Porträt:Immer nur die Kunst

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Erika Stürmer-Alex galt als feindlich-negativ und wurde von der Stasi überwacht. Dennoch bekam die Künstlerin staatliche Aufträge. "Es war nicht alles schlecht", findet sie.

Von Elisabeth Pörnbacher

Freitagnachmittag, ein Café in Berlin: Kronleuchter, goldene Ornamente, der Boden ist aus dunklem Holz, ebenso Tische und Stühle. Spiegel lassen den Raum größer wirken. Erika Stürmer-Alex sitzt auf einem der Stühle, sie trägt kurzes Haar, das orangefarben schimmert, und eine Jacke, die dazu passt. Sie spricht leise, ernst, während es um sie herum laut ist.

Erika Stürmer-Alex lebte fast ihr ganzes Leben lang im Osten Deutschlands. Heute noch betreibt sie den Kunsthof Lietzen, malt dort und leitet eine Lerngemeinschaft. Ihre Bilder stellt sie bis in die USA aus. Ein Werk von ihr ist auch in der aktuellen Ausstellung im Museum Barberini zu sehen. Sie hat es 1981 gemalt. Acht Jahre vor der Wende, neun Jahre vor der deutschen Wiedervereinigung. Die Künstlerin erinnert sich, sie war wütend damals. Warum, weiß sie nicht mehr genau. "Es gab so viele Neins", sagt sie dann. Sie meint die beengte Wohnsituation bei ihren Eltern, die viele Arbeit, das Gefühl, an Strippen zu hängen, das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, wie durchgestrichen zu sein. Sie meint die Regierung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die Beobachtungen durch die Stasi, das Ausreiseverbot. Wenn Erika Stürmer-Alex ihre Geschichte erzählt, dann ist es auch eine Geschichte von Ost und West.

Erika Stürmer-Alex wurde 1938 in Wriezen geboren - von dort sind es keine 20 Kilometer bis zur polnischen Grenze. Hier, am Oderbruch, haben die Einwohner den Krieg hautnah miterlebt. Bis in die letzten Monate des Zweiten Weltkrieges wurden dorthin Kompanien geschickt. Unter der Erde am Oderbruch liegt ein Massengrab.

Ihre Kindheit verbrachte Stürmer-Alex auf dem Bauernhof ihres Großvaters in der Zäckericker Loose. Hier baute sie Sandburgen, fertigte erste Plastiken aus Lehm. Dass sie Künstlerin werden wollte, wusste sie immer schon. Das Talent, sagt sie, habe sie von ihrem Vater. Die Unterstützung von ihrer Mutter. "Meine Mutter glaubte immer, Künstler werden reiche Leute. Ich weiß nicht, wie sie darauf gekommen ist."

Also ging sie nach Berlin-Weißensee, bewarb sich an der damaligen Hochschule für bildende und angewandte Kunst, wurde zwei Mal abgelehnt. "Ich war so festgelegt, es gab nichts anderes, was ich wollte", sagt Stürmer-Alex. Sie bewarb sich ein drittes Mal - und wurde 1958 angenommen. Die Teilung in Ost und West zeigte sich für die angehende Künstlerin in Berlin: Im Westen gab es Ausstellungen, Konzerte, Theater - Stürmer-Alex sog einige Jahrhunderte europäische Kultur in sich auf, alles, was sie vorher verpasst hatte. Im Osten an der Hochschule in Berlin-Weißensee gab es das Bauhaus-Lernprogramm mit Naturstudium, Kompositions- und Farblehre, Gesellschaftswissenschaften. In der DDR hatte sich die Kunst am Sozialistischen Realismus zu orientieren. Erika Stürmer-Alex fand das als Grundlagenstudium nicht schlecht. Sie sagt: "Auch ein Tischler muss zuallererst lernen, wie man einen Tisch baut, bevor er neue Tische erfinden kann." An der Schule malte sie realistische Bilder, zu Hause abstrakte. 1963 schloss sie das Studium ab. Von da an stand sie unter der Beobachtung der Stasi. Wegen "feindlich-negativer Einstellung zur DDR", wie es in ihrer Akte steht. Bis zur Wende.

Erika Stürmer-Alex ist jemand, der sich gegen Situationen wehrt, mit denen sie nicht einverstanden ist. Leise, gewaltlos, aber bestimmt. Das tat sie auch in der DDR. Indem sie abstrakte Bilder malte, indem sie ins Ausland reiste, um der Enge zu entfliehen, indem sie sich mit aufmüpfigen Künstlerkollegen traf und später sogar eine Lerngemeinschaft gründete und junge Menschen dort unterrichtete - obwohl Gruppenbildung außerhalb der staatlichen Systeme verboten war.

Der Staat hatte seine eigene Art, mit der "Verdächtigen" umzugehen. Die Regierung förderte Erika Stürmer-Alex mit Aufträgen im Gewerk Grafik und Kunst am Bau. "Vielleicht", so vermutet sie, "damit aus den feindlich-negativen Gedanken keine feindlich-negativen Handlungen werden." Also fertigte Stürmer-Alex Plastiken. Eine langwierige Aufgabe. In der DDR bekam der Künstler einen Vertrag mit dem Auftrag und die erste Rate des Lohns. Dann musste er einen Vorentwurf abgeben. Und auf das Nicken einer Gruppe von Architekten, Funktionären und Künstlerkollegen hoffen. Diese kontrollierten, ob die Entwürfe des Künstlers den Vorstellungen entsprachen. Dann folgten der Entwurf und zum Schluss die fertige Plastik.

Die fertigen Werke sind zwei Meter hoch. Sie stehen noch immer in Eisenhüttenstadt. Wenn Stürmer-Alex daran zurückdenkt, scheinen ihr immer noch die Glieder zu schmerzen. Sie erzählt von dem giftigen PUR-Schaum, den sie verwendete, von der harten Arbeit, von der vielen Zeit, die sie in die Entwicklung der farbigen Polyesterplastiken investiert hat - obwohl sie viel lieber gemalt hätte.

"Meine Bilder wollte keiner", sagt die Künstlerin. Sie behandelten keine aktuellen Themen, waren eher rhythmisch-zeichenhaft. Und einige entsprachen nicht den Vorstellungen der Regierung. Bilder sollten den sozialistischen Alltag zeigen und: Optimismus, Zuversicht und Zukunftsglaube.

Das Gegenteil von Optimismus, Zuversicht und Zukunftsglaube ist 90 mal 100 Zentimeter groß. Es ist ein Bild, das von Trauer erzählt und von Verlust. Ein männliches Gesicht, weiß auf schwarzem Grund, Bart, Sonnenbrille, ein rötlicher Schimmer im langen Haar. Der Körper ist weggedreht, nur der Kopf blickt zurück. "Klaus H." ist eines von sechs Porträts, die Stürmer-Alex von Freunden angefertigt hat, die der DDR den Rücken kehrten. 1984 nämlich stellten sechs Künstlerkollegen von Erika Stürmer-Alex Ausreiseanträge. Sie wollten frei sein. Sie wollten gehen - aus Angst, sie kämen sonst nie mehr aus der DDR raus. Erika Stürmer-Alex blieb zurück. Und malte. Sibylle P., Johanna G., Gina G., Eberhard H., Christine M. und Klaus H. Eigentlich wollte sie die Bilder in der Bezirkskunstausstellung 1985 zeigen, die Bezirksleitung des Künstlerverbandes aber bewegte sie dazu, die Porträts zurückzuziehen. Heute sagt sie: "Die Ausstellung war mir nicht wichtig. Die Bilder waren da - das war mir wichtig."

Stürmer-Alex blättert durch ein Büchlein mit der Aufschrift "Zeitläufe" und zeigt auf ein Bild, das aus rosafarbenen und roten Pinselstrichen besteht. "Das habe ich gar nicht eingereicht", sagt sie, blättert weiter, sagt: "Das auch nicht." Weiter. "Das auch nicht." Es klingt nicht nach Resignation. Wenn sie über die damalige Zeit spricht, klingt sie gelassen. "Es war nicht alles schlecht in der DDR", sagt Stürmer-Alex. Sie erzählt, wie sie 1979 einen Antrag auf eine Studienreise nach Paris stellte. Weil sie die Bilder und Skulpturen ihrer Idole im Original sehen wollte: Beckmann, Klee, Barlach. Mit Ausreisegenehmigung, aber ohne eine Westmark in der Tasche fuhr sie los, übernachtete bei Freunden. Nach drei Wochen kehrte sie zurück in die DDR. "Warum bist du nicht in Frankreich geblieben?", fragten ihre Freunde. Wenn sie heute darauf antwortet, sagt Stürmer-Alex: "Ich begriff: Kunst war dort bloß eine Ware, so wie Schuhe. Künstler wurden dort nicht gebraucht. In der DDR hingegen waren Künstler Teilnehmer und Impulsgeber für ein die Gemeinschaft bewegendes Gespräch. Diese Aufgabe übernehmen in der Demokratie die Medien. Die Kunst ist frei. Wofür? Jeder hat die Freiheit, seine eigene Antwort zu finden."

Damals, vor fast 40 Jahren, sagte sie ihren Freunden: "Ich werde hier gebraucht mit meinem Andersdenken." Als sie Jahrzehnte später zur Biennale nach Venedig fuhr, merkte auch Erika Stürmer-Alex, wie eingeengt sie war. Sie weinte vor Rührung. Heute sagt sie: "Ich möchte die DDR nicht zurückhaben. Ich will weiterhin nach Venedig fahren. Diesen hemmungslosen Kapitalismus aber kann ich nicht gut finden. Etwas Besseres muss erst noch gefunden werden."

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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