Porträt:"Mann, ich bin Flüchtling!"

Porträt: "Geboren zu werden, ist schwer", so Anis Hamdoun, "aber wiedergeboren zu werden, ist gar nicht zu begreifen."

"Geboren zu werden, ist schwer", so Anis Hamdoun, "aber wiedergeboren zu werden, ist gar nicht zu begreifen."

(Foto: Privat)

Das Theaterstück "The Trip" wird beim Find-Festival an der Berliner Schaubühne gezeigt. Es handelt von Krieg und Neuanfang. Ein Porträt seines syrischen Autors Anis Hamdoun.

Von Mounia Meiborg

Anis Hamdoun steht in der Theaterkantine und ist etwas irritiert. Er kennt die Frau hinter der Theke nicht. Er fragt ein paar Schauspieler. Schließlich stellt sich heraus: Die Thekenkraft ist neu. Anis Hamdoun ist erleichtert. Schließlich kennt er hier jeden am Theater. Und auch sonst kennt er viele Menschen in dieser "kleinen verdammten Stadt", die seine neue Heimat ist. Anis Hamdoun stammt aus Homs, jetzt ist die Stadt ein Hauptschauplatz im syrischen Bürgerkrieg. Heute lebt er in Osnabrück, einer Stadt, in der auch der Westfälische Frieden ausgehandelt wurde.

Er sieht ziemlich genauso aus, wie man sich als Kind einen Piraten vorgestellt hat: Augenklappe, Dreitagebart, zum Zopf gebundene Haare. In seinem massigen Körper steckt eine überraschend hohe Stimme. Er bestellt drei Frikadellen und die erste Maracujasaftschorle seines Lebens. "Was ist das, Maracuja?", fragt er. Dann macht er es wie so oft: Er probiert einfach.

"Wenn ich in einigen Jahren nach Syrien zurückgehe, werde ich wieder ein Fremder sein."

Gerade zehn Tage war er in Deutschland, als er eine Laientheatergruppe anrief. Ob er ein Stück bei ihnen inszenieren könne? Heute, zweieinhalb Jahre, etliche Deutschkurse und ein Praktikum später, ist sein Stück "The Trip" der Exportschlager des Osnabrücker Stadttheaters: Es wird beim Find-Festival für Internationale Neue Dramatik an der Berliner Schaubühne gezeigt. Auch an die Münchner Kammerspiele, nach Karlsruhe und ans Schauspiel Frankfurt wurde er eingeladen.

Hamdoun ist ein Pionier. Zurzeit sind zwar auf vielen deutschsprachigen Bühnen Flüchtlinge zu sehen. Aber meist als Darsteller, nicht als Autoren oder Regisseure. Er dagegen erzählt seine Geschichten selbst: als Autor, Theaterregisseur und, wenn alles nach Plan läuft, bald auch als Filmemacher. Er will vom Krieg in Syrien berichten. "Die Geschichten sind in meinem Kopf und müssen raus. Nicht nur, damit ich mich erhole. Sondern auch, damit die Leute verstehen, was Syrer und Geflüchtete erlebt haben." Der Inhalt ist ihm dabei wichtiger als die Form. Ästhetische Debatten interessieren ihn im Moment nicht so.

Sein Stück "The Trip" kreist denn auch um einen jungen Syrer, der nach Europa gekommen ist. Tagsüber ist er mit der Jobsuche und seinem neuen Leben beschäftigt. Nachts sucht ihn die Vergangenheit heim. Er erinnert sich an die Proteste im Jahr 2011, als er gemeinsam mit seinen Freunden von Freiheit und politischen Veränderungen träumte - und seine Freunde inhaftiert, gefoltert oder getötet wurden.

Drei Schauspieler stehen auf der fast leeren Bühne. Die Gewalt, die im Text steckt, wird klug mit szenischer Zurückhaltung kontrastiert. Immer wieder ist ein auf- und abschwellender Gesang zu hören. Zainab Alsawah, Hamdouns Ehefrau, singt syrische Schlaflieder, Revolutionssongs und den Adhān, den Gebetsruf des Muezzins.

Entstanden ist das Stück im vergangenen Herbst für das "Spieltriebe"-Festival am Stadttheater Osnabrück. Der Erfolg war so groß, dass es in den regulären Spielplan übernommen wurde. "The Trip" ist zugleich ein poetisches Requiem für die toten Freunde und das Protokoll eines harten Neuanfangs. "Geboren zu werden, ist schon schwer, aber wiedergeboren zu werden, ist kaum zu begreifen", heißt es einmal. Das Stück sei zu 80 Prozent autobiografisch, sagt Anis Hamdoun.

Er spricht so gut Deutsch, dass er genüsslich Worte wie "Genehmigung", "Erlaubnis" und "hochnäsig" benutzt. Wenn er durch die Innenstadt von Osnabrück läuft, trifft er überall Bekannte. Und wenn ihn ein Bettler nach einem Euro fragt, breitet er die Arme aus, grinst und ruft: "Mann, ich bin Flüchtling!"

Hamdoun ist 30 Jahre alt und stammt aus einer syrischen Theaterfamilie. Sein Großvater Farhan Bulbul gründete in den Sechzigerjahren eine der ersten Theatergruppen des Landes, die Labour Theatre Group Homs. Eine Laienspielgruppe, die durch ganz Syrien tourte, sie ist an eine Gewerkschaft angeschlossen. Als Kind begleitete Anis Hamdoun seine Mutter, eine Schauspielerin, zu den Proben. "Jeden Tag Shakespeare, jeden Tag Brecht. Das war mein Spielplatz, mein Leben."

Theater, so hat es ihm der Großvater beigebracht, soll ein Anliegen haben. "Es gibt zwei Dinge: die Kunst und das politische Statement. Theater ohne politisches Statement ist lame, belanglos." Als im Jahr 2011 die Proteste begannen, inszenierte Hamdoun ein Theaterstück auf einer Demonstration. Es war seine Version von Orwells "Animal Farm". Die Tiere lehnen sich gegen einen despotischen Herrscher auf.

Im Februar 2012 traf ihn eine Mörsergranate. Er verlor das linke Auge. Wenn er vom Krieg erzählt, von Scharfschützen und Panzern, denen er ausweichen musste, klingt das fast wie eine Abenteuergeschichte. Und manchmal, wenn es tragisch wird, fängt er an zu lachen. Vielleicht ist das seine Überlebensstrategie.

Im Sommer 2012 verließ er das Land. Über ein Jahr wartete er in Ägypten, bis er gemeinsam mit seiner Frau mit einem UN-Kontingent nach Deutschland kam. Wenn er über die Syrien-Politik des Westens redet, wird er sauer. Scheinheilig und untätig seien die Politiker, die nur Angst vor dem IS hätten. "Der IS ist schlimm, aber Assad ist noch schlimmer." Er spricht dann über Folter in den syrischen Gefängnissen und über die vielen Tausend Toten, von denen die Welt nicht einmal erfahre, weil ihre Leichen beseitigt würden.

Nach der Vorstellung von "The Trip" gibt es ein Publikumsgespräch. Viele junge Geflüchtete sind gekommen. Einer will wissen, wie Hamdoun so schnell Deutsch gelernt habe; ein anderer, wie es mit seiner Karriere weitergehe. Anis Hamdoun erzählt dann auch von dem neuen Stück, das er für das Theater Osnabrück schreibt, und von dem Filmprojekt, für das er nach Geldgebern sucht. Eine ältere deutsche Frau fragt mit vorwurfsvollem Unterton, ob die syrischen Revolutionäre sich denn auch für Frauenrechte einsetzten. Der Theatermann lächelt nachsichtig. "Wir setzen uns für Menschenrechte ein. Soweit ich weiß, sind Frauen auch Menschen."

Er sei nun "eingedeutscht", sagt er. Und wird ernst. "Wenn ich in drei, fünf oder zehn Jahren nach Syrien zurückgehe, werde ich auch dort wieder ein Fremder sein. Ich habe viel von Brecht und Hannah Arendt gelesen. Sie sind ihr Leben lang Flüchtlinge geblieben. Ich habe mein Schicksal akzeptiert."

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