Popkultur:Warum Handys auf Konzerten ein Segen sind

Fans take photos with their mobile phones during the VH1 Divas Salute The Troops show in San Diego

So sieht es aus, wenn die Großen den Kleinen helfen. Danke dafür!

(Foto: REUTERS)

Viele schimpfen über Konzertbesucher, die vom ersten Akkord an Fotos und Filme machen. Unsere Autorin ist dankbar für den Handywald.

Von Kathleen Hildebrand

Es gibt Dinge, bei denen scheinen sich alle einig zu sein. Handys auf Konzerten gehören dazu. Doof sind die, versperren die Sicht auf die Bühne und sind überhaupt das verachtenswerteste Symptom der Social-Media-Ära, in der niemand mehr den Live-Moment unvermittelter Künstler-Präsenz zu schätzen weiß. Sagen alle.

Mir geht es da ganz anders. Ich mag die kleinen Bildschirme vor, neben und vor allem über mir. Das liegt daran, dass ich klein bin. Nicht außergewöhnlich klein. Eigentlich bin ich exakt so groß wie die deutsche Durchschnittsfrau, nämlich 1,66 Meter. Um auf Popkonzerten die Bühne zu sehen, ist das aber schlicht viel zu klein. Und weil die erste Reihe nicht in Frage kommt - ich bin weder Groupie, noch kräftig genug, um das Gezerre und Gedrücke aushalten zu wollen - sehe ich meistens einfach: nichts.

Vor mir stehen dann nämlich immer Dutzende große Männer, die seit einigen Jahren auch noch sehr volle Bärte tragen und mir damit die Sicht zuwuchern. Dauerknutschende Pärchen. Oder Frauen, die eben doch ein signifikantes Stück größer sind als die deutsche Durchschnittsfrau.

Neid und Wut auf die Menschen mit dem Größen-Gen

Wenn ich Glück habe, finde ich zwischen Bärten, Knutschern und Frauen eine Sichtachse zur Band. Dann fühle ich mich kurz wie in einem gut geplanten englischen Landschaftsgarten mit einem dieser pittoresken Durchblicke zu chinesischen Pagoden, römischen Häusern oder dem herrschaftlichen Landsitz in der Ferne.

Das Dumme ist nur: Anders als im englischen Landschaftsgarten ist die Sichtachse nicht von langer Dauer, sondern die Bäume, also die großen bärtigen Männer, bewegen sich, weil das ja ein Konzert ist hier und da steht man eben nicht wie angewurzelt da, es sei denn man wollte eigentlich gar nicht mitkommen und begleitet nur die Freundin mit dem merkwürdigen Musikgeschmack.

An diesem Punkt - wenn ich langsam aggressiv werde, Neid und zugleich Wut auf die Menschen mit dem Riesen-Gen in mir aufsteigt und ich das erste Ziehen in den Muskeln spüre, die mich auf den Zehenspitzen halten, kommen die Handys ins Spiel. Deren Displays kann ich nämlich wunderbar sehen _ und auf ihnen wiederum alles, was vorne auf der Bühne geschieht. Was alle anderen in den Wahnsinn treibt, ist mir eine große Hilfe: Lauter kleine Bildschirme, die freundlich zeigen, was mir da unten im Menschenwald sonst verborgen bliebe. Toll!

Auf großen Stadionkonzerten braucht diese Second Screens natürlich niemand. Da flankieren die Bühne ja hausgroße Videowände, auf denen man jede Beyoncé-Locke einzeln im Ventilatorenwind flattern sehen kann. Aber schon eine Celebrity-Status-Kategorie drunter ist das nicht mehr so. Selbst wenn Bands aus der Liga von Phoenix oder Franz Ferdinand Bildschirme mitbringen, sieht man darauf nur arty Visuals herumzucken - und keine Musiker.

Man muss also sagen: Das Handydisplay ist die Stadion-Videowand der kleinen Frau auf kleinen Konzerten. Deshalb: Lasst euch nichts sagen, liebe große Menschen, wenn sich da wieder mal so ein altmodischer Popmusiker von euch wünscht, ihr möget die Smartphones einpacken, weil er oder sie so gern einen intimen Moment mit euch verbringen will. Hört nicht hin und filmt weiter. Tut es für die kleinen Menschen hinter euch.

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