Porträt von Anna Netrebko:Sie winkt, sie singt und alle Köpfe reißt es herum

Porträt von Anna Netrebko: Von denen verstoßen, die sie gerade noch verehrten: Anna Netrebko bei den Salzburger Festspielen 2017.

Von denen verstoßen, die sie gerade noch verehrten: Anna Netrebko bei den Salzburger Festspielen 2017.

(Foto: Barabara Gindl/AFP)

Einst schrubbte Anna Netrebko in Russland Theaterbühnen, später machten die Salzburger Festspiele die Sopranistin weltberühmt. Bis heute verzeihen die Fans ihr alles - sogar ihre neue CD.

Von Egbert Tholl

Die Galerie Rudolf Budja kennen vermutlich fast alle Besucher der Salzburger Festspiele, auch wenn sie noch nie in ihrem Inneren waren. Sie liegt in der Wiener-Philharmoniker-Gasse, gegenüber von einem in Salzburg ziemlich wichtigen Würstelstand, der aber längst nicht der wichtigste der Salzburger Würstelstände ist, dafür hat er nicht lange genug geöffnet. Wegen ihrer Lage nah an den Festspielhäusern (und am Würstelstand) wird die Galerie während der Salzburger Festspiele häufig für PR-Termine genutzt, denn sie verfügt über ein gediegenes Ambiente, und Kunst hängt hier auch, sonst wäre es ja keine Galerie, mithin hat man den passenden Rahmen für eine CD-Präsentation.

Dieser Rahmen wird ein bisschen eng, wenn eine Künstlerin ihre neue CD vorstellt, die seit 15 Jahren so eng mit den Salzburger Festspielen verbunden ist wie kaum eine andere Sängerin. Anna Netrebko. Es gab Jahre hier in Salzburg, etwa 2005, das Jahr der "Traviata", da glaubte man, die Festspiele finden nur wegen ihr und um sie herum statt. Sie ist ein Phänomen. Also gehen wir da mal hin.

Natürlich, die Präsentation ist Teil einer Maschinerie; solche Termine werden von den meisten echten Fachjournalisten gemieden, von einer Art journalistischer Halbwelt aber gerne wahrgenommen, weil man dort für einen Moment glaubt, den Künstlern nahe zu sein, auch wenn das meist ein Trug ist, denn diese Termine funktionieren nach strengen Regeln und sind genau durchstrukturiert. Immerhin kann man die präsentierte CD mit nach Hause nehmen, was den anwesenden Freibierlätschn ein Lächeln in selbige zaubert.

Wichtiger ist, dass es passieren kann, dass bei einer solchen Präsentation manches anders ist als geplant. Im Normalfall werden Ausschnitte der neuen CD vorgestellt, der Künstler lächelt dazu, erzählt ein bisschen über seinen unabdingbaren Herzenswunsch, genau diese CD aufzunehmen. Die Anwesenden applaudieren.

Seltsam, diese CD-Präsentation: Was ist denn das für eine pinkelnde Frau im Hintergrund?

Nun ist die Galerie Budja schon eine halbe Stunde vor Termin voll, was einem Gelegenheit gibt, über die Köpfe von vier Fernsehteams hinweg die ausgestellte Kunst zu betrachten. Es sind Fotografien von Julia Fokina und Alberto Venzago, die mit ihrer inszenierten Erotik auf etwas täppische Art mit der Aura des Verbotenen spielen. An einer Wand hängt ein Foto, das eine Dame auf einem Weidezaun sitzend zeigt. Sie trägt diese ledernen Umhänge-Hosen, die man aus Westernfilmen kennt, unter denen, anders als die Dame, der aufrechte Westernheld noch normale Hosen trägt. Die Dame auf dem Kunstwerk jedoch hat darauf verzichtet, hockt auf dem Zaun und pinkelt.

Vor diesem Foto ist eine Chesterfield-Sitzgruppe positioniert, mithin soll offenbar obige Dame den Hintergrund für das folgende Gespräch abgeben, für das erst einmal eine Moderatorin auf dem Sofa Platz nimmt, deren Stimme vor Vorfreude Kapriolen schlägt, die aber gerade noch den Wunsch äußern kann, Nummer zwei der hier vorzustellenden CD abzuspielen. Dies erfolgt umgehend, es erklingt ein dick instrumentiertes Duett unbekannter Herkunft. Doch selbst wenn man nicht mitbekommen hätte, wessen CD hier präsentiert werden soll, nun wüsste man es sofort: Da singt Anna Netrebko. Und noch jemand.

Dann geht die Tür auf und herein kommen: Anna Netrebko und ihr aserbaidschanischer Gatte Yusif Eyvazov. Beide hat man gerade gehört, bei diesem Stück, das wie tiefergelegter Verismo klang, ein bisschen klebrig, wäre da halt nicht diese Stimme, die man mit ihrer warmen Tiefe und der eleganten Höhe sofort erkennt. Höhe ist hier, trotz der Schmachtfetzen, die Igor Krutoy in einem simplifizierten Opernduktus komponierte, ernst gemeint. Geht bis zum Cis. Höhe ist geil.

Manche Operliebhaber werden Netrebkos CD hassen

AUSTRIA FESTIVAL

Die Sopranistin 2002 mit Michael Schade bei ihrem Debüt als Donna Anna in "Don Giovanni" in Salzburg.

(Foto: AP Photo/Rudi Blaha)

Alben wie "Romanza" haben viele Opernstars eingespielt, Carreras, Villazón, Caballé, Bocelli, viele mehr. Manchen verzeiht man solche Unternehmung nie. Netrebko verzeiht man alles. Den Rahmen der Präsentation, die Fotografien, für die sie nichts kann, die CD, die niemandem wehtut, letztlich Quatsch ist und dennoch viele freuen wird. Warum verzeiht man ihr? Weil sie Anna ist, von hinten wie von vorn, A. N. N. A, immer echt. Denn nun antwortet sie auf die Fragen der Moderatorin. Sollen wir noch ein Lied hören? Nö, keine Musik. Wollen sie nicht einmal einen Kinofilm drehen? Ich bin bald 46, außerdem gibt es mein Gesicht schon oft genug auf Bildschirmen. Für wen ist die CD? Manche Opernliebhaber werden sie hassen, sie ist etwas für Leute, die nicht in die Oper gehen. Der Mann der Plattenfirma wirkt nun leicht nervös, die Moderatorin sucht einen Ausweg: Sollen wir noch etwas Musik hören? Nein. Sie strahlt wie ein Maikäfer.

"Romanza" ist die erste gemeinsame CD von Netrebko und Eyvazov. Sie fundamentiert ihre Ehe. Schon einmal wurde eine Beziehung von ihr zum öffentlichen Ereignis, die mit Erwin Schrott. Ihr entsprang keine CD, sondern der gemeinsame Sohn Tiago. Eigentlich kann man Eyvazov, der eine gewaltige Stimme hat, ein wenig bedauern, trotz allen Glücks. Schrott ist ein bildschöner Latin Lover; Eyvazov ein lieber Bär, bei dem sie sich wohlfühlt, der stets die gemeinsame Höhle bewacht und wie ein Vater zu Tiago ist. Nun singt er in Salzburg den Radames in den beiden "Aida"-Aufführungen, in denen Anna Netrebko nicht singt. Wäre er ohne sie in Salzburg auf der Bühne? Wäre Schrott ohne sie ...

Gossip. Yusif Eyvazov hält sich wacker bei der CD-Präsentation. Schrott war immer der Spaßvogel gewesen, der leichte, flirrende Kerl an der Seite einer unglaublich schönen Frau, die neben ihm auf einmal viel ernster wirkte, als sie eigentlich ist. Ernst wurde er nur, wenn man ihn auf die gemeinsame Stiftung ansprach, die kranken Kindern medizinische Hilfe zukommen lässt und Krankenhäuser unterstützt. Die Stiftung existiert weiter.

Nun aber Eyvazov. Welches Märchen war Vorbild für die CD? Das von den Bremer Stadtmusikanten. Welchen Punkt in ihrer Karriere markiert diese CD? Netrebko meint darauf, man weiß ja nicht, vielleicht ist in fünf Jahren alles vorbei, weil die Stimme einfach nicht mehr will. Eyvazov, staubtrocken: 15 Jahre. Und: Sie nähert sich immer mehr meinem Repertoire an, Annas Rollen werden schwerer.

Die beste Sängerin der Welt? Idiotische Kategorie. Aber was bestimmte Rollen angeht: ja

Salzburg ist Anna, obwohl sie seit mehr als zehn Jahren in Wien (und New York) lebt. In Salzburg fand 2002 die Premiere von Martin Kusejs "Don Giovanni"-Inszenierung statt, danach war sie ein Weltstar. Donna Anna. Es mag mutigere, experimentellere, krassere Sängerinnen geben. Was aber damals offenbar wurde, und was bis heute gilt: Netrebko ist begnadet darin, Charaktere mit Leidenschaften und außerordentlicher Empathie auf der Bühne zu verkörpern. Und ihre Stimme, die mit den Jahren noch vollendeter wurde, ist in ihrer bruchlosen Eleganz von der Tiefe bis in die Höhe ohnehin beeindruckend. Die beste Sängerin der Welt? Idiotische Kategorie, aber was bestimmte Rollen angeht: ja.

In Salzburg sang sie zum ersten Mal Repertoire des 20. Jahrhunderts, Brittens "War Requiem", in Salzburg präsentierte sie zum ersten Mal betörend schön russische Lieder. Und in Salzburg erzählte sie vom Ende ihrer Liebe, mit entwaffnender Offenheit. Es war der Sommer 2013. Nie wurde dieses Gespräch veröffentlicht. War eh nie die Absicht gewesen. Einer ihrer Manager fädelte es ein und kaufte, um dem Ganzen einen professionellen Anstrich zu geben, ein Aufnahmegerät.

Auf diesem Gerät befindet sich bis heute nur dieses Gespräch, in welchem Anna unendlich traurig davon spricht, dass sie sich das alles anders vorgestellt habe, dass sie geglaubt habe, diese Liebe könnte beider exponierte Positionen im Opernbetrieb und Kontinente überwinden - Schrott war zu dieser Zeit mit seinem Tango-Programm in Südamerika auf Tournee. Drei Monate später gaben Schrott und Anna die Trennung bekannt. Das ist lange her, aber wenn man nun Anna und Yusif sieht, wie sie mit viel Schalk und Ironie ihre gemeinsame CD vorstellen, wenn man im Boulevard die Geschichte ihres jetzigen Glücks verfolgt, dann muss man halt doch daran denken. Am 31. August singen die beiden auf der Waldbühne in Berlin. Und egal, was dort passiert, in einer Hinsicht kann man sich sicher sein: Sie wird winken.

"Du musst schlafen, junge Schönheit, mit wem auch immer."

Das Winken der Anna Netrebko hat etwas Magisches. In Salzburg winkte sie oft vom Balkon des Festspielhauses. Sie winkt, wenn sie bei der Präsentation der CD einen alten Bekannten erkennt - und alle Köpfe reißt es herum. Wer ist das? Anna winkt beim Applaus, Anna winkt, weil sie Menschen mag. Sie hat eine ungebremste Fröhlichkeit, unterfüttert von dem im Kern immer noch unerschütterlichen Glauben an das Gute.

"Glauben Sie, ich bin eine Person, die dazu neigt, Angst zu haben?" Nein, das glaubt man nicht. Manchmal brachte sie ihre Unverblümtheit, die auf einem naiven Vertrauen beruht, schon in die Bredouille. Als sie etwa für Putin Wahlkampf machte, einfach weil sie damals, vor Jahren, der Meinung war, der sei der beste Chef für Russland. Inzwischen vermeidet sie tunlichst, sich zu Politik zu äußern.

Anfangs wollte das auch keiner von ihr hören. 2003 sang sie bei den Münchner Opernfestspielen ein Galakonzert und die Violetta in "La Traviata". Ein paar Monate später wurde sie im Münchner Gasteig zu einem öffentlichen Gespräch gebeten, damals noch mittels russischer Dolmetscherin. Es wurde geredet vom Beginn ihrer Karriere, als sie im Mariinsky-Theater die Bühne schrubbte und Valerie Gergiev sie entdeckte. Es wurde, damals schon, gesprochen über den Markt und dessen Anforderungen, die man nun ja an der Existenz der vorliegenden CD weiterverfolgen kann. Damals benutzte sie ein altes, russisches Sprichwort: "Willst du oder willst du nicht? Du musst schlafen, junge Schönheit, mit wem auch immer."

Die CD kann man ihr verzeihen, wird eh ein Riesenhit

Das ist der Humor, der manche irritiert an ihr. Auch wenn Anna Netrebko zur Marke wurde, als eine der wenigen Künstler dazu beiträgt, Major-Klassiklabels überhaupt am Leben zu erhalten, auch wenn sie Werbung machte und sich am Anfang ihrer Karriere immer wieder fragen lassen musste, wo sie einkauft, nicht, was sie von ihrer Rolle will, auch wenn es geraume Zeit dauerte, bis sich aus dem Schaum des Boulevards die Künstlerin herausschälen konnte - im Grunde ist sie einfach eine lebenskluge Sängerin, die sich nicht kaputtmacht oder vom Betrieb nervös machen lässt, auf ihrer Faulheit beharrt und vor allem in ihrem Bereich eine begnadete Sängerin und Darstellerin ist.

Und deshalb, weil sie auf der Bühne, selbst in der kargen "Aida" dieses Jahr in Salzburg, immer wieder mit der Verkörperung ihrer Figuren verblüfft, verzeiht man ihr halt auch eine CD wie "Romanza". Wird eh ein Riesenhit. Wieso nicht. Diesen Sommer in Salzburg wurden Karten für die "Aida" auf dem Schwarzmarkt angeblich mit Preisen bis zu 6000 Euro gehandelt, bestätigt sind immerhin 4200. Seltsam nur, dass sie die statuarische Veranstaltung so mitmachte. Als sie die Mimi in der Salzburger "Bohème" sang, war sie mit ihrem hübschen Kostüm unzufrieden und suchte sich im Fundus eine richtig olle Strickjacke, die sie gegen ihr Kleidchen eintauschte. Als sie 2011 in München die Adina im "Liebestrank" sang, entdeckte sie in der Kulisse ein Bündel rosa Luftballons. Ballons gab es reichlich in dieser Inszenierung, aber nicht bei ihrem Auftritt. Egal, sie gefallen ihr, sie nimmt sie mit. Und beim Charity-Dinner danach, bei welchem man wegen Annas Anwesenheit den Gästen auch Katzenfutter hätte aufwärmen können, sie wären begeistert gewesen, werden 60 000 Euro für das Jugendprogramm der Bayerischen Staatsoper eingenommen. Ein Mehrfaches ihrer Abendgage.

Sie ist eben doch ihr Geld wert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: