Programmtipps im Berlinaleblog:Sieben Filme, die Sie auf der Berlinale sehen sollten

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Homosexualität im Fußball: Der ungarische Berlinale-Film "Land of Storms" greift ein Thema auf, das in Deutschland eben erst öffentlich diskutiert wurde.

(Foto: Festival)

George Clooney wird kommen, Tilda Swinton und Ralph Fiennes sind schon da: Der Glamour-Faktor der diesjährigen Berlinale ist hoch. Doch das ist es nicht, was Deutschlands größtes Filmfestival in Wahrheit auszeichnet. Die eigentlichen Stars sind die vielen kleinen Perlen des Weltkinos. Sieben Tipps.

Von Paul Katzenberger

George Clooney wird kommen, Tilda Swinton und Ralph Fiennes sind schon da: Der Glamour-Faktor der diesjährigen Berlinale ist hoch. Doch das ist es nicht, was Deutschlands größtes Filmfestival in Wahrheit auszeichnet. Die eigentlichen Stars sind die vielen kleinen Perlen des Weltkinos. Sieben Tipps.

"Was ist mit Clooney?" Die erste Frage, die bei der diesjährigen Programm-Pressekonferenz der Berlinale gestellt wurde, brachte das offenbar wichtigste Thema auf den Punkt. Doch der Sachverhalt konnte ebenso knapp geklärt werden. "George Clooney kommt!", sagte Berlinale-Chef Dieter Kosslick, der dabei sehr feierlich klang und hinzufügte: "Das ist für das Land sehr wichtig."

Für die Berlinale-Macher ist Clooneys Erscheinen Clooneys natürlich auch wichtig, und für das Publikum irgendwie ebenfalls. Bei letzterem trifft das allerdings nur für den Teil zu, der sich zu gegebener Zeit am roten Teppich einfindet, und der dann , im Massenpulk, noch das unverschämte Glück hat, den Superstar für einige Sekunden in die Sichtachse zu bekommen.

Des ultimativen Frauenschwarms leibhaftig gewahr zu werden, ist das eine. Ihn auf der Leinwand bei der Entfaltung seiner Schauspiel-Kunst zu verfolgen, das andere. Auch das ist bei der Berlinale selbstverständlich möglich, doch bestimmt nicht nötig: Sein Film "The Monuments Men" läuft bereits in zwei Wochen in den deutschen Kinos an. Dann kann man dem Helden jenseits der Festival-Massen in aller Ruhe dabei zuschauen, wie er in dem Kunstraub-Drama gute Taten vollbringt.

George Clooney auf der Berlinale 2006

Die Berlinale, ein einziger G-Spot: Schon 2006 war der Auflauf groß, als George Clooney da war.

(Foto: dpa/dpaweb)

Was ein großes Festival wie die Berlinale besonders macht, sind ohnehin nicht Stars wie Clooney, sondern die vielen Filme von weithin unbekannten Filmemachern aus allen Winkeln der Welt. Wie schon im vergangenen Jahr sollen auch an dieser Stelle einige Empfehlungen ausgesprochen werden, die durch den Berlinale-Dschungel von genau 409 Filmen führen sollen. Und zwar jenseits von Clooney. Sieben Tipps.

Kathedralen der Kultur

George Clooney einmal in natura gesehen zu haben, ist natürlich großartig, ein geballtes Ensemble unterschiedlicher Filmemacher auf einen Schlag serviert zu bekommen, ist vielleicht aber noch beeindruckender. Das Film-Projekt "Kathedralen der Kultur" bietet genau das: Oscar-Preisträger Robert Redford führte in dieser Doku Regie, ebenso wie Wim Wenders (Goldene Palme, 1984), Michael Madsen, Margreth Olin, Karim Ainouz und Michael Glawogger.

Ainouz begegnet uns bei dieser Berlinale auch im Wettbewerb und Glawogger ist zwar nicht so bekannt wie Redford oder Wenders, doch in der Film-Szene ist er Kult. Seine Doku "Whores' Glory" zeigt die schmutzige Seiten der Prostitution schonungsloser auf als es Alice Schwarzer je vermocht hätte.

