Porträt:Brillant am Rand

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Porträt des Film- und Musik- Avantgardisten Tony Conrad, der einer unbekannten Band das Buch "The Velvet Underground" als Namenstipp gab.

Von Philipp Bovermann

Wenn man, sagen wir, ein Gemälde wirklich verstehen will, lohnt es sich, nicht die Figuren im Zentrum zu betrachten, sondern die am Bildrand. Dort ist oft ungeheuer viel los. Alles verliert sich ineinander. Plötzlich geht es um Verhältnisse, um Strukturen. Dasselbe gilt für die Geschichte der Avantgarde. Sie ist voller Typen, die auf eine merkwürdige Art unscharf bleiben und immer überall dabei gewesen zu sein scheinen, wo sich Zentren verschoben haben - ohne je selbst zum Zentrum zu werden.

Der Künstler Tony Conrad, über den jetzt der Dokumentarfilm "Tony Conrad: Completely in the Present" ins Kino kommt, ist so ein Typ. Es gibt einige wenige Gassenhauer, die sich Eingeweihte über ihn erzählen - und die meisten davon lässt der Film ganz cool einfach weg: Zum Beispiel, dass der Name der Band "The Velvet Underground" vom Titel eines Buchs über abseitige Sexualpraktiken stammt. Conrad drückte es Lou Reed und John Cale in die Hand, die kurz darauf unter dem neuen Namen weltberühmt wurden. Damals, Mitte der Sechziger, spielte Conrad auf der Geige mit ihnen. Oder vielmehr: Er benutzte die Geige, um einen teuflischen, halluzinatorischen Lärm zu erzeugen. Wie ein Schüler, der das Geigenspielen nicht lernt oder nicht lernen will, bürstete er den Bogen über die Saiten. Das Instrument schrie unter seinen Berührungen auf. Conrad segelte auf diesen Schreien davon, quer zur klassischen Harmonielehre, ins Unbekannte, an den Nullpunkt, und erfand mit seiner Band "Theatre of Eternal Music" etwas, das die Musikgeschichte fortan entscheidend umgraben sollte: den Noise.

Tony Conrad im Jahr 1966, seine Geige malträtierend. (Foto: Verleih)

Zum Filmemachen hatte Conrad eine ebenso brutale Beziehung. Er briet und kochte das Zelluloid und legte die Streifen in Essig ein, wie saure Gurken. Einen Film von unbegrenzter Dauer wollte er drehen. Also strich er weiße Malerfarbe aus dem Baumarkt auf eine rechteckige Fläche, die ein Filmformat andeuten sollte. Dann begann die Belichtung. Er hatte eine besonders billige Farbe verwendet, die mit der Zeit einen Gelbstich entwickelte. "Yellow Movies" nannte Conrad das Projekt. Das wirkt nicht nur cleverer als Andy Warhols achtstündige Einstellung des Empire State Building ("Empire", 1964), sondern auch deutlich witziger.

Für Tyler Hubby, den Regisseur dieses dokumentarischen Porträts, ist dies sein Filmdebüt. Er ließ sich dafür ebenfalls ordentlich Zeit. 22 Jahre waren es, während denen er bei anderen Projekten im Schnittraum mitarbeitete. In solchen Zeiträumen ist schon so manche Filmrolle gelb geworden. Derartigen Produktionen, die mit den Biografien derer, die sie machen, zu verwachsen scheinen, merkt man oft eine merkwürdige Mischung aus Fahrigkeit und Überspannung an. Der Künstler will unbedingt alles drin haben, alles sagen, am besten alles auf einmal. So auch hier.

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Aber irgendwie liegt darin auch wieder eine gewisse Richtigkeit. Klassischerweise würde man zentrale Stellen in Werk und Biografie ausmachen und aus ihnen eine schöne Geschichte komponieren. Tyler Hubby hingegen erschafft mit einem schier unendlichen Fundus an Aufnahmen eine Art Hintergrundrauschen - ähnlich dem, das Tony Conrad für die Kunst und Musik der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts lieferte. Und dann dreht er die Amplitude hoch, bis es nur noch so dröhnt.

Tony Conrad: Completely in the Present , USA 2016 - Regie, Buch und Schnitt: Tyler Hubby. Kamera: Damian Calvo, Fortunato Procopio. Musik: Tony Conrad. Verleih: Salzgeber, 96 Minuten.

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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