Postkarten im Weltkrieg:Mütter & Heroinen

"Kinder, füttert die Störche, der Kaiser braucht Soldaten!" Was Frauen im Weltkrieg darstellten.

Von Rudolf Neumaier

Seit Aristophanes' Anti-Kriegsheldin Lysistrata die wilden Kämpfer zähmte, weiß jeder halbwegs gebildete Stratege, dass Frauen Kriege entscheiden können. Bis ins frühe 19. Jahrhundert gehörten sie zu den Trossen, die mit den Heeren von Schlacht zu Schlacht zogen. Hundert Jahre später, im Ersten Weltkrieg, wäre weibliche Begleitung längst zu gefährlich gewesen. Aber die Frau blieb eine formidable Werbeträgerin für die Truppen: Scharfmacherin, Trösterin, Motivationsfigur, Sehnsuchtsadressatin, Pflegerin - bei den Engländern oft auch mit Sexappeal, bei den Russen eher als Heilige. Der Osteuropa-Historiker Rudolf Jaworski, Jahrgang 1944, hat jahrzehntelang Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg zusammengetragen und präsentiert die 134 aussagekräftigsten Stücke seiner Sammlung in seinem Buch "Mütter - Liebchen -Heroinen" (). Wenn die Männer ihr Leben aufs Spiel setzten, so erinnerte die Propaganda auch die Frauen an ihre Verantwortung und machte den Unterleib zum Staatseigentum: "Kinder, füttert die Störche, der Kaiser braucht Soldaten!", heißt es auf einer im Oktober 1916 abgestempelten Feldpostkarte.

Die Motive ähnelten sich über die Frontlinien hinweg: Wo die Deutschen ihre allegorische Germania ins Feld führten, legten die Briten ihrer Britannia ein Schwert in die Hand und die Schweizer ihrer Helvetia. Maria hingegen, die Gottesmutter, nahmen die katholischen Kriegsparteien als Vorkämpferin für sich in Anspruch. Tagsüber schossen Franzosen und Deutsche aufeinander, und wenn sie überlebten, beteten sie nachts das Ave Maria. Kurios wirken die Atelierfotos, auf denen Frauen neben Sprüchen wie "So ein Sturmangriff ist fein, weil man da darf ,stürmisch' sein" in Uniform posieren. Das Niveau des Humors war tief wie ein Schützengraben. Auch Rudolf Jaworski kann sich kaum erklären, wie solche Bilder Soldaten bei Laune halten sollten - dann eher eine Soldatin in Strapsen, wie Italiener, Briten und Franzosen sie vertrieben. Nach dem Krieg war das Leid auf allen Seiten groß: Die Frauen auf den Postkarten trauern. Das wäre ein paar Jahre vorher die beste Propaganda gewesen - gegen den Krieg.

Rudolf Jaworski: Mütter - Liebchen - Heroinen. Propagandapostkarten aus dem Ersten Weltkrieg. Böhlau-Verlag, Köln 2015. 202 Seiten, 24,90 Euro.

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