Porträt:Raus aus der Schublade

Porträt: Kristjan Järvi trennt nicht zwischen Pop- und Hochkultur. Für ihn muss Musik vor allem Qualität haben, damit sie ihn überzeugt.

Kristjan Järvi trennt nicht zwischen Pop- und Hochkultur. Für ihn muss Musik vor allem Qualität haben, damit sie ihn überzeugt.

(Foto: Peter Adamik)

Kristjan Järvi dirigiert das kommende Akademiekonzert

Von Rita Argauer

Im Dirigentenzimmer des Probengebäudes der Bayerischen Staatsoper hängen alte Plakate. Akademiekonzerte werden darauf angekündigt, also die Konzerte, in denen das Staatsorchester statt der üblichen Opern- und Ballettbegleitung Symphonik spielt. Eines ist aus der Saison 1969/70, eines aus den Neunzigerjahren. Das Layout der Plakate hat sich über die Jahre verändert. Nicht aber die Programme. Denn abgesehen davon, dass Carlos Kleiber natürlich heute nicht mehr dirigiert, könnten die Konzerte auch aktuell gespielt werden: Mozart, Beethoven, Brahms, Dvořák.

"Das sind natürlich alles großartige Künstler", erklärt der Dirigent Kristjan Järvi, der das nun anstehende dritte Akademiekonzert dieser Saison leitet. Eines, das aus den Programmgestaltungen, die im Dirigentenzimmer an der Wand hängen, gehörig ausbricht. Dabei hat der gebürtige Este, der in New York aufgewachsen sind, natürlich nichts gegen all die großartigen Künstler, die das Erscheinungsbild des Klassik-Betriebs bis heute so dominant prägen. Doch Järvi fordert Gedanken heraus. Etwa warum man Strauss, Beethoven und Mozart heutzutage so feiere: "Das waren alles Menschen, die etwas komplett anders gemacht haben, als es davor üblich war", erklärt er, etwas, das er aber in der aktuellen Konzert-Landschaft vermisse.

Deshalb tritt als Solist zu den beiden nun anstehenden Konzerten etwa Branford Marsalis auf. Ein Jazz-Saxofonist, der ein Instrument spielt, das in vielen klassischen Werken sowieso nicht vorkommt. Doch für Järvi bedeutet das nicht, die alten Meister und deren damals revolutionären Duktus auszuschließen. Er sucht vielmehr die Verbindungen, die sich vom 20. und 21. Jahrhundert hin in die vergangenen musikalischen Epochen ziehen lassen.

Auf seinem letzten CD-Projekt trafen sich etwa Richard Strauss und Duke Ellington, im Nationaltheater wird er nun ein Programm dirigieren, das von Bernstein über Milhaud und einem zeitgenössischen Saxofon-Konzert von Jacob ter Veldhuis zu Tschaikowsky führt. "Bernstein ist einzigartig für mich", sagt er. Im 20. Jahrhundert hätte der diesen revolutionären Idealismus, den er sich in heutigen Programmen wünscht, gehabt. Für Järvi führt das über Milhauds tänzerisches "Scaramouche" zu Tschaikowsky, der neben seinem symphonischen Werk eben auch der bekannteste Komponist für Ballettmusik ist.

Doch mit dem Staatsorchester spielt Järvi nun weder dessen oft gehörte fünfte Symphonie, noch den bekannten "Schwanensee". Järvi hat eine Suite aus dem frühen und recht unbekannten "Schneeflöckchen op.12" zusammen gestellt. Eine Schauspielmusik zu einer etwas hanebüchenen Story, die Järvi amüsiert und die Verbindung zu Bernsteins ebenfalls etwas abstrusen "Candide" schafft. "Das ist Musik, die nicht in die traditionellen Konzertformen passt", sagt er. Er bezeichnet dieses Stück, was heute unter der Einordnung Schauspielmusik geführt wird, als "Prä-Musik-Theater". Und hier schließe sich der Kreis zu Bernstein, der dem Musiktheater im 20. Jahrhundert einen völlig neuen Anstrich verpasst hatte.

Doch eigentlich möchte Järvi seine experimentellen Programm-Ansätze gar nicht erklären: "Das Publikum soll das fühlen." Für ihn gibt es verschiedene Epochen, in denen Musik anders erklang, doch eine Rockband ist ein genauso ernst zunehmendes Ensemble für ihn wie eine Bigband oder ein Kammerorchester. "Die Welt ist heutzutage so klein geworden, da vermischt sich alles", sagt er. Also ist es für ihn logische wie spannende Konsequenz, nicht mehr in Schubladen zu denken.

Natürlich möchte der 43-Jährige auch zwischen populärer Kultur und Hochkultur nicht mehr trennen. Er ist als jüngster Sohn des Dirigenten Neeme Järvi in einer ganz klassisch geprägten Musikerfamilie aufgewachsen. Sein Bruder Paarvo ist ebenfalls Dirigent, doch schon während des Studius hat Kristjan Järvi die Grenzen der klassischen Musikinterpretation überschritten. Als Klavierstudent an der Manhattan School of Music gründete er 1993 das Absolute Ensemble, das er als "Band" bezeichnet, die ihn seit dem präge. Die 18-köpfige Truppe vermischt elektronische mit akustischer Musik, Weltmusik, Klassik, Improvisation und Jazz. Später dirigierte er die Einspielung zur Filmmusik von "Cloud Atlas" und arbeitete mit dem deutschen Indie-Klassiker Hauschka genauso zusammen wie mit traditionellen Orchestern oder der von ihm selbst gegründeten Baltic Sea Youth Philharmonic.

Qualität muss die Musik haben, damit sie ihn überzeugt, dann sei es "wie ein frischer Atemzug" wenn ungewöhnliche und selten gehörte Kombinationen zusammen erklingen. Und auch wenn das ein wenig esoterisch klingt, dem doch recht vorhersehbaren Konzert-Betrieb tut das in jedem Fall gut.

3. Akademiekonzert, Leitung: Kristjan Järvi, Montag, 11. und Dienstag, 12. Januar, 20 Uhr, Nationaltheater, Max-Joseph-Platz 2

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