Propaganda im Krieg:Glauben Sie das?

Verbotene Nationalfarben in Russland, geschminkte Wunden in Nahost - noch nie war das Verbreiten von Propagandalügen so einfach. Selbst vor Fälschungen von Fälschungen schrecken die Kriegsparteien nicht zurück.

Von Johannes Boie und Tim Neshitov

"So führt Israel die Menschen in die Irre" steht auf einem Bild, das zuletzt häufig im Netz verbreitet wurde. Man findet es auf Twitter, wo es zum Beispiel vom Nutzer @shazeensamad verbreitet wird, dessen Botschaften immerhin 101 000 Menschen erreichen; viele von ihnen goutieren den antisemitischen Dreck, den er durchs Netz schickt. Das Bild poppt aber auch in Facebook-Timelines auf, es rast durch die sozialen Medien.

Es ist aus vier Aufnahmen zusammengesetzt, alle zeigen glückliche Menschen, die sich schlimme Wunden schminken. Es entsteht der Eindruck, Israel bemale gesunde Zivilisten und Soldatinnen mit herbeigeschminkten Wunden, um die eigenen Verluste im jüngsten Konflikt zu überhöhen.

Doch Recherchen des öffentlich-rechtlichen Senders France 24 zeigen, dass die Bilder mit den Geschminkten einfach nur aus dem Netz zusammengeklaut sind: unter anderem aus dem Blog eines jungen Schotten, der im Jahr 2010 einen Workshop für Spezialeffekte in Filmen besuchte und aus dem War Paint Magazine, das über die Arbeit von Make-up-Artisten bei Kriegsfilmen berichtet.

Jede Information wird geglaubt, solange sie das eigene Feindbild bestätigt

Wer Verdacht schöpft und einem Bild nachrecherchiert - egal ob im Nahostkonflikt oder bei den Kämpfen in der Ostukraine - muss schon verdammt auf Zack sein. Die technischen Möglichkeiten des Netzes haben das Verbreiten von Propagandalügen enorm beschleunigt. Ein paar Anhaltspunkte können Dateinamen und vor allem die Metadaten von Bilddateien bieten, die wenigstens zum Teil Auskunft über den Erstellungsprozess eines Bildes geben können: Wo wurde es aufgenommen, wer hat es bearbeitet? Allerdings fälschen Profis diese Daten gleich mit.

Theoretisch helfen auch Bilder-Suchmaschinen, Fälschungen zu durchblicken. Es ist mit ihnen möglich, im Netz ähnliche Bilder zu finden. So lässt sich, zumindest hypothetisch, überprüfen, ob der Kontext einer Aufnahme erfunden sein könnte. Immer öfter hilft auch die Crowd bei der Suche, gerade wenn die Bilder per Facebook und Twitter auf die Masse einprasseln. Viele Menschen kennen die abgebildeten Städte und Ecken und melden sich, falls die nicht mit der Art, wie das Bild präsentiert wird, zusammenpassen. Doch ähnlich wie bei den Kämpfen in der Ukraine sind im Nahostkonflikt fast alle, die sich melden, Partei.

Und je länger ein Krieg andauert, desto mehr steigt bei Aktivisten die Bereitschaft, jeder Desinformation zu glauben, die das eigene Feindbild bestätigt.

Im russisch-ukrainischen Internet (da viele Ukrainer auf Russisch bloggen, sind diese beiden Sphären nicht scharf von einander zu trennen) kursiert seit vergangener Woche folgende Nachricht: In der Russischen Föderation sei die Farbenkombination Blau-Gelb verboten worden. Das sind die ukrainischen Nationalfarben. Das Parlament in Moskau habe in zweiter Lesung ein Gesetz verabschiedet, das vom 1. August 2014 an die Verwendung von Blau und Gelb unter Strafe stellt. Welche Strafe genau drohen soll, wird nicht mitgeteilt.

Es werde "die Herstellung und der Import von Produkten verboten, die diese Farben enthalten, sowie deren Einsatz im Fernsehen, im Rundfunk, bei der Innenausstattung von Wohnräumen sowie in der Malerei".

Unumkehrbare gesundheitliche Schäden, angeblich

Die Begründung für das Gesetz laute: Eine Untersuchung des russischen Gesundheitsministeriums habe ergeben, dass die besagten Farben "der Gesundheit einfacher Russen einen unumkehrbaren Schaden zufügen könnten".

In der Mitteilung, die in der Sprache von Nachrichtenagenturen geschrieben ist, wird Russlands stellvertretender Gesundheitsminister Chariton Wassiljewitsch Orij zitiert. Orij sagt: "Wir haben mehr als tausend Menschen unterschiedlicher Altersgruppen untersucht. Bei fast 98 Prozent der Untersuchten verursacht beim Fernsehen der Anblick der Kombination Blau-Gelb einen aggressiv-depressiven Zustand." Einige Zuschauer hätten während der Untersuchung auf ihren Fernseher eingedroschen, andere auf Verwandte.

Das russische Parlament befindet sich seit Anfang Juli in der Sommerpause. Auch ein Chariton Wassiljewitsch Orij existiert nicht, jedenfalls nicht als stellvertretender Gesundheitsminister Russlands. Trotzdem hat die Nachricht über das Farbenverbot auf Facebook und auf Bloggerplattformen ernsthafte Diskussionen angestoßen. Ob die Schweden schon ihre Fahne von der Botschaft in Moskau entfernt hätten, fragt einer. Die Russen sollten bei sich mehr psychiatrische Kliniken eröffnen, empfiehlt jemand. Eine proukrainische Aktivistin auf der annektierten Krim meldet trotzig, sie werde weiterhin Kleidung in ukrainischen Nationalfarben tragen. Einer, der die Ente erkannt hat, schreibt: "Trotzdem, den Russen ist ja alles zuzutrauen."

Im Nahostkonflikt wiederum haben gefälschte Bilder Tradition, sie sind jedoch traditionell ein Mittel der palästinensischen Seite. Auch in der jüngsten Eskalation kamen wieder gefälschte Bilder in Umlauf, die angebliche Opfer in Gaza zeigen sollten, tatsächlich aber furchtbare Aufnahmen aus Syrien zeigten.

Mit den gefälschten Schmink-Bildern erreicht der Propagandakrieg jetzt einen neuen Höhepunkt: Bislang stellten die PR-Abteilungen der Hamas angebliche Wunden der eigenen Bevölkerung zur Schau, jetzt zeigen sie das angebliche Bilderfälschen des Gegners, es handelt sich also um eine Fälschung von Fälschungen. Israel wird so exakt jener Methode beschuldigt, deren man sich selber bedient.

Fälschungen von Fälschungen: Der Propagandakrieg hat einen neuen Höhepunkt erreicht

Auch Fälschungen, die Kreml-Propagandisten im Staatsfernsehen und im Internet verbreiten, haben sich in den vergangenen Monaten ins Bizarre gesteigert. Anfang März, kurz vor dem Referendum auf der Krim, zeigte der Zentralsender Perwij Kanal noch eine Autoschlange vor dem Grenzübergang Shehyni. Die Aufnahmen sollten einen Bericht über einen wachsenden Strom ukrainischer Flüchtlinge nach Russland bebildern, von 600 000 Flüchtlingen war die Rede. Es reicht, "Shehyni" zu googeln, um zu erfahren, dass der Grenzübergang sich an der ukrainisch-polnischen Grenze befindet.

Zuletzt wurde dem russischen Publikum eine Version der MH17-Tragödie präsentiert, wonach die Passagiere der abgeschossenen Boeing bereits vor dem Abflug alle tot waren. Diese Version wurde vom Separatistenführer Igor Strelkow in Umlauf gebracht und von Hobbyjournalisten zurechtrecherchiert. Laut superomsk.ru, einer behördlich lizenzierten Nachrichtenagentur mit Sitz im sibirischen Omsk, hätten amerikanische Geheimdienste die Boeing mit Leichen vollgestopft und über der Ukraine abgeschossen.

Der Moskauer Historiker und Publizist Nikolaj Swanidse vermutet, dass der Kreml diesen Propagandakrieg verlieren wird. Denn einerseits erzähle Putin im Westen, Russland würde keine Separatisten unterstützen, und andererseits müsse er dem Publikum zu Hause immer weitere Beweise für das Gegenteil liefern. "Man kann sich nicht entzweien, und es klappt auch nicht."

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