PR-Strategie von J. K. Rowling:Wenn Stille alles sagt

Nur Auserwählte durften das Manuskript vorher lesen. Das Ganze habe sich so ehrfürchtig vollzogen wie "die Übergabe einer unbezahlbaren Ming-Vase", heißt es. Wie es der Harry-Potter-Autorin Rowling gelang, aus der Veröffentlichung ihres neuen Buchs einen Staatsakt zu machen.

Alexander Menden, London

Eine derartige Geheimniskrämerei betreibe man sonst höchstens vor einer Geburt im britischen Königshaus - so umschreibt die britische Journalistin Decca Aitkenhead das ungeheure Brimborium, das rund um die Veröffentlichung des neuen J. K.-Rowling-Romans gemacht wurde. Nicht ohne hinzuzufügen, dass Rowling natürlich viel berühmter sei als die Queen. Für ihr Interview mit der Harry-Potter-Autorin für das Wochenendmagazin des Guardian am vergangenen Samstag durfte Aitkenhead "Ein plötzlicher Todesfall" vorab lesen, Rowlings ersten Roman für Erwachsene.

Nur 30 auserwählten Journalisten wurde diese Ehre zuteil. Jeder von ihnen musste zunächst "mehr Rechtsdokumente unterzeichnen, als durchschnittlich bei einem Immobilienkauf verlangt werden". Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen brachten sodann Mitarbeiter von Rowlings britischem Verlag Little, Brown and Company ein Manuskript herein, das nicht einmal sie selbst hatten lesen dürfen. Das Ganze habe sich so ehrfürchtig und umsichtig vollzogen wie "die Übergabe einer unbezahlbaren Ming-Vase", so Aitkenhead.

"Denial marketing" nennt man das

Tatsächlich drangen nur vom Verlag abgesegnete Details an die Öffentlichkeit, und die Strafandrohung dürfte nicht unmaßgeblich dazu beigetragen haben, dass wirklich alle dichthielten. Denn das Bußgeld wäre voraussichtlich in die Millionen gegangen (siehe unten "Verschlussache"). Allein Carlsens deutsche Startauflage liegt bei einer halben Million Exemplaren. Und die britische Buchhandelskette Waterstones prognostiziert, dass "The Casual Vacancy" (so der englische Titel) der bestverkaufte Roman des Jahres wird.

"Denial marketing" nennt das angelsächsische Publikationswesen die Taktik, durch Informationsentzug Interesse zu schüren. So wird aus etwas Alltäglichem wie einer Buchveröffentlichung ein Staatsakt. Hinweise auf Inhalt und Form von "Ein plötzlicher Todesfall" sickerten nur in Andeutungen durch. Das ging so weit, dass im vergangenen Juli dem - weltweit verbindlichen - Umschlag-Design für Rowlings Roman im Juli eine separate, vorgezogene Publikation gewidmet wurde. Der Daily Telegraph zog umgehend den "Design-Guru" Jon Gray zur Analyse des Covers heran. Dessen profundeste Feststellung war, die Aufgabe des Gestalters sei es offensichtlich gewesen, das Buch "so wenig nach Harry Potter aussehen zu lassen wie möglich".

Optisch mag man bewusst auf Abstand gegangen sein zu Harry Potter. Aber die Vorgehensweise bei der Veröffentlichung von "Ein plötzlicher Todesfall" ist exakt dieselbe, die sich bereits bei der Romanreihe über den Hogwarts-Schüler bewährt hatte. Der Fortgang der Geschichte über Harry und seinen Kampf gegen den bösen Lord Voldemort wurde Band für Band kompromisslos unter Verschluss gehalten. Fans campierten vor den Buchhandlungen und bildeten Warteschlangen, wie man sie gewöhnlich allenfalls vor Apple-Stores sieht, wenn eine neue iPhone-Edition ansteht. Und ohne die siebenbändige Potter-Reihe wäre es unvorstellbar, dass Rowlings Sittengemälde des neuen Romans auch nur ein Bruchteil der jetzt anbrandenden Publicity zuteil geworden wäre. Als bekannt wurde, dass in ihrem neuen Buch die Wendung "eine wunderbarerweise unbewachte Vagina" vorkommen würde, führte das im Internet-Dienst Twitter umgehend zu dem Vorschlag, noch einen Potter-Roman mit dem Titel "Harry Potter und die wunderbarerweise unbewachte Vagina" zu schreiben.

Netto reicher als die Queen

Über das kulturelle Phänomen Harry Potter ist ebenso viel geschrieben worden wie über den Aufstieg seiner Schöpferin von einer mittellosen, alleinerziehenden Mutter zum gleißenden Fixstern in einem von ihr selbst geschaffenen Phantasie-Universum. Der deutsche Autor Uwe Tellkamp forderte jüngst sogar den Nobelpreis für J. K. Rowling. Klar ist: Mit bisher weltweit 450 Millionen verkauften Potter-Bänden ist die 47-Jährige eine der kommerziell erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Geschichte.

Sie dürfte nicht nur berühmter, sondern - vor allem durch die Einnahmen aus den Potter-Verfilmungen - netto auch reicher sein als die Queen. All das hat zu einem Hype um ihre Person geführt, der so gar nicht zu dieser eher schüchtern wirkenden Frau passen will. Welch ein Star sie ist, ließ sich allein schon am begeisterten Applaus messen, der aufbrauste, als sie bei der Eröffnungsfeier zu den diesjährigen Olympischen Spielen in London in einer kleinen Rolle als Vorleserin auftrat.

Einen Einblick in die Schattenseite dieser Popularität gab Rowling vergangenes Jahr. Da sagte sie als Betroffene vor dem Leveson-Untersuchungsausschuss über die ans kriminelle grenzenden Recherche-Methoden der britischen Boulevardpresse aus. Sie berichtete davon, wie ein Journalist Nachrichten für sie in die Schultasche ihrer Tochter schmuggelte und wie Paparazzi regelmäßig tagelang vor ihrer Haustüre campierten. Die Autorin hat immer wieder betont, wie wichtig ihr trotz dieser negativen Erfahrungen die Pressefreiheit sei. Aber der Druck, den die Yellow Press auf sie ausübte, mag die Vorsicht und Kontrolle erklären, von der Rowlings Umgang mit den Medien und der Öffentlichkeit auch jenseits ihrer publizistischen Aktivitäten geprägt ist.

Das sei nicht arrogant gemeint

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der neue Roman am ersten Tag häufiger verkauft als der letzte Potter-Band, beziffert der britische Buchmacher William Hill am Donnerstag mit einer Quote von 2 zu 1. Schon am Vortag hatten die Wettbüros Kenneth Branagh zum Regie-Favoriten für eine mögliche Verfilmung erkoren. J. K. Rowling lässt sich auf solche Diskurse nicht ein. "Ein plötzlicher Todesfall" habe sie einzig und allein geschrieben, weil sie ein "brennendes Verlangen" danach gehabt habe, es zu schreiben, sagte die Autorin diese Woche der BBC. Sie müsse "niemandem etwas beweisen", erklärte sie, um gleich einschränkend zu ergänzen, das sei nicht arrogant gemeint, sondern solle nur heißen, dass sie mittlerweile ihre Rechnungen bezahlen könne und mit ihrer Schriftstellerei eigentlich kein Geld mehr verdienen müsse.

Damit hat sie zweifellos recht. Doch mit der "Todesfall"-Story, in der es um Prostitution, Pädophilie und Drogenmissbrauch geht, hat sie sich inhaltlich auch klar von der eskapistischen Hogwarts-Welt abgewandt. Auf die Frage des BBC-Interviewers, ob sie sich keine Sorgen mache, dass minderjährige Potter-Fans sich das Buch aus dem Internet herunterladen könnten, antwortete sie: "Es ist absolut nicht geeignet für Kinder. Aber es gibt sicherlich noch schlimmere Sachen, die man sich aus dem Internet herunterladen kann."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: