Popkolumne:Transatlantik

Neue Alben: Ein großer Wurf vom Globetrotter-DJ Diplo, radikaler feministischer Pop von Jenny Wilson und Americana von Jack White.

Von Jan Kedves

Cover Popkolumne 21032018

Im Pop stellt sich oft die Frage, ob es so etwas wie den guten Kolonisator eigentlich geben kann, also: einen Musikproduzenten, der - ausgestattet mit Privilegien, Budget und dem heißen Draht zu Hipster- und Trend-Medien - an abgelegene Pop-Schauplätze fährt. Und der von dort die heißen, innovativen Styles in die Verwertungskanäle der globalen Maschine einspeist, ohne dass sich die lokalen Musiker ausgenutzt fühlen. Wesley Pentz alias Diplo schien lange so ein guter Kolonisator zu sein. Ohne den DJ und Produzenten aus Tupelo, Mississippi, hätte man vom brasilianischen Elektro-Stil Baile Funk, vom Bounce-Sound aus New Orleans, oder von Reggaeton aus Puerto Rico wohl erst viel später erfahren.

Aus dem Globetrotten wurden bei ihm irgendwann sogar richtige Hits: Die Single "Lean On", die er 2015 mit seinem Projekt Major Lazer sowie mit DJ Snake und der dänischen Sängerin aufnahm, war in Deutschland 68 Wochen lang in den Charts. Jetzt, mit 39, veröffentlicht er seine neue Solo-EP "California" (Because), und lustigerweise scheint Diplo auf ihr die Zukunft des Pop zum ersten Mal nicht mehr darin zu suchen, dass er auf die Peripherien schaut. Sondern er blickt in den Rückspiegel. "Look Back" (feat. DRAM) und "Wish" (feat. Trippie Redd) heißen die Songs im Zentrum der EP, die stark mit Elementen arbeiten, die man aus den USA der Neunzigerjahre kennt. Genauer: New-Jack-Swing-Beats, die grob und knallig aus Breakbeat-Samples zusammengebastelt sind. Alt klingen sie hier nicht. Weil Diplo sie mit den Plastik-Effekten aus der Auto-Tune-Software und mit allerlei böllernden Tricks aus dem Baukasten der elektronischen EDM-Musik kombiniert. Charmant bleibt das Ganze auch, weil Diplo nicht nur mit den berühmtesten Stimmen arbeitet, was er sich ja längst leisten könnte. Sondern er protegiert Vokalisten, die es verdient haben. Statt Justin Bieber singt in "Look Back" also beispielsweise der Rapper und Sänger D.R.A.M., der 1988 im US-Army-Lazarett in Landstuhl zur Welt kam und in Virginia aufgewachsen ist. Er klingt fast wie CeeLo Green.

Cover Popkolumne 21032018

Nicht nur abseitige Sounds, sondern auch die krassesten Themen können zu Pop werden, ohne dass man auf die Idee käme zu sagen: Das ist aber kein Pop mehr. Beispiel Vergewaltigung. Die schwedische Sängerin und Songwriterin Jenny Wilson eröffnet ihr neues Album "Exorcism" (Gold Medal) mit einem düster flotten Electro-Song darüber, wie sie in den eigenen vier Wänden zum Opfer sexueller Gewalt wurde. "Rapin'" heißt er, und er könnte nebenbei zu der Frage führen, warum ausgerechnet aus Schweden so viel hervorragender, feministischer Electro-Pop kommt. Verquicken sich hier vielleicht zwei separate Entwicklungen, nämlich dass schwedischer Dance-Pop schon in den Siebzigerjahren an internationale Standard aufschloss, und dass der Feminismus in dem Land so früh so stark wurde? Jenny Wilson hat schon mit starken schwedischen Electro-Pop-Protagonistinnen wie Karin Dreijer alias Fever Ray und Robyn zusammengearbeitet. Den Refrain von "Rapin'" lässt sie in der Zeile münden: "I'm a victim because there's no one else around", während sie in der Strophe mit kühler Akribie die Schritte bei der ärztlichen Untersuchung nach der Vergewaltigung aufzählt: Pille schlucken, Blutdruck messen, in den Becher pinkeln, ausziehen. Das ist brutalster, direktester "Me Too"-Pop. Alles sträubt sich beim Hören. Und dennoch: Es ist ein Ohrwurm.

Cover Popkolumne 21032018

Und was ist mit Jack White los? Der Mann, der mit dem Gitarrenriff von "Seven Nation Army" die Fußballstadien der Welt zum Grölen brachte und insgesamt zwölf Grammys im Regal stehen hat, scheint schon längst kein Interesse mehr an so Schnödem wie Hits zu haben. Auf seinem dritten Soloalbum "Boarding House Reach" (Third Man) wildert der 42-Jährige auf irre verzettelte und verdaddelte Weise durch die Archive der Americana - Blues, Country, Gospel, Hip-Hop, Punkrock, alles kommt irgendwie mit rein. In "Over and Over and Over" klingt das tatsächlich so, als habe ein Hip-Hop-DJ die diversen Fragmente an den Plattentellern zusammengecuttet. Sehr ernst wird es am Schluss, in der Country-Miniatur "What's Done Is Done". Hier bricht sich nämlich zu den Akkorden eines verstimmten Pianos und einer leiernden Orgel der verzweifelte Machismo Bahn: "Nichts fühlt sich mehr echt an, ich komm' nicht mehr dagegen an, ich lauf jetzt runter in die Stadt und kauf mir eine Knarre", grob übersetzt. Geschossen wird erst später, das heißt, wer hier sterben muss, erfährt man auf dem Album nicht mehr. Aber dass es um die kollektive Waffenpsychose in den USA und den Terror der weißen durchgeknallten Männer geht, das versteht man auch so.

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