Popmusik:Eine Idee, ein Kopfschmerz, ein Trick

Auf "Camping" durchstreift die Band "Candelilla" mit zornigem Selbstbewusstsein die Zone zwischen Lust und Langeweile.

Von Kristof Schreuf

Für ihre letzte Platte waren Candelilla nach Chicago geflogen, damit Steve Albini sie aufnehmen konnte. Um ihr neues, drittes Album "Camping" einzuspielen, musste die Band zunächst nicht mal ihren Münchner Proberaum verlassen. Denn dort besuchte sie ein musikalischer Daniel Düsentrieb, der Produzent Tobias Levi. Mit ihm machten sich Candelilla an die Arbeit, und so entstanden zunächst in München und später in Levins Hamburger Studio zehn vor zornigem Selbstbewusstsein strotzende Stücke.

Im ersten, "Augen", bringt Rita Argauers Keyboard die Luft mit einem gleißenden Sirren zum Flimmern, bevor die Schlagzeugerin Sandra Hilpold magengrubentiefe Schläge auf der Stand Tom landet. Darauf schafft Argauer mit ein paar Klavier-Akkorden genug Platz, um die Musik in ein kontrolliertes Tosen ausbrechen zu lassen. Es hört sich an, als würden gut eingespielte Sonic Youth eine Post-Punk-Version von "Tristan und Isolde" aufführen. Tatsächlich haben sich Candelilla auf Camping nicht weniger vorgenommen, als sowohl eine Menschheits- als auch eine Liebesgeschichte zu erzählen.

Dazu errichten sie im nächsten Lied "Hand" eine basslastige Drohkulisse, die ein paar salopp angeschrägte Klaviersprengsel unter Spannung setzen. Die Bassistin und Sängerin Mira Mann berichtet dazu in expressionistisch kurzen Ausrufen, was wir uns auf "Camping" unter einem Menschen vorstellen können. Es handelt sich um jemanden, der alles, was er tut, vorher gelernt hat. Er durchläuft Ausbildungen oder absolviert Studiengänge und erwirbt dabei Tischmanieren, Fachwissen und die Fähigkeit, sich selbst und seine Umgebung immer wieder, wie es Mira Mann ausdrückt, zu "überprüfen". Damit wappnet er sich für den sogenannten Ernst des Lebens.

Candelilla

Auf der Suche nach einem neuen Gesellschaftsvertrag: Candelilla.

(Foto: Matthias Kestel)

Für jenes Dasein, in dem er Erledigungen macht, Bewerbungsunterlagen vervollständigt und Arzttermine wahrnimmt. Für den beruflichen Alltag, in dem er ständig vernetzt, unterwegs und sogar seine Telefonnummern mobil sind. Dass er zwischen Aufstehen und Schlafenlegen Gelegenheit findet, sich länger als ein paar Minuten mit jemand anderem abzugeben, kommt selten vor. Wenn es aber doch mal passiert, ist die Überraschung darüber so groß, dass sie ihn in abgehobene Stimmungen trägt: "Berühre meine Hand".

Candelilla lassen auf sehr schlaue Art offen, ob das jemandem gilt, der schon durch einen flüchtigen Hautkontakt tief vergrabene Gefühle im Gegenüber ausbuddeln kann. Ebenso gut könnte es sich um einen Arbeitgeber handeln, der hoffentlich auch in diesem Monat wieder ein Gehalt in die ausgestreckte Pfote drückt. Doch selbst, wenn der Arbeitnehmer oder der Angestellte erhört wird, muss er immer noch mit einer Schwierigkeit kämpfen. Denn trotz aufopferungsvollem Einsatz kommt es ihm manchmal vor, als würde er sich in Wirklichkeit "keinen Zentimeter bewegen".

Im Stück "Trocken und staubig" stürmt die Rhythmusgruppe im Jagdgalopp in den Wahnsinn

Die Lage verbessert sich auch nicht dadurch, dass etwa Kunsthistoriker oder Journalisten ihm mit einem schicken Genrenamen als einem "jungen Wilden" schmeicheln. Denn ab da gelingt dem so Etikettierten wenig mehr als sein Talent zu verschwenden, Chancen zu vertun und "unsere Geschichten (zu) wiederholen". Diese Einsicht bringt die Rhythmusgruppe von Candelilla in "Trocken und staubig" so in Rage, dass sie im Jagdgalopp in den Wahnsinn stürmt, während Rückkopplungswolken über ihnen drohen.

Nach dem anstrengenden Ritt fasst Mira Mann ihre Erschöpfung, ihre Verzweiflung und ihr Aufbegehren als bewusstseinserweiterndes Erlebnis auf: "Die Müdigkeit macht mich." Ihr Zustand wirkt sich hörbar auf ihre Mitspielerinnen aus, Lina Seybolds Gitarre treibt nun harsche Zacken in die Musik und Sarah Hilpolds Schlagzeug trabt noch unerbittlicher voran. Während zerborstene Gitarrenplektren und barsche Flageoletts auffliegen, lässt sich förmlich zusehen, wie Mira Mann in "Intimität" die Glasdecke zwischen sich und der Welt mit Artikeln und Substantiven zersticht: "Eine Idee / Eine Anziehung/ Ein Witz / Ein Merkmal / Eine Übereinkunft / Ein Trick / Ein Zeichen / Ein Vergnügen / Ein Rest / Das Flimmern / Der Kopfschmerz / Die Leidenschaft / Eine Intimität."

Das Stück illustriert, wie sorgfältig Candelilla Text und Musik durchkomponiert haben. Der Horizont hängt hier voller Möglichkeiten des Umgangs miteinander, gar nicht mehr so leise Hoffnungen auf einen neuen Gesellschaftsvertrag kommen auf, ein Höhepunkt liegt in der Luft. Diesem dritten Akt der Platte folgt das retardierende Moment am "Pool", wo sich Mira Mann, ein vergleichsweise entspanntes, majestätisches Gitarrenriff im Ohr, ausruht, wie Romy Schneider und Alain Delon 1969 im Film "Swimming Pool".

Im Wasser des Pools plätschern böse Vorahnungen. Der Bass windet sich zu eingestreuten Misstönen vom Klavier. Satzenden entfallen: "Sie fordern". Lina Seybolds Gitarre stellt die Delay-Effekte dar, die auf der Zeit liegen. "Die Welt steht still" und so kann jedes Herz laut bis zum Hals klopfen, um sich auch ohne Worte Gehör zu verschaffen. Die Spannung lässt sich mit Händen greifen. Mira Mann und Alain Delon belauern sich. "Sie lieben sich" zwischendurch, aber vor allem, um keine Spielverderber zu sein, und nicht ohne Unmut, da "Lust und Langeweile" einander ständig in die Parade fahren.

Dem Oszillieren zwischen diesen beiden Polen verdankt sich der Titel der Platte. Menschen sind Leute, die als Rasiermesser durch die Gegend laufen und kurz Urlaub oder eben "Camping" im Leben anderer Leute machen, um sie sofort danach hinter sich zu lassen. Das mag keine sehr aufbauende Botschaft sein. Aber wenn sie mit derart ekstatischem Glanz und mit einem solch glamourös tragischen Unterton auf einem so mitreißenden Album wie diesem überbracht wird, will man sie sich wieder und wieder und wieder anhören.

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