Protestbrief gegen Amazon:Der Deutsche Buchmarkt geht an der eigenen Arroganz zugrunde

Protest gegen Amazon

Amazon-Logistikzentrum in Leipzig: Amazon und der Buchhandel kämpfen gegeneinander. Leser und Autoren können die lachenden Dritten sein, sagt Weidner.

(Foto: Peter Endig/dpa)

Das System Buchmarkt hat seinen Zenit überschritten und den Kontakt zur Außenwelt verloren. Es gibt Gründe, den Wandel zu begrüßen. Warum ich die Petition gegen Amazon nicht unterschreibe.

Gastbeitrag von Stefan Weidner

Eine Leica war einmal die perfekte Kleinbildkamera, mit ihr wurde Fotografiegeschichte geschrieben. Außer dass sie sehr teuer war, ließ sich gegen eine Leica nichts sagen. Dann kam die Digitalfotografie. Verglichen mit den Bildern einer Leica waren alle Digitalfotos lange ein schlechter Witz; Leica setzte weiter auf analog.

Vor ungefähr zehn Jahren begannen auch Profis die Vorteile der Digitaltechnologie zu schätzen. Heute sind gute digitale Kameras besser als die besten analogen. Leica ist der Pleite knapp entronnen und stellt nun auch digitale Kameras her. Aber die Profis haben in der Zwischenzeit fast alle auf japanische Kameras umgesattelt.

Über den Autor

Stefan Weidner lebt als freier Publizist, Übersetzer und Islamwissenschaftler in Köln. Er hat über 3000 Bücher in seiner Wohnung und einige Hundert E-Books auf seinem Telefon. Anfang Oktober erscheint sein Reise-Essay "Ins Griechenland des Ostens - Die Ukraine, Lemberg, Döblin und wir" bei Amazon.

Perfektion, können wir daraus lernen, führt zu Überheblichkeit und Dünkel. Bitter wäre es, wenn die Leica-Story sich in Gestalt unseres Buchmarktes wiederholen sollte. Alle Zeichen deuten darauf hin: Die Perfektion, der Dünkel, die Preispolitik, die Unterschätzung einer neuen Technik, das konservative Bild der eigenen Kundschaft (die überaltert ist) - und der Brustton im Satz: Ein guter Fotograf wird doch wohl nur mit einer Leica arbeiten wollen. Wie Henri Cartier-Bresson. Ein guter Autor wird doch wohl nur ein echtes Buch publizieren wollen. Wie Thomas Mann.

Der Grund, warum es diesmal anders ist: das E-Book

Wenn es in der laufenden Kampagne gegen Amazon nur darum ginge, unfaire Geschäftspraktiken oder Wettbewerbsverzerrungen anzuprangern, man könnte sich ihr bedingungslos anschließen. Aber große Buchhandelsketten haben den Verlagen schon oft die Rabatte diktiert, haben manche Bücher gut, andere schlecht oder gar nicht platziert, und es hat nur wenige aufgeregt.

Der Grund dafür, dass es diesmal anders ist, trägt den Namen E-Book. Wenn die Buchhandelsriesen ihr Monopol ausnutzen, verdienen die Verlage zwar weniger, aber das System Buchmarkt bleibt bestehen. Wenn Amazon seine Preisvorstellungen durchsetzt, kann es passieren, dass kein Buch mehr auf dem anderen bleibt: Es gibt dann kein Buch mehr.

Amazon möchte, dass die E-Books deutlich billiger werden als dieselben gedruckten Bücher. Zur Zeit sind sie nur wenig billiger - so dass es sich nicht lohnt, dafür auf das gedruckte Exemplar zu verzichten. Lieber ein paar Euro mehr zahlen und dafür etwas Richtiges in der Hand haben, sagen sich vernünftige Leser.

Das gedruckte Buch wird zur Ausnahme, ein Fall für Liebhaber

Also bleibt der Markt für elektronische Bücher klein. Wenn ich aber, wie es Amazon wohl vorschwebt, nur zehn Euro für das E-Book zahlen müsste statt zwanzig für eine gedruckte Version (oder sechzehn für das E-Book jetzt), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich auf das E-Book umsteige - selbst wenn es mir bisher unsympathisch war.