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Ikonen der Architektur - präsentiert von arrivierten Filmemachern,

(Foto: Festival)

In "Kathedralen der Kultur" präsentieren die fünf Regisseure jeweils eine Architekturikone wie die Russische Nationalbibliothek oder das Osloer Opernhaus, in ihrer unverwechselbaren Handschrift und in 3D. Zu den wichtigsten Pionier-Arbeiten dieser Filmtechnik gehört Wim Wenders "Pina" von 2011.

All das können die Zuschauer unmittelbar aktiv verarbeiten, denn im Anschluss an die Vorführung des Films stellen sich einige der beteiligten Filmemacher der Diskussion mit dem Publikum - George Clooney ist da wahrscheinlich schon wieder abgereist.

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Wu ren Qu (No Man's Land)

Die zunehmende Präsenz chinesischer Filme ist einer der wichtigsten Trends im aktuellen Weltkino. In diesem Jahr schlägt er voll auf die Berlinale durch. Allein drei Filme bietet China im aktuellen Wettbewerb auf, und vor allem die Mischung von westlichen und fernöstlichen Einflüssen ist es, die dabei fasziniert. Denn chinesische Regisseure werfen inzwischen einen sehr wahrhaftigen Blick auf das eigene Land und verarbeiten die gewonnenen Erkenntnisse mittels genau jener Filmgenres, die im Westen eine lange Tradition haben.

Im Wettbewerb der Berlinale schlägt sich das in einem Sozialdrama ("Tui Na"), einem Film noir ("Bai Ri Yan Huo") und in "Wu Ren Qu" nieder, einem Thriller mit Western-Anleihen à la Sergio Leone. Dass chinesische Thriller Wahrheit transportieren können, bis es schmerzt, beweist derzeit "A Touch of Sin" in den deutschen Kinos. Ob es bei "No Man's Land" genauso schlimm wird?

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Wahrheit bis es schmerzt: Vielleicht auch im Berlinale-Wettbewerbsfilm "No Man's Land".

(Foto: Festival)

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To mikro psari (Stratos)

Wenn Griechenland in den vergangenen Jahren positiv in Erscheinung trat, dann oft durch Filmemacher wie Athina Tsangari oder Giorgios Lanthimos, die auf den Festivals und in den Feuilletons für ihre extravaganten Filme gefeiert wurden. Zu dieser Generation innovativer Regisseure zählt auch Yannis Economidis, der es bei dieser Berlinale mit seinem aktuellem Film "To mikro psari" in den Wettbewerb geschafft hat.

Economidis ist in seiner Erzählweise konventioneller als die genannten Kollegen, was ihm ein größeres Publikum erschließt. Für ein solches könnte sich "To mikro psari" als interessant erweisen, denn mit der Krise Griechenlands greift der Regisseur ein brandaktuelles Thema auf. Wie sich die hellenische Notlage aus Sicht der Betroffenen anfühlt, versucht er an der klassischen Filmfigur des Auftragsmörders begreiflich zu machen. Ein Ansatz, der einmal andere Aspekte dieser Tragödie vermittelt, als die täglichen Krisenmeldungen in der Tagesschau.

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Ein Auftragsmörder und die griechische Krise: Szene aus "Stratos".

(Foto: Festival)

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La tercera orilla (The Third Side of the River)

Stichwort Finanzkrise. Sie treibt die Filmemacher weltweit seit Jahren um. Doch inzwischen adressierten sie diese häufig nicht mehr direkt, sondern kommentierten vielmehr ihre Konsequenzen, etwa auseinanderbrechende Sozialstrukturen, sagt Berlinale-Chef Dieter Kosslick. Zu den Unschuldigen, die davon betroffen seien, gehörten Millionen von Kindern und Jugendlichen.

Deren häufig hartes Schicksal thematisiert die Berlinale dieses Jahr auffallend oft - allein dreimal im Wettbewerb. Das argentinische Drama "La tercera orilla" greift das Thema auf und ist zudem mit Ingredienzien angereichert, die neugierig machen. Es geht um Konvention, Verlogenheit, ökonomische Abhängigkeit und Wahrhaftigkeit. Viel mehr kann ein Film nicht bieten.

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Das harte Schcksal junger Leute: "La tercera orilla" zeigt es in der argentinischen Gesellschaft.

