Politische Debatte:Rassismus-Vorwürfe helfen nicht gegen Populisten

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"Hey Rassist!" Nach den Übergriffen der Silvesternacht in Köln protestieren Demonstranten vor dem Hauptbahnhof gegen die islamfeindliche Pegida-Bewegung NRW und die rechtsextreme Partei Pro Köln. (Foto: dpa)

Denn die rechtspopulistischen Bewegungen stehen den bürgerlichen Parteien näher, als diese zugeben mögen.

Von Thomas Steinfeld

Es gibt eine populistische Kritik des Populismus. Sie glaubt, ihren Gegner erledigt zu haben, wenn sie ihn einen Rassisten nennt, und sie reicht jedesmal nur bis zum Ausdruck des Abscheus. Was aber nützt es, jemanden einen "Rassisten" zu nennen und es beim moralischen Urteil zu belassen? Oder anders gefragt: Wie kommt es, dass der Versuch, Teile der Bevölkerung mit ihren eigenen Ansichten zu bedienen (wenn man sie denn kennte), als etwas Verwerfliches gelten soll? Ist den Leuten nicht zu trauen, wünscht man sich statt dessen einen Autokraten?

Widersprüchlich ist die populistische Kritik am Populismus: Sie argumentiert nicht. Vielmehr setzt sie allgemeine Zustimmung voraus, ein Einverständnis, das sich in einem Wort erschöpft, worauf die Verhältnisse geklärt sein sollen. Sie tut so, als erübrige sich jede weitere Auseinandersetzung, wenn man jemanden einen "Populisten" nennt. Sie beruft sich auf eine Volksmeinung, um sich eines Gegners zu erwehren, der sich seinerseits für eine Verkörperung der Volksmeinung hält.

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Die Empörung, mit der dem Populisten das Wort "Populist" - manchmal auch "Faschist", häufig "Rassist" - entgegengeschleudert wird, ist eine hilflose Angelegenheit. Sie ist es zum einen, weil auf die Schmähung nichts folgt. Wer solche Urteile fällt, sollte sie erklären können. Er tut es aber nicht. Selbst bei oberflächlicher Betrachtung zum Beispiel des Rassismus dürfte indessen schnell klar werden, dass es keinen Nationalstaat gibt, der nicht zwischen "wir" und "sie", zwischen den Eigenen und den anderen unterschiede - weshalb der Rassismus bei einem Verhältnis zum Fremden beginnt, das seinen Ausgang tief in demokratischen Verhältnissen nimmt. Erklärungen aber sind in der Politik gefährliches Terrain, und sie sind es um so mehr, als der sogenannte Rechtspopulismus keineswegs in absolutem Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien - oder auch zu den Sozialdemokraten, ja selbst zur "Linken" - steht, sondern sich in mancherlei Hinsicht als deren Radikalisierung darstellt. Das weiß der Populist, und er zieht daraus seine Konsequenzen.

Der Populist radikalisiert vor allem das Verhältnis von "wir" und "sie". Dabei tut er so, als gäbe es eine wahre Meinung des Volkes, als wäre diese umstandslos herauszufinden und als wäre, wer andere Ansichten vertritt, notwendig ein Verräter, und das heißt: gekauft oder verblendet. So erweitert sich der imaginäre, aber in der Praxis folgenreiche Gegensatz von "wir" und "sie" um eine genauso imaginäre und genauso folgenreiche Scheidung zwischen Volk und Politik: Diese setzt die Überzeugung voraus, ein Politiker habe prinzipiell etwas anderes im Sinn, als den politischen Willen seiner Wähler zu repräsentieren. Das Volk werde also betrogen.

Wichtiger, als wogegen der Einspruch sich richtet, ist, dass er überhaupt erhoben wird

Mit der Radikalisierung aber verändert sich die Sache selbst und geht in Theorien der Verschwörung über. Das Schrille, Bedenkenlose und Unberechenbare, das vielen Populisten eignet, ist die offenkundigste Folge dieser Scheidung und ihrer imaginären Aufhebung in der Person des volkstümlichen Politikers: Je abenteuerlicher ihre Behauptungen werden, desto deutlicher scheint an ihnen Volkes Stimme hervorzutreten - in Gestalt eines Einspruchs gegen die "dominante politische Klasse" (Hermann Lübbe) - und nach Betreuung zu verlangen.

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Dabei kommt es zwar auch darauf an, worin der Einspruch besteht - im Widerstand gegen die Asylpolitik, in der Ablehnung des Euro, im Verrat an der Größe der Nation. Mindestens so wichtig aber ist, dass der Einspruch überhaupt stattfindet, als Zeichen der Dissidenz wider eine Macht, die im Verdacht steht, sich gegen das Volk verschworen zu haben. So wird das Anstößige zum Programm. Deswegen muss der Populist den Unfug, den er in die Welt setzt, nicht zurücknehmen. Deswegen ist er gegen das nachträgliche "fact checking" immun (er muss also nicht einmal behaupten, dass die Fakten womöglich gefälscht sind, obwohl auch das geschieht). Und deswegen kann er immer wieder auftreten und immer mehr abenteuerliche Dinge sagen: Das nennt sich dann "Klartext reden", wobei der Bruch eines jeden "Tabus", so erfunden es auch sein mag, der Herstellung wahrer Redefreiheit dienen soll, wider die Verschwörung der Macht.

Nicht rechte Parteien, sondern die Sozialdemokraten haben in Schweden das Asylrecht verschärft

Im Übrigen unterliegt das Wünschen nicht der Kontrolle durch Fakten, und das gilt für den Einfall englischer Populisten, Großbritannien werde durch den Ausstieg aus der Europäischen Union die staatliche Souveränität (welche?) zurückgewinnen, ebenso wie für den Vorschlag des italienischen Politikers Matteo Salvini von der Lega Nord, man möge die römischen Bürgermeister der vergangenen Jahre allesamt auf einer Insel im Pazifik aussetzen, umgeben von Haien.

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Aus dem bloßen Abscheu gegen Populisten wurde in Schweden die Konsequenz gezogen, wo immer möglich die Begegnung mit ihnen zu meiden - bei öffentlichen Auftritten, im Rundfunk und im Fernsehen, aber auch in den großen Tageszeitungen. Die Distanzierung sollte die Empörung wachhalten. Ein Erfolg dieser Strategie ist indessen nicht zu erkennen: Die Zustimmung zu den Schwedendemokraten ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Gegenwärtig dürften sie knapp zwanzig Prozent der Stimmen auf sich vereinen können und die drittgrößte Partei des Landes sein.

Der Versuch, die Rechtspopulisten in der Öffentlichkeit zu isolieren, zeitigt jedoch anderweitig Wirkung: Er bestätigt die beliebte Verschwörungsfantasie, die herrschende Politik gründe auf undemokratischen Absprachen, er stützt die Behauptung, man dürfe in der Öffentlichkeit nicht alles sagen - und er verbirgt die Gemeinsamkeiten, die es zwischen den regierenden Sozialdemokraten und den Rechtspopulisten gibt, bis hin zu zwei radikalen Verschärfungen des schwedischen Asylrechts in den vergangenen Monaten.

Der Populist ist ein enttäuschter Anhänger seines Staates. Er will gewürdigt werden, im ideellen und im handfesten Sinne, als hervorragender und einzigartiger Gegenstand einer Fürsorge, die sein politisches Gemeinwesen vermeintlich auch Unberechtigten zuteilwerden lässt. An Letzterem stört er sich. Durch den Vorwurf, er sei ein "Populist", wird er sich den Gedanken, um sein Recht betrogen zu werden, nicht ausreden lassen - im Gegenteil, er wird sich in dem Glauben, sich von vornherein auf der richtigen Seite zu befinden, genauso bestätigt sehen, wie es der populistische Kritiker des Populismus seinerseits tut.

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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