Wenn zunehmend mehr E-Books anstelle von gedruckten Büchern gekauft werden, wird der stationäre Buchhandel immer schneller schrumpfen. Die Verlage verlieren nach und nach ihr wichtigstes Vertriebsnetz und müssen stärker auf Online-Plattformen wie Amazon setzen. Das E-Book gilt nicht mehr als Nischenmarkt für digitale Spaßvögel, man begreift seine Vorteile, und das gedruckte Buch wird zur Ausnahme, ein Fall für Liebhaber und spezielle Anliegen: Analoge Fotografie.

Es wird für Autoren attraktiv, auf das E-Book zu setzen

Spätestens an diesem Punkt wird es auch für Autoren attraktiv, vorwiegend auf E-Books zu setzen: Publiziert man ohne Umweg ein elektronisches Buch, nimmt man etliche Glieder aus der Verwertungskette heraus, die derzeit an der geistigen Urheberschaft mitverdienen.

Bekommt man als Buchautor zehn Prozent vom Ladenpreis, darf man als E-Book-Autor mit 30%, 50%, und wenn man exklusiv bei Amazon publiziert, derzeit sogar mit 70% rechnen. Ein Horrorszenario für den stationären Buchhandel und wahrscheinlich für die Verlage. Aber auch für Leser und Autoren? Wäre es so, bestünde keine Gefahr, niemand würde sich darauf einlassen.

Aber es ist eben kein Horrorszenario - kein schlimmeres jedenfalls als jeder Strukturwandel. Um das zu verdeutlichen, muss man mit ein paar Vorurteilen aufräumen, die der elektronischen Lektüre derzeit noch anhaften. Manch einer weiß zum Beispiel gar nicht, dass er ein Lesegerät längst besitzt: Das Tablet oder Smartphone, das mittels kostenloser Apps mindestens so gut, ja besser ist als die teuren Ebook-Reader.

eBooks

Es gibt aus Sicht des Lesers keinen schlagenden Einwand gegen das E-Book, sagt Stefan Weidner.

(Foto: dpa)

Unser Buchmarkt ist so perfekt, wie es die analoge Leica auch war

Da es Apps für alle gängigen E-Book Formate gibt, stellt sich die Frage nicht, ob ich ein E-Book bei Amazon, im iBook-Store, bei Thalia oder Libreka kaufe. Mit einer Freeware wie Calibre e-book management lassen sich die Formate sogar ineinander umwandeln. Aber will man Bücher wirklich auf dem Telefon lesen?

Nun, man liest und schreibt dort auch den ganzen Tag E-Mails und Kurznachrichten. Ich habe dutzende Bücher darauf gelesen, auch zu Hause, mit der gedruckten Version im Regal. Viele Gründe sprechen dafür. Es gibt zum Beispiel beim Kindle Reader - auch dem App - eine atemberaubende Wörterbuchfunktion. Leichter und lieber habe ich fremdsprachige Bücher nie gelesen. Das beste arabische Wörterbuch, der "Hans Wehr", erschließt sich mir auf meinem Telefon über eine simple PDF-Datei, von einem findigen Programmierer zur blitzschnellen Wörtersuche auf Arabisch oder in Lateinschrift aufbereitet. Wie leicht mein Reisegepäck seither ist!

Und schließlich steht mir die ganze Weltliteratur, sofern die Autoren seit über siebzig Jahren verstorben sind, in etlichen E-Book Formaten umsonst zur Verfügung. Aus all dem folgt: Es gibt aus Sicht des Lesers keinen schlagenden Einwand gegen das E-Book. Es ist die bessere Technik und sie wird sich durchsetzen wie die digitale Musik und Fotografie sich durchgesetzt haben, ohne freilich, und das ist gut so, die frühere Technik völlig zu verdrängen.

Es reicht nicht, 'auch' E-Books anzubieten

Wollen die Akteure unseres Buchmarktes verhindern, dass Amazon und ein paar andere amerikanische Vertriebsplattformen wie Google und Apple in der künftigen E-Book Welt ein Monopol haben, müssen sie sich selber an die Spitze dieser Entwicklung setzen, und nichts weniger. Es reicht nicht, 'auch' E-Books anzubieten, und vielleicht sogar ein bisschen günstiger. Es reicht nicht 'auch' E-book Reihen aufzulegen, wie die edition suhrkamp digital oder demnächst Hanser und sich dabei zu zieren, als wage man einen Tabubruch.