(Foto: Festival)

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Last Hijack

An der Piraterie vor der Küste Somalias hat sich das Kino zuletzt immer wieder abgearbeitet, sogar Tom Hanks ist für seinen "Captain Phillips" inzwischen für einen Oscar nominiert.

Sehr intelligent hat das Thema das dänische Drama "A Hijacking" aufgegriffen, weil es den Konflikt zwischen armem Afrika und reichem Westen, für den die moderne Piraterie steht, zwischen den Parteien auf Augenhöhe ablaufen lässt: Die bewaffneten Piraten und die wehrlose Mannschaft des gekaperten Schiffes stehen hier einander nur am Rande gegenüber, im Mittelpunkt stehen der Piratenchef und der Reeder, die über Satellitentelefon das Lösegeld aushandeln. Der Poker, der sich dabei entspinnt, ist eine faszinierende Lehrstunde in Sachen Machtausübung. Die so kühl durchkalkulierende und unbesiegbar erscheinende Rationalität des Westens scheitert hier an einfachen Gegenmitteln - etwa einem komplett anderen Zeitbegriff.

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Dokumentar-, Spiel- und Animationselemente: Der Film "Last Hijack" auf der Berlinale.

(Foto: Festival)

Bei der Berlinale taucht dieses ergiebige Thema nun in Form des Panorama-Beitrags "Last Hijack" auf. Der Film ist als Doku klassifiziert, doch Panorama-Chef Wieland Speck legt viel Wert darauf, "Last Hijack" nicht nur einer Form zuzuordnen. Der Film von Tommy Pallotta enthalte vielmehr Dokumentar-, Spiel- und Animationselemente. Die Verweigerung der Einordnung ist vielleicht genau das Richtige, um einen so facettenreichen Stoff anzugehen.

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Viharsarok (Land of Storms)

Es ist erst wenige Wochen her, da hat der Fall Hitzlsperger das Land bewegt. Wir fragten uns, wie respektvoll wir im Umgang mit Andersartigkeit und Normabweichung wirklich sind, wenn es für einen homosexuellen Fußballer immer noch eine gewaltige Mutprobe darstellt, sich offen zu seinem wahren Ich zu bekennen.

Die Berlinale bietet einen Film zu diesem Thema an, und der kommt ausgerechnet aus Ungarn - einem Land also, das derzeit nicht unbedingt für emanzipatorische Tendenzen steht. Umso interessanter könnte es sein, mitzuverfolgen, wie Regisseur Ádám Császi das Thema entwickelt. Denn gerade in repressiven Gesellschaften fühlen sich Künstler oft herausgefordert, Tabus konsequent zu benennen.

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Homosexualität im Fußball: Der ungarische Berlinale-Film "Land of Storms" greift ein Thema auf, das in Deutschland eben erst öffentlich diskutiert wurde.

(Foto: Festival)

Von Ungarn lernen? Warum nicht? Das Land hat in Sachen Fußball schließlich noch eine Rechnung mit Deutschland offen.

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Anderson

Das deutsche Kino ist bei dieser Berlinale so stark vertreten wie seit Jahrzehnten nicht mehr: Vier deutsche Filme im Wettbewerb, das gab es zuletzt vor 28 Jahren. So schön das ist - unbedingt sehen muss man diese Werke auf der Berlinale nicht. Denn bis auf "Jack" haben alle deutschen Wettbewerbsfilme bereits einen Starttermin im Kino, warum also nicht deutsches Kino auf der Berlinale wahrnehmen, das vielleicht nicht auf der Leinwand zu sehen sein wird?

Dafür bietet sich die Doku "Anderson" von Annekatrin Hendel an, für die noch kein Kinostart ausgehandelt ist. Sie befasst sich mit Sascha Anderson, dem Charismatiker der alternativen Literaturszene im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg der Achtzigerjahre. Wie sich herausstellte, war er eifriger Informant der DDR-Staatssicherheit. Der Film will zeigen, wie tief die Verletzungen noch sitzen, die er seinen einstigen Kollegen und Freunden beibrachte - und das im 25. Jahr nach dem Mauerfall.

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Das perfide Überwachungssystem der DDR: Auch 25 Jahren nach dem Mauerfall beschäftigt es die Menschen, etwa in der Berlinale-Doku "Anderson".

(Foto: Festival)

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