Protest:Aufschrei eines leisen Künstlers

Martin Kälberer schreibt einen offenen Brief gegen die Ignoranz

Von Karl Forster

Die Überschrift ist gut gewählt: "Dies ist kein Newsletter!!!" Da freut sich der Leser schon mal vorneweg und klickt rein in diesen Text. Noch dazu der Absender ein guter Bekannter ist, der Zither-Manä, ein Musiker, der seit vielen Dekaden damit Spaß bereitet, auf der Zither kunstvoll Rock'n'Roll und Blues zu spielen.

Doch diesmal geht es nicht um Spaß, es geht auch nicht um Zither-Manäs Zither, sondern um die Einlassungen von Manäs Musikerkollegen Martin Kälberer zum Nichtvorhandensein von Widerstand gegen "Lautschreier, Angstbefeuerer, Zündelbrüder und Berufszyniker", den der Zither-Manä weitergeleitet hat. Nun ist der multiinstrumentale Musiker Martin Kälberer eigentlich ein Meister der leiseren Töne, der den Klängen nachlauscht; einer, der mit Musik malt; einer, den man gerne bei geschlossenen Augen hört. Doch nun hat Martin Kälberer das Metier gewechselt und in einer E-Mail an Freunde und Bekannte seine Wut, seine Ohnmacht, seine Fassungslosigkeit angesichts der politischen Spielchen im "Mare Nostrum" ausgedrückt, wo in unserem Meer Menschen elendiglich ersaufen, weil es einer Partei, die sich christlich nennt, gerade opportun erscheint, mit demonstrativer Härte Wahlkampf zu betreiben. Man dürfe, so Kälberers Forderung, solche Leute nicht das Feld überlassen, "nur weil wir anderen zu höflich, zu hilflos oder schlicht zu passiv sind".

Die Wut des Martin Kälberer ist nachvollziehbar. Während damals, vor drei Jahren beim großen Flüchtlingsstrom, auf allen Bühnen, ob Sprech- oder Klangkultur, Solidarität zelebriert wurde, ist es merkwürdig still geworden auf jenem Feld, auf dem unter der Rubrik Kultur Zeitgenössisches verarbeitet wird (oder werden könnte). Hie und da mal ein Aktiönchen wie der Aufruf des Schauspielers Alexeij Sagerer, öffentliche Gebäude mit Kannen statt Kreuzen zu schmücken, dabei ist Söders Kreuzzug längst von weit dramatischeren Aktionen überdeckt worden. Hie und da eine böse Pointe auf einer Kabarettbühne. Und - natürlich - hie und da ein Newsletter, den man schnell wieder wegklickt.

So ist es durchaus ein Zeichen der Zeit, dass es der Christopher-Street-Day-Parade bedurfte, um wenigstens einen leisen kollektiven Aufschrei gegen politische Lügen und die Ignoranz des Weltenzustands hörbar zu machen. Kälberer schreibt, unser Problem seien Leute, die "gern wiedergewählt werden möchten" und deshalb versuchten, mit "Vereinfachungen, Pauschalisierungen und manchmal schlicht mit Lügen" die Stimmung zu manipulieren. In solche Vorwürfe passt gut die Einlassung eines Markus Söder, er werde künftig auf das Wort vom "Asyltourismus" verzichten, nicht aus tieferer Einsicht heraus, sondern weil das böse Wort ihm heute als kontraproduktiv im Wahlkampf erscheint.

Kälberers Brief an alle ist eigentlich auf seiner Website (www.martinmusic.de) zu lesen. Geht aber derzeit nicht auf. Kälberer weiß auch nicht, warum.

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