Es reicht nicht, eine E-Book Plattform wie Libreka aufzulegen, wenn ich dort nur dasselbe E-Book für denselben Preis wie bei Amazon finde, die einen viel größeren Kundenstamm haben. Auch Leica hat irgendwann Digitalkameras für den Hobbyfotografen gebaut. Ich besaß mal eine. Sehr teuer, verdammt gut irgendwie, aber für denselben Preis hätte ich ein Profigerät bekommen.

Um einen entstehenden Markt zu erobern und einen Strukturwandel zu überleben, der so gründlich ist wie die Digitalisierung, braucht man Aggressivität und einen unsentimentalen Blick nach vorn. Amazon hat das, der deutsche Buchmarkt nicht, nichts anderes belegt der Protest gegen Amazon. Ich verstehe die Gründe für den Protest und die Angst, aber das ändert nichts an der Verknöcherung und Reformunwilligkeit des Buchmarktes. An sich ist er, ich sagte es, perfekt. Aber das System hat den Kontakt zur Außenwelt verloren. Und da diese, wie Außenwelt oft, unbekannt und böse ist, will man sich nur umso mehr von ihr abkapseln. So sind schon viele Spezies ausgestorben.

Es ist längst keine Lust mehr, ein "richtiges" Buch zu machen

Das gilt, seltsam, auch für die Kollegen Autoren. Noch gibt es genug unter ihnen, die trotz der geringen Verkaufsanteile vom System profitieren - oft, indem sie es mit Hilfe von Agenten umgehen, beziehungsweise untergraben (und damit an seiner Schwächung teilhaben) und große, nicht rückzahlbare Vorschüsse aushandeln.

Die Autoren aber, die nicht oder nur wenig profitieren, dürfen zumindest hoffen, irgendwann vielleicht doch noch in den Genuss zu kommen. Selbst solche, die gar nicht auf Gewinn aus sind, weil sie einer anderen Arbeit nachgehen, Professoren, Fachleute, Journalisten wie ich, profitieren vom Prestige, den das Buch bringt, abgesehen von allem, was sonst daran hängt, Preise, Stipendien, Lesungen, Professuren, Renommee. Es gibt in unserem Buchmarkt zu viele Akteure, die aus ehrenwerten Gründen kein Interesse am Wandel haben. Aber dann sollten sie dem Wandel nicht vorwerfen, er habe kein Interesse an ihnen.

Es gibt Gründe, den Wandel zu begrüßen

Die Trauer über den Buchmarkt, wie wir ihn kennen, wird groß sein und sehr berechtigt. Im Schmerz zu verharren, schiene mir indessen absurd. Denn es gibt, so pietätlos das klingt, Gründe, den Wandel auch zu begrüßen. Nicht nur wegen der technischen Vorteile des E-Books oder der Barrierefreiheit, die der kostenlose Zugang zur älteren Weltliteratur bedeutet (von der subversiven, antikapitalistischen Barrierefreiheit künftiger E-Book-Raubkopien zum Schaden und zur Strafe aller Bestsellerautoren ganz zu schweigen), ist das neue Medium eine Befreiung.

Das System Buchmarkt, so perfekt es war, hat seinen Zenit überschritten. Statt die kreativen Energien zu verstärken, zu beschleunigen, zu fördern wie noch in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren, bremst es sie aus, beschneidet es sie, hegt es sie ein, rechnet sie klein.

Es ist keine Lust mehr, ein Buch zu machen. Es ist ein Wenn und Aber, ein Zögern und Zaudern, ein Weder-Noch. Eigenwillige Texte werden von ängstlichen Lektoren zerredet, und wer sich weniger als fünftausendmal verkauft, wechsle bitte in einen kleineren Verlag. Und klappt es dann doch irgendwie und das Buch ist draußen, gibt es ein eitles Getue, ein steifes Herumstehen, ein irgendwie Unwohlsein, und am Ende bleibt alles unterhalb der Erwartung.

Der Regenbogen zwischen Autor und Leser braucht eine neue Dynamik, einen Aufbruch, einen Stromstoß. Nichts im bestehenden System wird den leisten. Amazon macht seine Geschäfte. Der Buchhandel auch. Sie kämpfen gegeneinander, sollen sie das. Wir, Leser, Autoren, irgendwie beide die Enden des Markts, können, wenn wir die Neugier bewahren, die lachenden Dritten sein. Ich gestehe, ich bin froh, in einer Zeit des medialen Wandels zu leben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: