Projekt Zeitungszeugen:Tanz der Teufel

Angesichts der beschlagnahmten Nazi-Nachdrucke durch den bayerischen Freistaat stellt sich die Frage: Soll der Staat seine Bürger vor NS-Dokumenten schützen?

Marc Felix Serrao

Bayern im Januar 2009. Am vergangenen Donnerstag verteilte der englische Verleger Peter McGee trotz Verwarnung und zum zweiten Mal ohne Erlaubnis den kompletten Nachdruck einer NS-Zeitung aus dem Jahr 1933 an 40.000 deutsche Zeitschriftenhändler.

Projekt Zeitungszeugen: Dämonen, die nicht so schnell kleinzukriegen sind: Das Projekt "Zeitungszeugen".

Dämonen, die nicht so schnell kleinzukriegen sind: Das Projekt "Zeitungszeugen".

(Foto: Foto: dpa)

Am Freitag trat der Freistaat Bayern in Aktion. Der hält bis heute die Nutzungsrechte des Eher-Verlags, in dem in den zwanziger Jahren und während der NS-Zeit Nazizeitungen wie der Völkische Beobachter, Der Angriff und Das Schwarze Korps, sowie Adolf Hitlers "Mein Kampf" erschienen.

Alle im Handel befindlichen Faksimiles des Völkischen Beobachters seien sofort zu beschlagnahmen, hieß es, was zumindest in der Landeshauptstadt am Wochenende noch nicht vollständig gelang.

Dämonen zum Leben erwecken

Nun können Wörter Dämonen zum Leben erwecken, das weiß jeder Horrorfilmfan. In Sam Raimis berühmter "Tanz der Teufel"-Reihe muss Bruce Campbell als Zombiejäger Ash oft gegen Wörter kämpfen, die in bösen alten Büchern wohnen. Vom "Necronomicon ex mortis" heißt es im dritten Teil, dass seine Leser mit den richtigen Beschwörungsformeln Dämonen wachrufen können. Im Film reicht Ash eine Kettensäge, um die "Armee der Finsternis" zu bezwingen.

In der Wirklichkeit sind Dämonen nicht so schnell klein zu kriegen. Die Zeitungsverkäuferin am Münchner Hauptbahnhof meinte am Samstag zwar sehr mürrisch, "das Ding" sei bereits komplett eingestellt worden. Doch an vielen Kiosken lag es noch aus. "Das ist das, worüber geschrieben wird, nicht?", fragte ein Schwabinger Tabakhändler konspirativ. Genau. "3,90, bitte." Danke.

Auch gegen McGee wird ermittelt. Der Verleger, ließen die Verwaltungsjuristen wissen, habe in seinen Zeitungszeugen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet und gegen das Urheberrechtsgesetz verstoßen.

Der Publikation lagen jeweils drei Faksimiles bei, darunter jedes Mal ein NS-Blatt; erst Joseph Goebbels Angriff, nun der Völkische Beobachter, das "Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands". In der neuen Ausgabe findet man außerdem noch ein Plakat, mit dem die NSDAP den Reichstagsbrand zum Wahlkampfthema erklärte.

McGee ist da in eine Debatte geraten, die schon seit Jahren tobt, meist um die Wiederveröffentlichung von "Mein Kampf". Der Verleger hat den Konflikt kommen sehen und sich bereits vor Monaten Rechtsbeistand gesucht. Er werde nicht klein beigeben, sagte er der SZ, sich notfalls durch alle Instanzen für sein Projekt klagen.

Entschlossene Gegner

Ähnlich entschlossen klingen seine Gegner. Mit der Frage der Legalität der Nachdrucke wird sich wohl schon bald ein Gericht befassen, wahrscheinlich in München und hoffentlich öffentlich. Bleibt die Frage der Legitimität: Darf die deutsche Gesellschaft zulassen, dass man NS-Publikationen wieder eins zu eins am Kiosk kaufen und lesen kann? Denn darum geht es wirklich.

Der dünne Mantelteil von McGees Zeitungszeugen, in dem Wissenschaftler die beigelegten Faksimiles kritisch aber knapp kommentieren, ist schnell entfernt - darauf haben McGees Kritiker zu Recht hingewiesen. Ein kompletter Nachdruck, der einfach entnommen werden könne, beinhalte aber eine Missbrauchsgefahr, "die nicht akzeptiert werden kann", schrieb Bayerns Finanzministerium, das die Verlagsrechte für den Freistaat verwaltet. "Nicht viel mehr als ein Briefumschlag fürs Nazi-Dokument", empörte sich ein Rezensent in der FAZ, dem die Sache so "hautnah" ging, dass er das bürgerliche (Deutsche Allgemeine Zeitung) und das kommunistische (Der Kämpfer) Dokument in demselben Umschlag glatt zu erwähnen vergaß.

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Tanz der Teufel

Die Debatte hinter der Debatte über McGees Zeitungszeugen aber handelt von der Frage, ob sich die Deutschen noch vor ihrer Vergangenheit beschützen müssen. Es geht dabei nicht um einen Briten, der mit betriebswirtschaftlichem Kalkül ein deutsches Verbot ignorieren wollte. Es geht um das ganze alte Zeug: Nazi-Presse, Nazi-Bücher, Nazi-Poster, sogenannte "Vorbehaltsfilme" wie "Jud Süß" oder "U-Boote westwärts!" und natürlich das deutsche Necronomicon schlechthin: Hitlers "Mein Kampf".

All das ist nicht verboten, aber bis heute auch nicht richtig erlaubt. Ein Buch wie "Mein Kampf" darf man besitzen, neu auflegen darf es aber hierzulande noch bis zum 31. Dezember 2015 keiner. Ein antisemitisches Propagandawerk wie "Jud Süß" darf man sich ansehen, aber nur in geschlossener Gesellschaft und nach einem kritischen Vortrag.

Die Frage nach dem Sinn solcher Vorsichtsmaßnahmen wurde so oft gestellt, dass viele der alten Diskutanten in diesen Tagen nur noch matt abwinken. Doch vielleicht ist das geplante Zeitungszeugen-Verbot ja genau der richtige Anlass, um noch einmal grundsätzlich über böse deutsche Wörter und den richtigen Umgang mit ihnen zu diskutieren.

Die Rolle des Internet

Heute, wo die alten Nazis fast alle tot sind und ihre nationaldemokratischen und rechtsautonomen Wiedergänger allem staatlich subventionierten Antifaschismus zum Trotz in zwei Parlamenten sitzen und in Teilen Mittel- und Ostdeutschlands eine selbstbewusste Mehrheitskultur ausgebildet haben. Da fragt sich schon, ob der alte, wohlmeinende Paternalismus antidemokratische, juden- und fremdenfeindliche Strömungen wirklich aufhält oder am Ende gar befördert.

Der Verweis auf das Internet mag albern wirken, aber wer weiß, über was für Kommunikationsmittel die Damen und Herren der bayerischen Verwaltung verfügen, die offenbar immer noch glauben, sie könnten einer "ungefilterten Verbreitung" alter NS-Propaganda "in nationalsozialistischen Kreisen" vorbeugen.

"Mein Kampf" kann sich jeder Interessierte ohne langes Suchen runterladen, dafür gibt sogar einen Link bei der englischen Wikipedia. Filme wie "Jud Süß" sind in Videoportalen abrufbar, meist führt schon einer der ersten Treffer bei Google dorthin.

Was, wenn kein Affront mehr droht?

Dem Freistaat gehe es um den Respekt vor den Opfern des Holocausts, stand in einer Pressemitteilung des bayerischen Finanzministeriums. Für diese seien Neuveröffentlichungen von NS-Hetzblättern "immer wieder ein Affront". Das klingt nobel, ist aber zynisch. Denn demnach hätte der Freistaat nur Respekt vor noch lebenden Opfern des Naziterrors.

Was, will man fragen, wenn der letzte Holocaust-Überlebende verstorben ist, also kein Affront mehr droht? Dürfen die Druckmaschinen dann wieder angeworfen werden? Weiter, schreiben die Juristen, werde das Verbot "seit Jahrzehnten im In- und Ausland begrüßt und unterstützt". Wenn das mal noch stimmt. In Israel gibt es "Mein Kampf" inzwischen sogar auf Hebräisch.

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Tanz der Teufel

Auch in diesen Tagen hat das Ausland wenn überhaupt, dann gelassen auf die alten NS-Blätter reagiert. "Deutsche kaufen Nazi-Nachrichten-Nachdrucke" stand vergangene Woche etwa in der Taiwan News, gefolgt von einem sehr sachlichen Bericht. Eine angehende deutsche Lehrerin bezeichnete die Nachdrucke darin als sinnvolles Unterrichtsmaterial, mit dem sie ihren Schülern zeigen könne, "wie die Originale wirklich aussahen"; ein Argument, dass der Verleger und sein wissenschaftlicher Beirat bereits bei der Vorstellung der Zeitungszeugen am 7. Januar in Berlin vortrugen.

In einem dringlichen Appell an den Freistaat, sein Verbot zu überdenken, haben die Wissenschaftler ihre Überzeugung noch einmal bekräftigt: "Nur wer Hitlers Hassreden oder Goebbels Hetztiraden nachgelesen, ja möglichst gehört und gesehen hat, kann sich ein einigermaßen authentisches Bild über den Weg in die schlimmste Katastrophe der Geschichte der Neuzeit machen", schrieben Historiker wie Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Barbara Distel, langjährige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau und der weltweit geachtete Geschichtsgelehrte Hans Mommsen.

Verbot mit gegenteiliger Wirkung

Ein strenger Verschluss führe zum Gegenteil dessen, was der Freistaat anstrebe - zur "Mystifizierung und Überhöhung der NS-Propaganda". Erst das Etikett "böse und gefährlich" mache das Material für die extreme Rechte attraktiv.

Wozu solche Verbote führen, zeigte zuletzt das Beispiel "Thor Steinar". Als die ersten Mützen und T-Hemden der Kleidungsmarke vor sieben Jahren im Versandhandel angeboten wurden, trugen sie ein Logo, das aussah wie eine horizontale Wolfsangel mit einem Pfeil darüber.

Wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (die vertikale Wolfsangel mit Querstrebe war das Zeichen des Deutschen Jungvolkes) wurde das Logo verboten - und Thor Steinar zur beliebtesten Marke autonomer Nationalisten und rechtsradikaler Hooligans. Heute hat die Firma ein anderes Logo, dafür aber eine riesige Produktpalette mit mehreren Kollektionen, auch für Frauen und Kinder. Und Läden in sechs deutschen Städten.

"Das Tageslicht hat es verscheucht"

Neue Nazis verhindert man genauso wenig mit Verboten von Zeitungen, deren altdeutsche Lettern die meisten jungen Rechtsextremisten ohnehin nicht entziffern können, wie mit dem immer wieder und bequem beschworenen Verbot der NPD. In letzterem Fall stärkt das Gerede nur den Zusammenhalt der Szene und deren Anziehungskraft auf Jugendliche, die Verbotenes schon aus hormonellen Gründen reizt. Wer mit Abgeordneten spricht, die jeden Tag neben Neonazis im Landtag sitzen, hört oft, dass nur das Gegenteil funktioniert: die offene und immer wieder gesuchte Auseinandersetzung.

Das gilt auch für den Völkischen Beobachter, dieses angeblich immer noch so gefährliche Hetzblatt. "Ein Mann - ein Volk!" steht da im Faksimile der Zeitungszeugen über einer großen Eloge, die mit den Worten "Der eine Mann ist Adolf Hitler, das eine Volk ist das deutsche" beginnt und so auf etwa 100 Zeilen weiter stampft. Da geht es um die "Ganzheit und seligende Gemeinsamkeit" des Deutschseins und die "Urvoraussetzungen des Daseins" an sich.

Am Ende schreibt der namenlose Autor, was er von "verantwortungslosen Intellektuellen" und der "Unmenge einzelgängerischer Geistesbelustigungen" hält: "Etwas Barbarischeres als die Unkultur der alle deutschen Heiligtümer zerstörenden Zivilisationsliteratur hat es ohnehin nie gegeben." Wie sagt Geisterjäger Ash im zweiten "Tanz der Teufel": "Das Tageslicht hat es verscheucht."

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