Präsentationsprogramm Powerpoint:Welch ein Folien-Theater!

Rehabilitation eines Programms: Nicht die Folien sind schlecht, sondern die Redner. Denn die müssen alles zugleich sein: Autor, Regisseur, Bühnenbildner, Rhetor und Darsteller.

Henning Lobin

Die Kommunikationsform der Präsentation hat in den vergangenen Jahren eine beispiellose Karriere erlebt. Trotzdem wird immer wieder Unbehagen darüber geäußert, was Powerpoint und Co mit uns und unserem Denken anstellen. Josef Joffe sprach davon, durch Powerpoint werde "der geistig-kulturelle Untergang des Abendlandes implementiert". Thomas Steinfeld kritisierte kürzlich in dieser Zeitung, dass Präsentation und Vortrag vielfach gleichgesetzt und Darstellungsformen der Visualisierung übernommen werden, die oftmals nicht nur überflüssig, sondern geradezu kontraproduktiv seien.

Präsentationsprogramm Powerpoint: Die ideale Präsentation erfordert alles zugleich: den perfekten Autor, Regisseur, Bühnenbildner, Redner und Darsteller.

Die ideale Präsentation erfordert alles zugleich: den perfekten Autor, Regisseur, Bühnenbildner, Redner und Darsteller.

(Foto: Foto: oH)

Es gibt viele Gründe, Präsentationen nicht als herkömmliche Vorträge in neuem Gewand zu verstehen und die klassische Rhetorik nicht als Maßstab zu deren Beurteilung heranzuziehen. Schon die Entstehungsgeschichte von Overhead-Projektor und Powerpoint stellt die Präsentation in einen anderen kulturhistorischen Zusammenhang, worauf Claus Pias kürzlich in einem gemeinsam mit Wolfgang Coy herausgegebenen Sammelband hingewiesen hat. Der Overhead-Projektor etwa war zunächst zur Aufzeichnung von Ergebnissen auf Bowling-Bahnen gedacht, dann für strategische Planungen beim amerikanischen Militär, das Powerpoint-Programm ursprünglich lediglich ein Hilfsmittel beim Ausdrucken von Folien.

Wenn man sich ansieht, wo Präsentationen heute überall eingesetzt werden, stellt man fest, dass sie dort keineswegs mit dem klassischen Vortrag konkurrieren. In den meisten Situationen, wo etwas präsentiert wird, wurde früher überhaupt nicht groß geredet. In Firmen, Behörden und Vereinen wird heute informiert, argumentiert und präsentiert, wo ehedem schlicht Anweisungen ergingen oder Aktenvermerke ausgeteilt wurden.

Die Berliner Soziologen Hubert Knoblauch und Bernt Schnettler sprechen deshalb auch von Powerpoint als dem "vereinfachten Basisidiom der Wissensgesellschaft", und der Tübinger Rhetorik-Professor Joachim Knape meint, Powerpoint sei eine "Kommunikationskrücke, auf die sich die Gebrechlichen und Hilflosen, aber Ambitionierten in der Welt des Kommunikationsstresses stützen". Die viel gescholtene Präsentation ermöglicht es also, Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse in komplexen Organisationen kooperativ zu gestalten und Leute zu einigermaßen freiem Reden zu befähigen, die (noch) nicht gelernt haben, die Klaviatur der rhetorischen Stilmittel virtuos zu bedienen - oder dazu keinen Anlass haben.

Die Gefahr des Aussterbens des Vortrags, der Rede im klassischen Sinne droht deshalb genauso wenig wie das Aussterben des Genitivs. In Politik und Medien, auch in Wissenschaft und Wirtschaft werden nach wie vor rhetorisch komponierte Reden gehalten, bei denen der Einsatz von Visualisierungen unsinnig wäre - nur eben in anderen Situationen. Kann man sich Obamas Wahlkampfreden als Powerpoint-Präsentationen vorstellen? Wohl kaum.

Neben dem Wo des Präsentierens ist aber auch das Was nicht ganz unwichtig: In wirklich guten Präsentationen wird tatsächlich etwas gezeigt, was sprachlich nicht unbedingt besser dargestellt werden könnte, und das macht den Erfolg von Powerpoint aus. Der Mediziner kann auf einer Konferenz das hochauflösende Bild einer Gewebeprobe zeigen, der Architekt bei der Bürgerversammlung seine Entwürfe zum neuen Rathaus - und in beiden Fällen hat das Publikum einen tatsächlichen Nutzen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum diese Art des Verstehens eigenen Gesetzen folgt und eigene, auch didaktische Dimensionen besitzt.

Die ideale Präsentation

Natürlich wird dabei auch vieles falsch gemacht, ist unbeholfen, überflüssig oder ärgerlich. Aber das Bebildern als solches ist kein Anlass zur Kritik - wie oft hat man nicht in einem Vortrag klassischen Stils gesessen und sich gewünscht, etwas mehr Gliederung, Anschaulichkeit, ja Visualität gewährt zu bekommen. Die Sprache besitzt einen wunderbaren Fundus an Wendungen, Bildern, Metaphern und Figuren, die das Verständnis erleichtern. Aber auch die gestaltete Fläche ist Trägerin von Bedeutung, durch Bilder, Graphiken, geometrische Konfigurationen, Farbigkeit, Symbole.

Die klassische Rhetorik mit ihrer zweieinhalb Jahrtausende langen Tradition kann übrigens kaum als Kronzeuge gegen Präsentationen hinzugezogen werden. Knape weist darauf hin, dass dem Grundsatz des aptum, der Angemessenheit in jeglicher Hinsicht, auch die Präsentation verpflichtet sei. Wenn also der Medienverbund in einer angemessenen Weise eingesetzt wird, kann eine Präsentation ebenso zu einem Erlebnis intellektueller Brillanz werden wie eine Rede - nur erlebt man dieses leider viel zu selten.

Spielräume des Wissenschaftlers

Entscheidend ist, dass sich die Gesamtbedeutung der Präsentation schlüssig aus den unterschiedlichen medialen Kanälen zusammensetzt und nicht etwa Bedeutungsverdopplung betrieben wird. Dass diese Art des Verstehen eigenen Gesetzen folgt und eigene, auch didaktische Dimensionen besitzt, wird seit einigen Jahren intensiv erforscht. Der Trierer Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Bucher analysiert die Blickbewegungen von Versuchspersonen beim Betrachten einer Präsentation und rekonstruiert daraus Prinzipien ihrer Verstehbarkeit. Dieses Verstehen, so viel steht schon fest, folgt anderen Prinzipien als das rein sprachliche; es ist nicht besser oder schlechter, sondern schlichtweg anders. Aufgrund der geringen Kosten der digitalen Reproduktion durchdringt es mittlerweile mehr oder weniger alle klassischen Medien.

In einem weiteren Punkt unterscheidet sich die Präsentation besonders klar vom Vortrag: Sie kann auch als ein Schauspiel verstanden werden, als eine Aufführung, die eine Inszenierung durchlaufen hat und auf einer Bühne mit einem wechselnden Bühnenbild - der Projektion - stattfindet. Ein Darsteller redet auf dieser medialen Bühne frei und setzt sich dort in Szene, gestisch und zuweilen auch raumgreifend. Neben der Vermittlung von Inhalten geht es dabei um seine Selbstpräsentation, worauf Sibylle Peters in ihren theatertheoretischen Untersuchungen zur Präsentation hinweist.

Wenn man einmal gesehen hat, wie der Apple-Chef Steve Jobs seinen Produkten auf einer riesengroßen Medienbühne durch sein Charisma performativ Authentizität verleiht oder wie der amerikanische Wissenschaftler Randy Pausch in seiner berühmten "Last Lecture" nicht nur Powerpoint-Folien, sondern sich selbst und sein Leben präsentiert, kann man verstehen, was Präsentationen eben auch sein können: eine ganzheitliche dramatische Form. Und als solche ist die Präsentation gerade in der Wissenschaft in eine Marktlücke gestoßen, weil dort die Spielräume des Wissenschaftlers für Performanz und Spontaneität aufgrund der rigiden formalen Anforderungen im Vortrag bisher stark eingeschränkt waren. Durch Präsentationen wurden auch die Wissenschaften wieder zum Ereignis, der Wissenschaftler trat wieder als Mensch hinter seinem Rede-Manuskript hervor.

Präsentationen brauchen für eine angemessene Bewertung also auch eine eigenständige Dramatik. Die ideale Präsentation erfordert nämlich alles zugleich: den perfekten Autor, Regisseur, Bühnenbildner, Redner und Darsteller - und das ist der Grund, warum wir leider viel zu oft so schlechte Präsentationen über uns ergehen lassen müssen.

Henning Lobin ist Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Universiät Gießen.

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