Popkultur:Adieu, weißer Mann!

Popkultur: Waren das weiße Zeiten: Bruce Willis in der Rolle des Frauenretters und Ronald Reagan in der des Präsidenten.

Waren das weiße Zeiten: Bruce Willis in der Rolle des Frauenretters und Ronald Reagan in der des Präsidenten.

(Foto: AFP, AP, dpa, Imago stock&people; Bearbeitung: Jessy Asmus/SZ.de)

Auch wenn die aktuelle Debatte rund um die Oscars anderes vermuten lässt: Der weiße Mann befindet sich in der Popkultur schon seit Jahren im Niedergang.

Von Julian Dörr

Er ist wieder da. Der weiße Mann. Ein neues altes Feindbild, das gerade wieder als Schreckgespenst durch Hollywood zieht. Verkörpert durch ein Komitee alter weißer Männer, das den nicht weißen Künstlern und Künstlerinnen die verdienten Oscar-Trophäen vorenthält. Zum zweiten Mal in Folge finden sich unter den Nominierungen für die besten Schauspieler und Schauspielerinnen ausschließlich Weiße. Von der Vielfältigkeit des Lebens in den USA keine Spur.

Harte Zeiten für die Traumfabrik. Hollywood diskriminiere Afroamerikaner, heißt es nun. Und wenn wir schon dabei sind: Hollywood diskriminiert Frauen. Die weiße, aber weibliche Oscar-Gewinnerin Jennifer Lawrence ärgerte sich vergangenen Oktober sehr öffentlich und sehr zu Recht darüber, dass sie deutlich weniger verdient als ihre männlichen Co-Stars - "the lucky people with dicks", wie Lawrence in ihrem Essay für den Newsletter von Lena Dunham schrieb.

Der aktuelle Aufschrei ist richtig, gut und wichtig. Und lässt doch eines außer Acht: Der weiße Mann befindet sich in der Popkultur im schleichenden Niedergang. Er scheint übermächtig, aber eigentlich wurde er schon vor Jahren gebrochen.

Frauen, Globalisierung, Multikulti: Der weiße Mann hat Angst

Die USA, Anfang der Achtziger: Ronald Reagan, der Präsident, der einmal Schauspieler war, hat ein von Vietnamkrieg und Ölkrise geschütteltes Land übernommen. In seinem Wir-schaffen-das-Amerika rücken die große Politik und die großen Träume von Hollywood eng zusammen. Keine Figur der Popkultur verkörpert das so treffend wie Sylvester Stallones Ein-Mann-Armee John Rambo, der mit seinen Einsätzen in Vietnam und Afghanistan zum Synonym für die imperialistische Rhetorik der Reagan-Ära wird.

Doch dann taut der Kalte Krieg auf und mit ihm endet auch die Ära von Präsident Ronald Reagan. Der Triumphalismus dieser Zeit mit seinen aufgepumpten, weißen Über-Soldaten hat den Bezug zur Realität verloren. Die Welt dreht sich weiter. Lange verdrängte innenpolitische Probleme stoßen an die Oberfläche. Multikulturalismus, Globalisierung und emanzipierte Frauen sägen am Stuhlbein des Patriarchen. Seine Vormachtstellung wird in Frage gestellt, im Kino beginnt die Zeit der "White Male Paranoia".

In kaum einem Film zeigt sich das schöner als im Weihnachts-Baller-Klassiker "Stirb Langsam" mit Bruce Willis von 1988. Der New Yorker Polizist John McClane reist an Heiligabend nach Los Angeles, um die Feiertage mit seiner Frau zu verbringen. Die hat ihn verlassen, um einen Job bei einer japanischen Firma in Kalifornien anzutreten. Die große Weihnachtsfeier im Wolkenkratzer wird jedoch von Terroristen gestört und nur John McClane kann seine Frau und die übrigen Geiseln noch retten.

So weit die bekannte Story. Doch Bruce Willis' Selbstjustiz-Orgie ist eigentlich eine Geschichte vom Niedergang des weißen Mannes, den John McClane exemplarisch durchleben muss. Der Feminismus hat seine Familie zerstört. Seine Frau hat ihn für ihre Karriere verlassen, ihr neuer Arbeitgeber belächelt den Amerikaner: "Pearl Harbor hat nicht funktioniert, jetzt bombardieren wir sie mit Videorekordern." John McClane kämpft nicht nur gegen multinationale Terroristen, sondern auch gegen Globalisierungsgewinner und die Emanzipation der Frau.

Ein gequälter Geist in einem gequälten Körper

Am Ende darf der weiße Held noch einmal triumphieren. Aber zu welchem Preis? Von nun an wird er von Abstiegsängsten beherrscht, er verliert an Macht - in der Welt und in den heimischen vier Wänden. Ein Trend, der sich nie wieder umgekehrt hat. Und der in Daniel Craigs James-Bond-Darstellung seinen bisherigen Höhepunkt findet.

Bond, der einstige Frauenschläger und schlagfertige Weltenretter, ist heute ein komplizierter Typ. Ein gequälter Geist in einem gequälten Körper. Er wird gefoltert, entmannt, fast erschossen (von einer Frau!). Die Welt, die ihn einst gebraucht hat, scheint ihn abzustoßen. Wer einen konsequenten Schlusspunkt sucht, der schaue sich "Django Unchained" vom großen Geschichtsrevisionisten Quentin Tarantino an. Nach dem erfolgreichen Hitler-Attentat aus dem Vorgänger "Inglorious Basterds" steigt hier ein schwarzer Cowboy zum Sklavenbefreier auf. Nimm das, Abe Lincoln.

Zwischen Retromanie und Selbstmusealisierung

Doch der weiße Mann verliert nicht nur im Kino an Kraft, sondern auch im Pop. Die Gitarrenmusik, eine Domäne weißer Männer, ist in den vergangenen Jahren verdammt langweilig geworden. Zwischen Retromanie und Selbstmusealisierung hat man den Innovationszug einfach davonrauschen lassen. Die alten Helden wurden in Deluxe-Super-Sonderveröffentlichungen gestopft und die jungen Wilden jagen seit den Neunzigern von Revival zu Revival. Rock recycelt sich selbst - bis nichts mehr von ihm übrig ist.

Das wilde Herz des Fortschritts schlägt heute in der elektronischen Musik, in der schwarzen Musik. Wann hat ein weißer Mann zum letzten Mal eine Platte geschaffen, die sich so eng an den Zeitgeist schmiegte und gleichzeitig so weit aus der Gegenwart entrückt schien wie Kendrick Lamars "To Pimp a Butterfly"? Einst sammelten sich die ungehörten Stimmen, die Aufmucker und Dissidenten in der Gegenkultur namens Rock. "What can a poor boy do except to sing for a rock'n'roll band?", sang Mick Jagger 1968 in Zeiten des Straßenkampfs. Das stimmt nicht mehr.

Der Protest gehört heute den anderen. Egal, ob das eine Jury alter Männer nun interessiert oder nicht. Was arme Jungs und Mädchen tun? Sie werden Rapper. Oder Filmemacherinnen. Und erzählen uns Geschichten aus dem schwarzen Amerika, die zeigen, dass Rassismus und Diskriminierung immer noch reale Probleme sind, auf der ganzen Welt. Geschichten über die, denen keiner zuhören will. Geschichten über die Länder, in denen wir leben, und die Zukunft, die sie uns geklaut haben. Und du, weißer Mann? Stirb langsam, neurotischer Langeweiler.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: