Porträt:Über den Gotthard

Otto Julius Bierbaum

Als Autofahren noch nichts mit rasen zu tun hatte: Julius Bierbaum im Fond seines Adler-Cabriolets, am Steuer sein Chauffeur Louis Riegel. Repro: Horst Stenzel

Der Schriftsteller, Herausgeber und Kabarettist Otto Julius Bierbaum war einer der wichtigsten Vertreter der Münchner Moderne. Zu seinen großen Leidenschaften gehörte das Reisen

Von Antje Weber

Wo die Liebe hinfällt, ist kein Halten mehr. Selbst wenn der Mensch "in das Dickicht der Dschunggeln" flieht. Selbst wenn "die chinesische Mauer selber Dein Bollwerk wäre gegen die Liebe - sie kriegt Dich doch, wenn's ihr gefällt, Dich kriegen zu wollen". So wie im Falle des Referendars Emil, den Otto Julius Bierbaum im Jahr 1897 in einer Geschichte mit dem schönen Titel "To-lu-to-lo oder Wie Emil Türke wurde" beschreibt.

To-lu-to-lo heißt so viel wie Trudel, annähernd chinesisch ausgesprochen ohne das belühmte R. Diese Trudel verdreht dem schüchternen Emil, der eigentlich fleißig eine Karriere als kaiserlich deutscher Konsul in China anstrebt, gehörig den Kopf. Die beiden tricksen die gemeinsame Zimmerwirtin aus, um eine "säuberliche Art des Unerlaubten" zu begehen. Sie verbringen ein halbes Jahr in "völlig ungetrübter Zärtlichkeit". Bis die agile Trudel alias To-lu-to-lo sich statt des braven Emil einen echten Chinesen angelt. Und der untröstliche Emil fortan lieber Türkisch lernt.

So weit, so harmlos? Ja, die Geschichte von Emil, mit der das neue Büchlein "Von Fiesole nach Pasing" von Otto Julius Bierbaum beginnt, wirkt zunächst einmal nicht sonderlich tiefgründig. Doch sie ist wirklich hübsch erzählt, und so anschaulich, dass man nicht nur manches über Liebesfreuden im Jahr 1897 erfährt, sondern anhand der köstlichen Personenschilderungen nebenbei auch einiges über die wilhelminische Gesellschaft. Auch literarisch ist diese Erzählung durchaus ambitioniert: Otto Julius Bierbaum versucht sich darin, so erläutert der Germanist Walter Hettche im Nachwort des Bändchens, an einem zu dieser Zeit noch kaum bekannten Erzählverfahren: dem Bewusstseinsstrom, mit dem später zum Beispiel ein James Joyce sehr berühmt werden wird.

Gar so viel Ruhm war Bierbaum nicht beschieden. Seinen Platz in der Literaturgeschichte hat der Autor, der am 28. Juni 150 Jahre alt geworden wäre, dennoch sicher. Besonders eng ist das Wirken des in Schlesien geborenen Schriftstellers (1865-1910) mit Oberbayern und München verbunden: Hier lebte er unter anderem, zeitlebens rastlos, mal in der Kaulbach-, mal in der Hohenzollernstraße, mal in der Pasinger Waldkolonie (wo heute eine Straße nach ihm benannt ist) und wurde auf dem Waldfriedhof beerdigt. Als Autor wie als Herausgeber gehörte er zu den wichtigsten Vertretern der Münchner Moderne, schrieb als einer der ersten Mitarbeiter für die Satire-Zeitschrift Simplicissimus und war beim Kabarett der "Elf Scharfrichter" dabei. Bierbaum war ungeheuer vielseitig, verfasste in seinem nur 45 Jahre kurzen Leben Erzählungen und Gedichte, Singspiele und Romane, Feuilletons und Reisebeschreibungen.

Dass das Literaturarchiv Monacensia, das den Nachlass von Bierbaum beherbergt, nun im Allitera-Verlag einige seiner Geschichten im erwähnten Band "Von Fiesole nach Pasing" herausgebracht hat, ist daher nur recht und billig. Allerdings muss die Frage erlaubt sein, warum man dem Band ein so fürchterliches Titelbild mit einem muffigen Toskana-Aquarell verpassen musste, wenn man diesen Autor neuen Lesern im 21. Jahrhundert nahebringen will? Zu einem Buch, das so aussieht, werden nicht viele Leser gierig greifen - schade drum, denn so bieder war dieser Otto Julius Bierbaum, wie seine Texte zeigen, nun wirklich nicht.

Ganz im Gegenteil. Otto Julius Bierbaum reiste zum Beispiel ganz außerordentlich gern durch die Welt. Als erster überquerte er 1902 mit einem Auto - und seiner Frau - die Alpen auf dem Gotthardpass in der Schweiz. Um genau zu sein: Er fuhr mit einem Cabrio der Marke "Adler" über Prag und Wien nach Italien und auf der Rückreise über die Schweiz. Sein daraus entstandenes Buch "Eine empfindsame Reise im Automobil" würdigt angeblich als erstes in der Literatur das Reisen mit einem Auto. Und es hat nun Cornelia Bernoulli und Bruno Hetzendorfer zu einer "szenisch-musikalischen Spritztour" inspiriert, die den Autor im Verkehrszentrum des Deutschen Museums an der Schwanthalerhöhe würdigen soll. Der Ort ist mit Bedacht gewählt: Hier steht ein Vorgängermodell des Adler-Cabrios von Bierbaum, das für die beiden Abende am 2. und 3. Juli ins Auditorium gerollt werden soll.

Bis nach China scheint Bierbaum allerdings nicht gekommen zu sein, doch wie sein schüchterner Referendar Emil studierte er tatsächlich eine Weile die chinesische Sprache. To-lu-to-lo wird in seiner Erzählung übrigens noch eine weitere Bedeutung zugeschrieben: "Fremd kommt zu Fremd und wird vertraut." Dasselbe erhofft man sich für Leser, die Bierbaums Schriften wieder zur Hand nehmen.

Otto Julius Bierbaum: Lesung mit Walter Hettche, Montag, 29. Juni, 19.30 Uhr, Ebenböckhaus Pasing;Szenisch-musikalische Spritztour mit Cornelia Bernoulli und Bruno Hetzendorfer, Donnerstag und Freitag, 2. und 3. Juli, 19 Uhr, Verkehrszentrum des Deutschen Museums, Am Bavariapark 5

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