Popkolumne:Wer die Harfe stört

Diese Woche: Bester Indierock, geradeaus geröhrt von Courtney Barnett. Dann ein missglückter Sommerhit, sorry. Aber zum Glück gibt es ja auch noch Paul Kalkbrenner, der macht, was er immer macht. Und es gibt Mary Lattimore. Zum Glück.

Von Jan Kedves

Geradeaus geröhrte Indierock-Musik - wann konnte sie zuletzt begeistern? Mit Courtney Barnett ist es wieder so weit. Die australische Singer-Songwriterin veröffentlicht ihr zweites Soloalbum "Tell Me How You Really Feel" (Milk! Records), es ist ein Manifest der Gefühle des Fremdelns, des Niedergeschlagenseins. Klingt furchtbar, ist es nicht. Weil Barnett röhrt und rockt, und weil der Stolz in ihrem Gesang mit der inhaltlichen Schwere aufs Schönste kontrastiert. In zwei Songs singen Kim und Kelley Deal von The Breeders mit. Noch schöner ist, wie Barnett in "Charity" und "Help Your Self" Fragmente aus der Yoga- und Meditationssprache nimmt und mit ihnen den Selfcare-Zeitgeist zerlegt. Denn ist es nicht nervig, wenn es einem mies geht und alle immer sagen, man müsse nur tief genug ein- und wieder ausatmen? Barnett singt dann auch mal durchs Megafon, immer lauter und genervter. Und sie verschwendet keine Zeit. Das Album dauert nur knackige 37 Minuten. Knapp ein Drittel einer Yoga-Session.

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Die dümmste Single der Woche kommt von der britischen Popsängerin Rita Ora. Die hielt es wohl für eine gute Idee, zehn Jahre nach Katy Perrys Hit "I Kissed A Girl" einen Song aufzunehmen, der von der Lust der Mädchen handelt, andere Mädchen zu knutschen. Kein Problem. Nur mochte einen 2008 schon der "Upps, wie konnte das nur passieren?!?"-Gestus nerven, mit dem Perry ihre Knutschlust gleich wieder als Ausrutscher ins Regal der Jugendsünden sortierte. Bei Oras Song "Girls", einem aufgemotzten Midtempo-Ohrwurm, machen die Rapperin Cardi B und die Pop-Sängerinnen Bebe Rexha und Charlie XCX mit, es handelt sich um ein Knutsch-Quartett. Auch kein Problem. Folgt man aber dem Text, scheinen erst Joints und Rotweinflaschen kreisen zu müssen, bis geknutscht wird. Und singen Bebe Rexha und Charli XCX tatsächlich "I'm the hunter and she's the prey" - Ich bin die Jägerin und sie die Beute? Könnte man hier eventuell ein "Nein, bitte nicht" überhören? In Zeiten von #metoo ist "Girls" ein komplett irregeleiteter Versuch eines Sommerhits.

Glenn Branca ist tot. Der Avantgarde-Gitarrist war in den Achtzigerjahren Protagonist der "No Wave"-Szene in New York und experimentierte auf seinem Album "The Ascension" (1981) mit alternativ gestimmten Gitarren und Hall-Effekten. Das Cover der LP zierte eine Zeichnung aus der "Men In The Cities"-Serie des Künstlers Robert Longo. Branca betrieb das Label "Neutral Records", auf dem er 1982 die erste EP der Indierock-Helden Sonic Youth veröffentlichte. David Bowie war Fan. Branca ist im Alter von 69 Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben.

Die Woche steht auch im Zeichen der Instrumentalmusik. Zum Beispiel des Leipziger Rave-Stars Paul Kalkbrenner. Der veröffentlichte "Parts Of Life" (Sony), ein weiteres Album, auf dem er seine Erfolgsformel nicht ändert - warum auch? Man hört teutonische Trance-Techno-Tracks, in die Kalkbrenner die Trauer darüber, dass ein Rave gleich vorbei ist und man danach wieder ganz normal zur Arbeit muss, bereits mit hineinkomponiert, in Form seiner wie immer recht schwermütigen Moll-Akkordfolgen. Ein Service für die berufstätigen Fans, sozusagen. Aus der Reihe fällt nur "Part 6", ein Track, in dem dann doch ein bisschen gesungen wird. Wobei es in dem Gesang darum geht, dass man zum Leben gar nichts anderes brauche als "this" - womit die instrumentale Trance-Techno-Musik von Kalkbrenner gemeint ist. Ein gesungener Hit darüber, dass man eigentlich gar nicht singen müsste. Ach so.

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Zum Herunterkommen könnte man zu Hause dann entweder das neue Album "Rausch" (Kompakt) von GAS hören. Auf ihm schafft der Kölner Produzent Wolfgang Voigt wieder das, was außer ihm niemand schafft: nämlich den deutschen Wald zum Techno-Schauplatz zu machen. Das Cover zeigt den deutschen Sehnsuchts- und Schreckensort. Und das titelgebende Rauschen schwillt - mal mit, mal ohne Bassdrum - eine geheimnisvoll bedrückende Stunde lang an und wieder ab.

Oder wenn man etwas Erbaulicheres wünscht: Das Album "Hundreds Of Days" (Ghostly International) der Harfenistin Mary Lattimore aus Los Angeles ist wunderbar. Harfe? Auch dieses Instrument hat ja seinen festen Platz im Pop, man denke an Joanna Newsom oder Björk. Mary Lattimore hat schon mit Thurston Moore und Jarvis Cocker zusammengearbeitet. Ihr Album enthält ganz herrlich perlende Harfen-Kompositionen, ohne jeden Hippie-Verdacht. Die beglückendste Pop-Entdeckung der Woche.

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