Protest durch Selbstverbrennungen:Paradoxe Opfertäter

Märtyrer? Freiheitskämpfer? Verzweifelte? Was treibt Menschen, die sich selbst in Brand stecken? Protest und Not spielen eine Rolle, doch Selbstverbrennungen haftet auch eine tragische Widersprüchlichkeit an.

Petra Steinberger

Der Veteran im Rollstuhl fuhr auf eine große Kreuzung bei Tel Aviv, überschüttete sich mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete sich an. Das war wenige Stunden, bevor Moshe Silman zu Grabe getragen wurde. Auch er hatte sich eine knappe Woche zuvor auf einer Demonstration für mehr soziale Gerechtigkeit selbst in Brand gesteckt, war Tage später an seinen schweren Brandverletzungen gestorben. Nun fürchtet man in Israel, dass es noch weitere Nachahmungstäter geben könnte.

Am 17. Dezember 2010 verbrannte sich Mohamed Bouazizi, ein Straßenverkäufer, in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid vor einem Regierungsgebäude, nachdem Beamte seine Waren konfisziert hatten. Mit dieser Tat entfachte er jedoch ein viel größeres Feuer, den Arabischen Frühling, der auch das tunesischen Regime am Ende hinwegfegen sollte. Dafür würde man Bouazizi später zum Märtyrer erklären.

Hunderte afghanische Ehefrauen haben sich allein in den letzten zehn Jahren mit Kerosin übergossen und angezündet, die Dunkelziffer liegt vermutlich viel höher. Gründe: Verzweiflung, Not, Missbrauch, häusliche Gewalt in einer von Männern dominierten Kultur, aus der sie keinen Ausweg mehr sahen.

In den neunziger Jahren verbrannten sich an die 200 indische Studenten aus höheren Kasten, um gegen eine Studienreform zu protestieren, die Studenten aus niedrigen Kasten bevorzugt hätte.

Und seit März 2011 haben sich 43 tibetanische Mönche in Brand gesetzt, um gegen die chinesische Besatzungspolitik zu protestieren. Zuletzt, vor zehn Tagen, tat es Losan Lozin. Er war 18.

All diese Fälle scheinen nicht viel miteinander zu tun zu haben, bis auf die Art des Selbstmordes - denn nichts anderes ist Selbstverbrennung zunächst. Da geht es einmal um sozialen Protest und Verzweiflung, wie bei Silman oder Bouazizi, um persönliche Not wie bei den Frauen Afghanistans - oder um politischen Widerstand wie in Tibet.

Entsetzlich brutal

Die öffentliche Selbstverbrennung scheint seit einigen Jahren zum Mittel der Wahl des letzten, endgültigen Protests zu werden. Zynisch gesagt, ist sie eine sehr spektakuläre, weil entsetzlich brutale Art, die Aufmerksamkeit der Welt auf Not, Missstände, Gewalt zu lenken in einer Gesellschaft, in der medienwirksame öffentliche Akte offenbar notwendig geworden sind.

Intention ist Ansichtssache

Menschen, die sich aus radikalem politischen Protest selbst verbrennen, heißt es, sind Märtyrer. Sie reißen keine anderen Menschen mit in den Tod, wie Selbstmordattentäter das tun. Sie handeln und leiden allein. Sie wissen, dass sie, auch wenn ihr Protest Erfolg hat, nie davon profitieren werden. Und sie folgen häufig einer gewaltfreien Ideologie. Quäker, Katholiken, Pazifisten waren unter ihnen - wie die vier Amerikaner, die 1965 als Selbstverbrenner gegen den Vietnamkrieg protestierten, oder der Student Jan Palach, der 1969 gegen die sowjetische Invasion im Prager Frühling ein Zeichen setzen wollte.

Ein religiöser oder politischer Märtyrer entscheidet sich aus freiem Willen für seine Tat, eine Entscheidung, die aus der richtigen Intention heraus geschehen muss. Was die "richtige" Intention jedoch ausmacht, kann Ansichtssache sein. Der Israeli Silman und der Tibeter Lozin hatten eine klare soziopolitische Botschaft. Silman hinterließ Aufzeichnungen, in denen er seine Beweggründe darlegte. Dabei verhielt er sich ähnlich wie eben auch Selbstmordattentäter, die einer in ihren Augen richtigen Intention folgen und dies durch Videos öffentlich machen.

Aber Bouazizi? Oder die afghanischen Frauen? Manche Psychologen sind der Meinung, dass die meisten dieser Frauen die gegen sie gerichtete männliche Gewalt längst internalisiert hatten und sowieso Selbstmord begehen wollten. Sie griffen zu Feuer - weil es am einfachsten war. Kerosin und Streichhölzer gibt es selbst im ärmsten afghanischen Haushalt.

Ein letztes Opfer für die Ehre

Bouazizi wiederum hat wohl kaum in der Absicht oder Voraussicht gehandelt, einen Massenaufstand auszulösen. Schließlich hatte es vor ihm schon mehrere Selbstverbrennungen gegeben, die kaum beachtet worden waren. Aber er war erniedrigt und beschämt worden in einer Kultur, in der Ehre über alles geht, und diese Ehre wollte er wiederherstellen - durch das letzte Opfer.

Ob Thich Quang Duc das hätte voraussehen können? Der vietnamesische Mönch war wohl der erste im Zeitalter der modernen Massenmedien, der dieses "letzte Opfer" brachte. 1963 ließ er sich mitten in Saigon im Lotussitz nieder, ein Getreuer überschüttete ihn mit Benzin und reichte ihm Streichhölzer. Duc protestierte damit gegen die Unterdrückung des Buddhismus durch das katholische Regime von Ngo Dihn Diem. Zuvor hatte er die internationale Presse informiert, das Bild des Mönches in Flammen ging um die Welt.

Und doch: Hätte es keinen weniger grausamen Weg, nicht todbringenden Weg gegeben, auf politisches oder soziales Unrecht hinzuweisen? Auch hier meinen viele Psychologen, dass Menschen, die sich selbst in Flammen setzen - ebenso wie im Negativen die Selbstmordattentäter - bereits latent suizidal und depressiv sind.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass sie eine Motivation haben, die über die eigene Not hinausgeht. Aber es macht es ihnen vielleicht leichter, diesen Weg zu gehen. Wenn das tatsächlich so wäre, entstünde ein fast tragisches Paradox. Menschen, die am eigenen Leben verzweifeln, töten sich, um anderen ein besseres zu ermöglichen.

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