Popkultur:Die Stones haben den Blues

Rabe

Nach vielen Jahren gibt es endlich wieder ein neues Album der Rolling Stones: "Blue & Lonesome" ist eine Hommage an die schwarzen Wurzeln des Pop.

Von Jens-Christian Rabe

Die Rolling Stones werden im Dezember ihr erstes Album seit mehr als zehn Jahren veröffentlichen. Es wird den Titel "Blue & Lonesome" tragen und aller Voraussicht nach ausschließlich Cover-Versionen alter Chicago-Blues-Songs enthalten, jene Musik also, die Mick Jagger und Keith Richards als Jugendliche verehrten und die sie 1961 auf einem Bahnsteig des Londoner Vororts Dartford ins Gespräch brachte. Die erste, am Donnerstag vorgestellte Single des Albums, "Just Your Fool", ist ein Song von Buddy Johnson, den der Chicago-Blues-Pionier Little Walter bekannt machte.

Die Stones spielen ihn als Little-Walter-Hommage sehr ordentlich zügig-ruppig, aber auch so offensichtlich und fast rührend ehrfürchtig, dass man doch etwas staunte, als das amerikanische Online-Magazin Slate noch am selben Tag zum Angriff überging und einen langen Vorabdruck aus dem neuen, klugen Buch "Just Around Midnight" ihres Kritikers John Hamilton mit dem Satz betitelte: "Wie die Rolling Stones, eine von schwarzer Musik besessene Band, dabei halfen, Rock zu einer weißen Angelegenheit zu machen".

Die Begeisterung der Stones für schwarze Musik (schon der Bandname geht auf einen Song des Chicago-Blues-Pioniers Muddy Waters zurück), so Hamilton, sei irgendwann einfach Teil der Band und damit weiß geworden: "Die Band, die sein wollte wie Muddy Waters, war irgendwann von einer Welt voller Rockmusiker umgeben, die so sein wollten wie sie." Diese Transformation der Stones von einer Band, die sich mit ihrer Bewunderung und Kenntnis schwarzer Musik glaubwürdig machte, zu einer Band, der eine eigene Authentizität zugestanden wurde, sei eine der folgenreichsten Wendungen des Pop überhaupt - und der Grund dafür, dass Rock bis heute eine weiße Sache sei, obwohl er tatsächlich von Schwarzen erfunden wurde.

Vollkommen falsch ist diese Beobachtung, mit der die Stones im Laufe ihrer Geschichte schon manches Mal konfrontiert wurden, natürlich nicht. Im Gegenteil: Wenn man es genau nimmt, ist die Geschichte der Popmusik eine Geschichte davon, wie schwarze Ideen von Weißen übernommen und - mal mehr (und dann selten zum Besseren), gerne auch sehr wenig - verwandelt einem mehrheitlich weißen Massenpublikum verkauft wurden, von Rock'n'Roll über Disco bis zur elektronischen Musik.

Dafür allerdings irgendwem persönlich die Schuld in die Schuhe zu schieben, erscheint zu einfach. Der Umkehrschluss wäre ja das Gebot, dass Schwarze gefälligst nur tun, was Schwarzen geziemt, und Weiße nur, was Weißen geziemt. Das aber ist im Grunde ein rassistischer Kultur- und Authentizitätsbegriff. Insbesondere bei den Stones kann man den Spieß zudem auch sehr gut umdrehen: Kaum eine Band hat, in unzähligen Interviews und Kooperationen, so viel für das allgemeine Wissen um die Wurzeln von Pop und Rock getan. Wer die Stones liebt, muss schon ein irrer Ignorant sein, um nicht zu wissen, dass das schwarze Genie Chuck Berry, das übrigens in zehn Tagen seinen 90. Geburtstag feiert, den Rock und damit alles, was wir heute als Popmusik bezeichnen, erfunden hat.

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