Porträt:Einer für alles

Der wilde Heiner Kondschak kommt mit seinem Bob-Dylan-Musical ins Deutsche Theater

Von Christian Jooss-Bernau

Sie fragen sich bestimmt, wie ist dieser Typ am Pförtner vorbeigekommen" - bei der Podiumsdiskussion, die die kommende Bob-Dylan-Produktion im Deutschen Theater vorbereiten sollte, stellte sich Regisseur Heiner Kondschak mit einem Witz vor, den er wohl nicht zum ersten Mal bringt. Trotzdem ist er gut. Denn Kondschak ist auf den ersten Blick eine Erscheinung zwischen Freewheelin' Franklin von den Comic-Helden der Fabulous Furry Freak Brothers und Goofy. Converse Chucks, Schlacker-Jeans, Lieblingspulli, ziemlich lange Haare und ein beeindruckender Schnauzbart im auch sonst nur dezent rasierten Gesicht. Irgendwie muss er sich aus den 70ern nach 2015 gemogelt haben.

Im aktuellen Schaffensstadium schreibt Heiner Kondschak musikalische Biografien für die Bühne - Woody Guthrie, John Lennon. Am Stadttheater Ingolstadt hat jetzt sein "Rio Reiser - König von Deutschland", von ihm neu inszeniert, Premiere. Und vom 29. Juli an ist am Deutschen Theater "Dylan - The Times They Are A-Changin'" zu sehen. Theatrale, szenische Erzählkonzerte sind das, die Songs verbunden durch Biografisches und zeitgeschichtliche Bezüge.

Porträt: Matthias Zajgier als "Rio Reiser" in Ingolstadt.

Matthias Zajgier als "Rio Reiser" in Ingolstadt.

(Foto: Ludwig Olah)

Das Schreiben wäre das eine. Aber Kondschak komponiert, arrangiert, führt Regie und spielt gerne in der Bühnenband mit. So bleibt auch mehr Geld hängen. Wie viele Instrumente er denn beherrscht? Gezählt habe er sie noch nie, aber gut 20 werden es schon sein. Beim Dylan in München wird er Klavier, Gitarre, Mandoline, Saxofon, Mundharmonika und Flöte spielen. Musikalisch ist er Autodidakt. Mit 25 hat er sich Notenlesen und -schreiben beigebracht. Während die "studierten Kollegen", wie Kondschak sagt, an den Noten hängen, spielt er die Nummern auswendig. Jethro Tull und Led Zeppelin haben ihn in seiner Jugend begeistert, eher die etwas komplexeren Sachen also. Immer mal wieder tritt er mit der aus Theaterkollegen zusammengebastelten Randgruppencombo und einem Programm mit Liedern des ostdeutschen Rock-Liedermachers Gerhard Gundermann auf. Kondschak & Kapelle ist das Projekt für die eigenen Nummern, wahlweise in großer oder in Trio-Besetzung.

Rio Reiser und Ton Steine Scherben sind für ihn musikalisch da eher uninteressant. Kondschak geht es um die Geschichte. Darum, dass einer von Visionen singt, vom Paradies träumt: "Heute hat keiner mehr Visionen", sagt Kondschak. Dass er das bedauert, muss er nicht hinzufügen. Mit Dylan hat er anfangs gefremdelt, hat sich, frei von Verehrung, einen Dylan für die Bühne geschaffen. Da muss dann nicht jeder Song in voller Strophenzahl heruntergebetet werden. Mehr noch: Im Original des Dylanschen Arrangements fand er beispielsweise "Lay Lady Lay" völlig unerotisch und "The Times They Are A Changin'" einfach zu wenig aggressiv. Kondschak hat an der Musik gedreht. Jetzt passt sie besser auf die Bühne. Sollen Dylanologen ruhig toben.

Porträt: Monika Wiedemer und Florian Hertweck in "Dylan".

Monika Wiedemer und Florian Hertweck in "Dylan".

