Präventivkriege:Washington ist das neue Sparta

Angriff als beste Verteidigung? Der Rechtswissenschaftler Martin Kunde legt eine grundlegende Ideengeschichte des Präventivkrieges vor.

Thomas Speckmann

"Lakedämonier! Stimmt, wie es Spartas würdig ist, für den Krieg! Lasst nicht die Athener zu mächtig werden! Wir wollen unsere Bundesgenossen nicht verraten, sondern mit den Göttern gegen die Frevler ins Feld ziehen!"

300 Sparta; Warner/ ddp

Sparta als Vorbild: Filmszene aus "300".

(Foto: Foto: Warner/ ddp)

Bereits beim griechischen Historiker Thukydides findet sich der Gedanke des vorbeugenden Schlages gegen einen mächtiger werdenden Feind. In seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges schildert er, wie Sparta um die Entscheidung rang, ob der wachsenden Macht Athens mit Krieg begegnet werden sollte, um der Gefahr auch für die eigenen Verbündeten vorzubeugen.

In ihren Reden gegen den zu Mäßigung mahnenden Spartaner-König Archidamos II. warben seine innenpolitischen Gegner eindringlich für den Krieg, indem sie dessen präventiven Charakter betonten.

Historisches Verständnis

Wie wenig die Idee des Präventivkrieges eine jüngere Erfindung ist, zeigt auch ein Blick auf die etymologische Herkunft dieses Begriffs, der aus der Diplomatensprache des 18. und 19. Jahrhunderts stammt. Im Zuge der Zurückdrängung des Französischen als "lingua franca" von Politik und Diplomatie bürgerte sich der deutsche Ausdruck - als Teilübersetzung von "guerre des précaution" und "guerre préventive" - ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland ein. Im englischen Sprachraum lässt sich der Begriff "preventive war" bereits im frühen 17. Jahrhundert nachweisen.

Die ebenfalls verbreitete Bezeichnung "preemptive war" beruht hingegen auf einer Besonderheit im amerikanischen Sprachgebrauch, nach der die Ausdrücke "preemptive" und "preventive" synonym verwendet werden.

Hintergrund dieser Gleichsetzung sind die in Verkennung des römisch-rechtlichen Vorkaufsrechts als "pre-emption laws" bezeichneten Gesetze, die bis 1891 Siedlern im Westen der Vereinigten Staaten das Eigentum an dem von ihnen urbar gemachten und bewirtschafteten öffentlichen Grund und Boden einräumten. Der Eigentümer konnte dann andere von der Nutzung ausschließen, weil er diesen durch die Landnahme vorausgekommen war. "To preempt" wird daher zugleich im Sinne von "to prevent something by taking action in advance" verstanden.

Historisches Verständnis zu wecken ist auch das große Verdienst von Martin Kunde. Denn eine grundlegende Studie über die ideengeschichtliche Entwicklung von Präventivkriegen, wie sie der Würzburger Rechtswissenschaftler nun vorlegt, ist mehr als überfällig in einem Land, in dem sich die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gegen den amerikanischen Präventivschlag am Golf ausgesprochen hat.

Selbstverteidigung als elementares Recht

Was täte der kontrovers, bisweilen hysterisch geführten außen- und sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland also besser als eine Untersuchung von vorbeugenden Militäroperationen mit dem Instrumentarium juristischer Präzision?

Die heute oft gestellte Frage nach Recht oder Unrecht einer präventiven Kriegführung war bereits für den frühneuzeitlichen Völkerrechtler Hugo Grotius zentral. Damit die Verteidigung eines Landes einen gerechten Grund für einen Präventivkrieg geben kann, verlangte Grotius zum einen eine gegenwärtige Gefahr und zum anderen die Notwendigkeit der Verteidigung, die sich aus der sicheren Angriffsabsicht des Gegners ergibt - zwei Voraussetzungen, die beispielsweise George W. Bushs Invasion des Iraks nicht erfüllte.

Desgleichen betonte Grotius aber den besonderen Rang des Selbstverteidigungsrechts als elementares Recht der Natur, da es von selbst und aus dem hervorgehe, was die Natur jedem empfehle, und nicht erst aus dem Unrecht oder der Sünde dessen, von dem die Gefahr ausgehe.

Grotius' Plädoyer zur Beschränkung der präventiven Kriegführung hatte jedoch keinen fassbaren Einfluss auf die Staatenpraxis und die völkerrechtliche Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Als Grund hierfür nennt Kunde zum einen die schwindende Akzeptanz materiell-rechtlicher Schranken des Kriegführungsrechts der Staaten, wie sie die Lehre vom gerechten Krieg aufgestellt hatte.

Zum anderen bestärkte die Anerkennung des Gleichgewichtkonzepts der Mächte die Neigung der Staaten zur präventiven Kriegführung. War für Grotius der Krieg zur Sicherstellung des politischen Gleichgewichts Unrecht, repräsentierte gerade dieses Modell in der Wirklichkeit des 17. und 18. Jahrhunderts den "gerechten Krieg"

Überwindung des "ius ad bellum"

Im Hinblick auf das europäische Gleichgewicht weist Kunde daher auch auf die große Differenz zwischen Grotius und den ihm nachfolgenden Völkerrechtlern hin. Näherte sich Samuel Pufendorf, ab 1661 Inhaber des ersten Lehrstuhls für Natur- und Völkerrecht in Heidelberg, dem Modell der präventiven Kriegführung noch sehr vorsichtig, fand es bei seinem Kollegen Christian Wolff aus Halle und dessen Schüler Émer de Vattel, dem einflussreichsten Völkerrechtsautor des 18. Jahrhunderts, volle Anerkennung. Der Präventivkrieg zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der Mächte galt ihnen unbedingt als rechtmäßig.

Indem Kunde die Ideengeschichte des Präventivkrieges nachzeichnet, weist er eine Kontinuität in seiner völkerrechtlichen Beurteilung nach, die sich von der gegenwärtigen Rechtslage bis zu den Anfängen der modernen Völkerrechtswissenschaft zurückverfolgen lässt. Nach der Überwindung des unbeschränkten "ius ad bellum" des Positivismus kennt das gegenwärtige Völkerrecht den rechtmäßigen Präventivkrieg nur noch im Rahmen der kollektiven Sicherheit zur Abwendung von Friedensbedrohungen und in engen Grenzen als präventive Selbstverteidigung.

Diese "antizipatorische Selbstverteidigung" ist völkergewohnheitsrechtlich zulässig, wenn sich ein Staat der "unmittelbaren Gefahr" eines bewaffneten Angriffs ausgesetzt sieht und der Angriffswille des Gegners feststeht. Eine Rechtslage, die Grotius' Lehre vom präventiven Selbstverteidigungsrecht nahezu entspricht. Aus Grotius' Sicht hat das positive Völkerrecht damit seinen Idealzustand erreicht: die Annäherung bis zur Identifikation mit dem Naturrecht. Ob sich dadurch jedoch die Staatenpraxis des 21. Jahrhunderts von der des 17. oder 18. in der Frage von Präventivkriegen unterscheiden wird, bleibt abzuwarten - nicht zuletzt mit Blick auf den Iran.

MARTIN KUNDE: Der Präventivkrieg. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2007. 252 Seiten, 45,50 Euro.

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