Produkt-Piraterie:Zigaretten, Viagra, Abitur!

Nike-Imitate kosten zwölf Euro, Chanel-Parfüms 15 Euro, oder wollen Sie für einen Euro drei Stallone-DVDs? Ein Besuch auf dem "Markt der vier Tiger" in Budapest, dem größten Schwarzmarkt Europas.

Alex Rühle

Stroboskopartig springen einen all die kleinteiligen Waren an, die hier durcheinanderliegen, Strass-Ohrringe und originalverpackte Kosmetika, Musik-CDs, gefälschte Nike-Schuhe, Silikonbrüste, Klappmesser, Badeschlappen. In einer Bude hängen über Luftdruckpistolen lindgrüne Slips mit dem Aufdruck "Nonstop 0 - 24". Am Nebenstand hat man sich auf ein T-Shirt des Rappers 50 Cent spezialisiert, sodass einen hundertmal der Satz "Get rich or die trying" anplärrt. Ein Händler hat DVDs im Arm, Filme, unter anderem den neuen mit Jim Carrey, der in Ungarn noch gar nicht angelaufen ist. Der Mann ruft: "Zigaretten, Viagra, Abitur, Gasspray, Sprachprüfungen, Rechnungen." Dann beginnt er die surreale Aufzählung von vorne: "Zigaretten, Viagra, Abitur..." Ob er denn auch MP3-Player habe? "Kein Problem, komm morgen wieder."

plagiate schwarzmarkt

Ein russischer T-34 Panzer zerstört CD-und DVD-Plagiate auf dem Mosfilm-Gelände außerhalb Moskaus.

(Foto: Foto: dpa)

Willkommen auf dem "Markt der vier Tiger" in Budapest, dem größten Umschlagplatz für Plagiate in Europa. Nike-Imitate kosten zwölf Euro, Chanel-Parfüms 15 Euro, oder wollen Sie für einen Euro drei Stallone-DVDs? Über dem Eingangstor thront der schmiedeeiserne Namenszug, verziert wie das Emblem eines bankrotten Zirkusunternehmens, vier rostige Tiger, die augenrollend ihre Krallen zeigen. Darunter hängt ein großes Warnschild: Keine Schusswaffen, keine Fotos, keine Hunde.

Die Hütten, Wellblechdächer, Plastikplanen ziehen sich an den Gleisen eines Güterbahnhofs entlang und werden von einer kilometerlangen doppelstöckigen Reihe von Frachtcontainern begrenzt, in denen die chinesischen Händler ihre Lager haben. Als ein drahtiger Packer eine der Containertüren aufmacht, sitzen dahinter zehn Mann inmitten eines Hemdenberges und blinzeln ins Licht. Wenn man sich hier, hinter den Buden, aber als Tourist umtut, stehen plötzlich Typen vor einem, die nicht so aussehen, als verdienten sie ihr Geld mit Lyrikübersetzungen oder Klavierstunden, sinistre Ungarn von den "Sicherheitsfirmen", die offiziell die Aufgabe haben, den Markt zu bewachen, aber eindeutig die größte Gefahrenquelle darzustellen scheinen.

Das Gelände gehört der MAV, der ungarischen Staatseisenbahn. Sie verpachtet es an ungarische "Unternehmer", von denen einige schon wegen schwerer Verbrechen im Gefängnis saßen. Gerade erst stand in der Zeitung, der Markt werde bald geschlossen. Aber der Satz wurde in den vergangenen 15 Jahren so oft geschrieben, dass ihn keiner mehr glaubt.

Eigentlich fing es 1988 an. Damals schlossen die Ungarn mit der chinesischen Regierung ein Handelsabkommen nebst wechselseitiger Visafreiheit. Zwei Jahre später lebten 40000 Chinesen in Ungarn. Sie alle hatten sich über Russland aufgemacht, oft nur einen Haufen Hosen, Pfauenfedern oder Schuhe im Rucksack, und ihr Zeug an einer Straßenecke verkauft. Mit Einladungsbriefen konnten sie Landsleute nachholen. 1992 wurde die Visafreiheit gestrichen. Bis dahin aber hatten die Chinesen längst gelernt, wen man schmieren muss, wie man Dokumente fälscht, wie man alle Toten so diskret selbst entsorgt, dass man deren Papiere Neuankömmlingen geben kann, und dass man nur eine Firma gründen muss, schon dürfen einen die Behörden nicht mehr des Landes verweisen. Heute gibt es in Ungarn noch im kleinsten Nest chinesische Billigläden, die asiatischen Kleidergeschäfte haben landesweit einen Marktanteil von 25 Prozent.

Schuhe fürs Fußvolk

Im November vergangenen Jahres fanden Zöllner im Hamburger Hafen in 115 Containern Markenplagiate im Wert von 383 Millionen Euro, Uhren, Spielzeug und mehr als eine Million gefälschte Turnschuhe, Schuhe fürs Fußvolk der Globalisierung. Das meiste davon sollte nach Budapest weitergeleitet werden.

Auf dem Vier-Tiger-Markt kaufen die ärmeren Schichten Budapests ein, das Ehepaar, das Sandalen anprobiert; die humpelnde Frau, die murmelnd in Plastikgeschirrbergen kramt. Vor allem aber ist der Markt eine Art Brückenkopf nach Europa. In der Adidas-Zentrale in Herzogenaurach weiß man, was hier passiert. Ulf Wingen sagt, 2006 seien "weltweit über sechs Millionen gefälschte Adidas-Produkte beschlagnahmt worden". Für Wingen, der bei Adidas zuständig ist für die Verfolgung von Produktpiraterie, ist der Vier-Tiger-Markt Drehscheibe großer Händler, "die die Fäden im Hintergrund ziehen und die Produkte nach Mittel- und Osteuropa weiterverkaufen."

Das Überraschende ist, wie offensichtlich all das vor sich geht: Überall stehen hier Kleinlaster, die am helllichten Tag mit Hunderten Kartons beladen werden. Durch die engen Gänge der Buden streifen Rumänen, Türken, Serben mit prall gefüllten Müllbeuteln. Sie haben eng beschriebene Listen dabei und schaffen Hemden, Schuhe, Spielzeug mit Sackkarren weg. Und in hiesigen Einkaufszentren hängen tonnenweise Waren, die morgens von lauthals palavernden Pärchen gekauft, umetikettiert und für den dreifachen Preis angeboten werden. Die Polizei kommt selten. Im Dezember wurden bei einer Razzia Waren für 100000 Euro beschlagnahmt. Es gab ein paar Strafverfahren, drei Läden mussten schließen - ein Tropfen auf den schönen Schein.

Eine Frau mit Strohhut kommt mit einem Handwägelchen voller Zeitungen vorbei. In Budapest werden sechs chinesische Wochenzeitungen und eine Tageszeitung hergestellt. Die Zeitungen sind voll mit Fotos erfolgreicher chinesischer Unternehmer, die entweder mit chinesischen Würdenträgern oder mit Spitzenpolitikern des jeweiligen Landes in einer Metropole abgelichtet werden. Die Journalisten scheinen sich so wenig ums Urheberrecht zu scheren wie die Schwarzmarkthändler, für die diese Blätter in erster Linie produziert werden: Die Texte werden aus chinesischen Internet-

Zeitungen zusammenkopiert. Ungarn taucht nur auf, wenn es um die gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen geht. Einzig die Immobilienanzeigen für Villen am Budapester Stadtrand und die Adressen der Firmen, die hier inserieren, weisen daraufhin, dass diese Zeitung nicht in China hergestellt und gelesen wird.

Global Dada: vy moglcal golden

Die Chinesen leben in Budapest in einem Paralleluniversum. Es gibt eine Filiale der Bank of China, mehrere Tempel und eine Grundschule, in der 130 Kinder zweisprachig unterrichtet werden. Auf dem Markt sitzen die Händler, wenn sie nicht in Zehnerpulks Karten spielen, vor kleinen Fernsehern, auf denen sie chinesische Programme schauen. Einige Migranten produzieren hier in Budapest die erfolgreiche Soap "Gelbe Sonne über der Donau", in der Ungarn und das restliche Europa nur als ferne, verstaubte Kulisse für die Erfolgsgeschichten junger, aufstrebender Auslandschinesen fungiert.

Lin Tiao, der hier seit neun Jahren Schuhe verkauft, sagt, er sei nicht aus akuter Not aus Sichuan weggegangen, sondern weil er in Ungarn so viel mehr verdiene als zu Hause als Beamter. Seine Frau und die Kinder sitzen weiterhin in Sichuan und produzieren Sweatshirts. Ungarn interessiere ihn nicht, er wolle bald zurück nach China.Außerdem könne er einem einen special price machen, Zehn Euro, echt Nike. Am Nebenstand ist ein rosa Kinder-Shirt mit wunderbarem Globalisierungs-Dada bestickt:

"Aceryone love them

Love axb the blossoms

is vy moglcal golden"

Derzeit sind etwa 3500 chinesische Unternehmen in Ungarn registriert. Sie beliefern auch Multis wie C & A. Die Volksrepublik exportierte 2005 Waren im Wert von vier Milliarden Dollar nach Ungarn, zwei Drittel davon wurden weitergeschickt in andere europäische Länder. Da ist es nur folgerichtig, dass das chinesische Handelsministerium in Budapest ein chinesisches Handelszentrum bauen will, um von hier aus auch offiziell die Verteilung chinesischer Waren in die EU kontrollieren zu können.

Hinten, am Ende des fast zwei Kilometer langen Marktes gibt es chinesische Imbissbuden, an denen man die einzigen unverfälschten Produkte bekommt: köstlich scharfe Nudelsuppe, Tofu mit Ingwer und geheimnisvolles Wabbelfleisch. In der Schlange steht ein Mann, der seine abgegriffene Plastiktüte auf den Tisch legt, pralle Bündel mit 20-Dollar-Scheinen rausholt, sie wortlos einem Mann hinlegt, der Bohnen isst, und dann im Warengewühl verschwindet.

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