(Foto: Jochen Klenk)

Kondschak mag Typen, die nicht nur schöne Lieder singen, sondern auch in die Gesellschaft hineinwirken. 1955 geboren, hat er selbst die 60er-Jahre knapp verpasst, um dann mit Schwung in die 70er zu rauschen: "Ich habe mit Rio Reiser eins gemeinsam, was aber viele Langhaarige haben. Den Satz in der Biografie: . . . geht mit 17 nach Berlin." Lange Haare und Bundeswehr, das seien damals die zwei schlagenden Argumente für den Ortswechsel gewesen. Mit der Entscheidung für Berlin konnte man seinerzeit die Frisur und das Gewissen bewahren. Nebenbei traf man Ton Steine Scherben bei ihren Hausbesetzerkonzerten. Heute fragt ihn sein Ingolstädter Ensemble, wie es damals war. Sein Gefühl dabei: "Opa erzählt von Stalingrad".

Mit 17 hatte Heiner Kondschak schon sein Abitur in der Tasche, hatte Klassen übersprungen, war begabt, immer das "Vorzeigekind" und fand nach dem Schulabschluss: "Leckt mich doch am Arsch mit eurem Scheiß - ich brauch' keinen IQ." Deswegen begann er in Berlin eine Maurerlehre. Die Erfüllung war das nicht. Genauso wie später in Göttingen die Idee, Jura zu studieren, weil das eben die Freunde auch machten. Kondschak hatte anderes im Kopf. Musikmachen beispielsweise - mit den Swinging Mescaleros. Eine Band mit gar nicht mal so harmlosen Namen.

Porträt: Heiner Kondschak mit Schallplatte.

Heiner Kondschak mit Schallplatte.

(Foto: privat)

1977 wurde Generalbundesanwalt Buback erschossen, und in der Zeitung des AStA der Uni Göttingen erschien ein Nachruf. Der Verfasser, obwohl sich vom Gewaltweg der RAF distanzierend, schrieb hier über eine "klammheimliche Freude", die ihm die Ermordung bereitet habe. Ein Skandal. Unterzeichnet war der Artikel von einem Stadtindianer namens Mescalero. Die Platte der Swinging Mescaleros erschien beim Münchner Label Trikont, Hort der Gegenkultur, das übrigens auch Ton Steine Scherben schon unterstützt hatte. Die Platte, sagt Heiner, lief dann auch gerne in der Tonspur von Fernsehsendungen, die über die verkommene Jugend berichteten: "Ich habe immer nur gehofft, dass meine Mutter das nicht mitkriegt."

Kondschak ist ein netter Wilder, der heute gerne zusammenfasst: "Ich hab' keinerlei Ausbildung - ich hab' nur Abitur und Führerschein." Ganz so stimmt das natürlich nicht, weil er sich seine eigene Ausbildung zusammengestellt hat: unterwegs mit einem Zirkus, dann als Musiker und Schauspieler an diversen kleineren Theatern. Und vor allem sieben Jahre als Leiter des Kinder- und Jugendtheaters am Landestheater Tübingen.

Das ist nur der Anfang. Eigentlich ist alles viel verwirrender. So ganz genau kann man wohl gar nicht sagen, welches seiner musikalischen Projekte sich gerade wohin entwickelt und welches Stück als nächstes wo neu inszeniert wird. Muss das sein? Die Welt bleibt schon nicht stehen. Aktuell läuft es gut mit den musikalischen Biografien. Und Pete Seeger fehlt ihm noch in der Sammlung.

Rio Reiser - König von Deutschland, Premiere, Donnerstag, 25. Juni, 20.30 Uhr, Stadttheater Ingolstadt, Schloßlände 1; Dylan - The Times They Are A-Changin', Mittwoch, 29. Juli, bis Sonntag, 2. August, 19.30 Uhr, Deutsches Theater, Schwanthalerstr. 13

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