die Stadt mit der roten Pelerine", "Der wundersame Mandarin") ist zu einer Symbolfigur für die Willkür des türkischen Staates nach dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli geworden. Gefährdet war sie seit den Neunzigerjahren, als sie ihre Karriere als Kernphysikerin aufgab und sich ganz dem Schreiben zuwandte. Als politische Autorin setzte sie sich für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage ein, die Rechte von Frauen und Minderheiten, Demokratie und Gleichberechtigung. Niemand bei klarem Verstand, hat die Schriftstellerin Elif Şafak in einem offenen Brief an ihre Kollegin geschrieben, kaufe der Staatsanwaltschaft ab, dass Aslı Erdoğan zu "Gewalt und Terrorismus" aufgerufen habe. Der Prozess soll am 2. Januar fortgesetzt werden. Den Angeklagten droht lebenslange Haft.

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