Provokation in der Kunst:Die Freiheit des Skandals

Lesezeit: 3 min

Buddhisten leiden an dieser Kunst: Darf Han Chong Buddha stürzen? (Foto: Inga Kjer/dpa)

Ein Künstler zeigt den Hitlergruß, ein anderer stürzt eine Buddhafigur um, ein dritter verpestet eine deutsche Synagoge mit Autoabgasen. Nur selten greifen Kuratoren und Moderatoren ein, wenn haltlos provoziert wird. Doch sind dies wirklich die Werke, an denen wir das große Ganze verhandeln wollen?

Von Catrin Lorch

Muss das sein, dass die dicke Goldfigur so unglücklich daliegt? Selten ist über die Aufstellung einer Skulptur so dringlich diskutiert worden wie derzeit in München. Dort wurde ein Buddha als Teil der Stadtkunst-Ausstellung "A Space Called Public/Hoffentlich Öffentlich" auf dem Viktualienmarkt installiert, um es neutral zu formulieren. Der Künstler Han Chong, heißt es zur Erklärung, habe ihn auf die Seite gelegt, damit die Zeile "Made in Dresden" auch gut zu lesen sei, die auf der Unterseite eingraviert ist, wie bei den billigen Figuren, die man in Souvenirshops oder Esoterik-Läden kaufen kann. "Fern des spirituellen Kontexts" stehe das als "Made in Dresden" betitelte Werk nun für die Frage nach Authentizität in einer Welt der globalen Warenströme.

Doch Buddhisten - und das sind in der bayerischen Landeshauptstadt nicht nur Touristen, sondern auch viele Einheimische - sehen das mit dem spirituellen Kontext anders. Sie leiden an der lieblosen Behandlung ihrer Gottheit. Seit dem Tag der Vernissage demonstrieren Mönche und Äbte zwischen den Marktständen, Thailänderinnen betten die Skulptur auf Blumen, ganze Gemeinden machen sich auf, um dort Altäre zu errichten oder zu meditieren. Eine erleuchtete Meisterin vom Chiemsee wies zudem besorgt darauf hin, ein umgestürzter Buddha strahle gefährliche Energie aus, für München, für Bayern, für Deutschland.

Kunstprojekt "A Space Called Public"
:"Alles was er machen wollte, war zu onanieren"

Winzige Luxuswohnungen, Denkmäler für Affen und eine umgekippte Buddha-Statue: Ein skandinavisches Künstler-Duo verblüfft mit der Aktion "A Space Called Public" die Münchner - eckt aber auch an.

Von Benedikt Laubert

"Was, wenn man den Koran dort hingeschmissen hätte", fragten entrüstete Gläubige jetzt laut bei einer Podiumsdiskussion den Kulturdezernenten Hans-Georg Küppers, was, hätte man zur Illustration der globalen Warenströme der Souvenir-Industrie einen Davidstern aufs Marktpflaster geworfen oder eine US-Flagge? "Der Buddhismus wird sicher nicht am Viktualienmarkt verteidigt", schnappte Helmut Friedel, ehemaliger Direktor des Lenbachhauses zurück, sah dagegen die Freiheit der Kunst grundsätzlich gefährdet, sollte die Figur nach Protesten aufgerichtet oder gar abtransportiert werden. Obwohl er das Konzept auch nicht für große Kunst halte, müsse man doch grundsätzlich dem Künstler zugestehen, "dass er es nicht dumm gemacht, dass er sich etwas dabei gedacht hat".

Die Aufgeregtheit, mit der die Freiheit der Kunst hier verhandelt wird, erinnert an den Prozess, der gerade vom Kasseler Amtsgericht gegen den Künstler Jonathan Meese läuft, weil der bei einer Diskussion auf Einladung des Nachrichtenmagazins Spiegel in Kassel im vergangenen Sommer den Hitlergruß gezeigt hatte, um seiner Forderung nach einer "Diktatur der Kunst" Nachdruck zu verleihen. In München war es an einem Zuhörer, darauf hinzuweisen, dass das Problem in solchen Fällen vor allem "die Banalität der Kunst ist", um die es hier gehe. "Da soll man dem Künstler nicht auch noch so viel Aufmerksamkeit entgegenbringen." Was auch für Jonathan Meese gelten kann, der ja seit Jahren zuverlässig als Performer den rechten Arm reckt und mit Runenschrift Kreuze dekoriert. Und genau deswegen ein von den Medien gern gesehener und zitierter Künstler ist, während ihn Kuratoren nur noch selten zu Ausstellungen einladen. Vor Gericht geht es für ihn jetzt darum, glaubwürdig zu machen, dass er auch bei der Diskussionsrunde als Künstler agierte.

In München kann man sich dagegen fragen, ob man nicht vielleicht besser im Vorfeld Kontakt zu buddhistischen Gemeinden gesucht hätte, um deren Gefühle sich der 1979 in Malaysia geborene Künstler Han Chong offensichtlich nicht scherte. Jetzt muss die Stadt dafür büßen, dass die Kuratoren Elmgreen & Dragset erst nicht allzu komplexe Kunstwerke bestellten und sich hinterher für die Vermittlung nicht mehr verantwortlich fühlten - bezeichnenderweise waren sie genauso wenig angereist wie der in London lebende Künstler, um sich mit den erbosten Buddhisten zu befassen. Und auch den Gesprächsteilnehmern aus der Spiegel-Redaktion, die jetzt in Kassel im Zeugenstand stehen, fiel zu der von ihnen mitverantworteten, simplen Provokation nicht mehr ein, als mit Meese über die Freiheit der Kunstperformance zu plaudern.

Von Montag an wird in Kassel wieder verhandelt. Und vielleicht muss die Öffentlichkeit damit leben, dass man in Deutschland als Performer den Hitlergruß auch außerhalb eines Museums zeigen darf und ein Buddha bis zur Finissage der Stadtkunstschau unaufgerichtet liegen bleibt, während in den Medien über die Freiheit der Kunst diskutiert wird. Was der Kunst schadet, weil es flaue Werke sind, die für den großen Tabubruch einstehen müssen. Verantwortlich sind die Vermittler, die Kuratoren, die Gastgeber: Wer einem Künstler wie Meese ein Forum gibt, sollte darauf achten, dass der am Ende nicht vor Gericht landet. Wer einen Souvenir-Buddha auf die Größe eines Elefantenbabys aufbläst, könnte sich vorher bei der asiatischen Gemeinde erkundigen, was die davon hält.

Als vor fünf Jahren Martin Kippenbergers Frosch-Kruzifix aus dem Bozener Museion entfernt wurde, weil sich hungerstreikende Politiker, Drohbriefschreiber und wohl sogar der Vatikan gegen die Blasphemie verwahrten, wies die Landeskulturrätin darauf hin, das Museum hätte durchaus mehr leisten können, als den Frosch einfach in den Eingang zu nageln. Und vielleicht hätte auch der spanische Provokateur Santiago Serra vor einigen Jahren darauf verzichtet, die Synagoge in Stommeln mit Autoabgasen zu verpesten, um den Holocaust mit Verkehrstoten und allen Opfern des Kapitalismus kurzzuschließen, hätten ihn vorausschauende Kuratoren darauf hingewiesen, sein Projekt werde jüdische Gemeinden zutiefst entsetzen. Kontroverse Kunst bedarf der differenzierten und umsichtigen Moderation, gerade wo sie in die Öffentlichkeit geht. Das übersehen genau jene gerne, die den gezielten Tabubruch erst provozieren.

© SZ vom 25.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: