Popkultur:An ihren T-Shirts sollt Ihr sie erkennen

Popkultur: Jan Müller, Rick McPhail, Dirk von Lowtzow und Arne Zank (von links) sind mittlerweile zu alt, um Teil einer Jugendbewegung zu sein.

Jan Müller, Rick McPhail, Dirk von Lowtzow und Arne Zank (von links) sind mittlerweile zu alt, um Teil einer Jugendbewegung zu sein.

(Foto: Michael Petersohn)

"Tocotronic" wissen, wie man dazugehört und doch kein Bestandteil von etwas ist. Nachzulesen ist die Bandgeschichte jetzt in den "Tocotronic Chroniken". Und am Samstag stehen sie im Zenith auf der Bühne

Von Michael Zirnstein

Nach dem Intro vom Band, Prokofjews "Tanz der Ritter", der den Tocotronic-Musikern schon lang gefällt, auch weil er den italienischen Soft-Sex-film "Caligula" klanglich dramatisierte, war die erste Frage nicht: Mit welchem Lied würden sie ihr Konzert starten? (Mit "Prolog" vom neuen Album, was zu erwarten war.) Sondern: Welches T-Shirt wird Dirk von Lowtzow auf dieser Tour tragen? Und die zweite: Darf man sich das überhaupt fragen? Also bei einem Sänger, der 2015 mit dem Regisseur René Pollesch eine moderne Oper für die Volksbühne Berlin erarbeitet hat ("Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte") und gemeinhin als intellektuell eingestuft wird. Was Lowtzow gar nicht behagt. "Ich habe sehr große Probleme mit dem Label ,intellektuell'. Es impliziert, dass man Menschen einteilt in Wissende und Unwissende. Diese Einteilung ist herabwürdigend. Und vieles erscheint mir auch an der Unwissenheit interessant zu sein." Wem das nun wieder zu intellektuell erscheint, den dürfte interessieren, dass Dirk von Lowtzow im April beim Präsentationskonzert zum neuen "Roten Album" im Münchner Club Strom ein rosafarbenes T-Shirt mit den Figuren aus dem Disney-Film "Frozen - die Eiskönigin"  trug.

Ist das wichtig? Bei jener stilbildenden Hamburger Band, "die uns die schönste Erschlaffung geschenkt hat und den euphorischsten Anfang"; die uns "Selbstzweifellieder" vermacht und gezeigt hat, "dass man dazugehören kann, ohne zum Bestandteil zu werden", wie Jens Balzer im Vorwort zum Buch "Die Tocotronic Chroniken" (Blumenbar Verlag) schreibt. In diesem Wälzer kann man die 22 Jahre währende Karriere von Tocotronic in etlichen Feuilleton-Essays nachlesen ("Streikposten der Wiedehopf-Gewerkschaft"). Man kann in dem von Bassist Jan Müller gehorteten Sammelsurium stöbern und Briefe von erbosten Neuntklässlern lesen, welche die Band ob ihres Songs "Michael Ende, du hast mein Leben zerstört" anschnauzen: "Warum macht Ihr Michael Ende so fertig?" Was ja nur beweise, was da steht: "Tocotronic treffen mit ihrem ernst-ironischen Umgang mit bildungsbürgerlichen Themen den Nerv genervter Schüler." Und gerade über den Umgang mit der für Tocotronic kennzeichnenden Ironie findet sich in den Chroniken jede Menge Stoff: von der ersten, in "muffiger" Eltern-Generation-Sprache verfassten Konzerteinladung ("um pünktliches Erscheinen wird gebeten"), über im Fix-und-Foxi-Stil gezeichnete frühe Autogrammkarten einer das Star-sein karikierenden Band, die - Ironie der Ironie - längst tatsächlich Autogramme geben muss, bis zur Antiklimax ihrer Einflüsse (Amon Düül, The Fall, Hubert Fichte, "Ich heirate eine Familie").

Und schließlich das Ende der Ironie: etwa bei der Auswahl etablierter Kunstwerke wie dem Blumenstrauß des Duos De Rijke/De Rooij für späte Alben-Cover. Oder eben das aktuelle "Rote Album", das zwei Stücke ("Jungfernfahrt", "Haft") der Lowtzow-Pollesch-Oper enthält, und doch die leichte Muse liebt: "Von allen Platten hat diese die geringste Angst vor den klanglichen und musikalischen Standards des Radio-Pop. Lustvoll und ohne ironische Distanz eignet sich die Band dessen Mittel an, um flüchtige Momente rückhaltlos zu vergrößern und alltäglichen Gefühlen den Anschein ewiger Erhabenheit zu verleihen", schreiben sie zu Jugenderinnerungen wie im Knutsch-Song "Die Erwachsenen".

Man kann in den Chroniken die Geschichte der von Punk- und Do-It-Yourself-Kultur geprägten Tocotronic aber eben auch als eine Geschichte ihrer T-Shirts sehen. Das fängt 1992 mit dem - ironisch getragenen - Vita-Malz-Werbehemd Lowtzows und Müllers Adidas-Schulturnleibchen an, mit denen sie eine Jugendmode prägten. Das geht weiter damit, dass ihren 60 Singles, Maxis und Alben ebenso viele Fan-Shirts gegenüberstehen - wie das erste mit dem berühmten Slogan "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung" sein. In diesem Sinne: "Frozen" ist nicht nur ein Lieblings-Liebesfilm des 44-Jährigen, dessen Lieder er "20 mal am Tag" hören kann. Sein rosa Shirt ist auch ein Design-Stück, das er sich aus der Comme-de-Garçons-Boutique in Paris besorgt hat. Keine Ironie, es muss Liebe sein.

Tocotronic, Samstag, 14. November, 20 Uhr, Zenith, Lilienthalallee 29

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