Popkolumne:Rück- und Ausblicke

"How much is the fish"-Scooter lassen nun Pianos perlen, dafür hat Frontmann Baxxter seine Leute. Dann gibt es noch: DJ-Podcasts, Lorde und Cardi B.

Von Jan Kedves

Kurz vor Jahresende hat die Hamburger Hardtrance-Combo Scooter die Stecker gezogen und lädt mit "100% Scooter" zum romantischen Klavierabend. Wobei es nicht Frontmann Hans Peter Geerdes alias H. P. Baxxter ist, der hier die Tasten perlen lässt - dafür hätte er sich die Totenkopf-Klunker von den Fingern ziehen müssen. Es ist die in Moskau geborene Pianistin Olga Scheps, die seifige Piano-Arrangements von Scooter-Gassenhauern wie "Maria (I Like It Loud)" spielt. Scooter gratulieren sich damit selbst zum 25. Band-Jubiläum und haben ein Sublabel dafür gegründet: Sheffield Tunes Classics. Dass der Stadion-Techno von Scooter irgendwann als Klassik oder jedenfalls als deutsches Kulturgut anerkannt werden könnte, ist selbst schon ein Gassenhauer der Kulturkritik, dem Scheps ein wenig auf die Sprünge hilft. In den instrumentalen Miniaturen erkennt man allerdings wenig Scooter wieder, was daran liegt, dass in ihnen die Trommelwirbel und H. P. Baxxters Megafon-Ansagen ("Hyper Hyper!", "How much is the fish?") keinen Platz mehr haben. Heraus kommt entkernte Schmacht-Muzak, irgendwo zwischen Satie und Richard Clayderman. Man kann das bizarr finden - oder es hören, wenn man Silvester diesmal etwas kitschiger angehen will.

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Wer gerne beschwingt reinrutscht, könnte in der Silvesternacht auch DJ-Podcasts hören. Seit die Netze so breit sind, dass digitale Streams nur so flutschen, ersetzt der DJ-Podcast das, was früher mal die Mix-CD war: das Medium zur Bewerbung von DJ-Künsten, das gleichzeitig ein bisschen Club-Gefühl nach Hause bringt. Party auf Klick, sozusagen. Zu den beliebtesten DJ-Podcasts mit regelmäßig Zigtausenden Aufrufen gehören die zweistündigen "Essential Mixes", die die BBC in ihrem Jugendprogramm Radio 1 ausstrahlt. Sie stehen auch auf der Streaming-Plattform Mixcloud bereit. Im Dezember gab es hier zwei exzellente Beiträge, zum einen von dem DJ-Duo Bicep aus Belfast, das den Bogen von langsamen House-Tracks über düster-euphorischen Breakbeat-Electro spannt. "Klingt, als sei Hans Zimmer im Club und hätte eine Pille geschluckt", lautet ein Kommentator auf Mixcloud - was gemein ist, aber ganz gut trifft, wie episch und breitwandig Bicep ihre Sounds anlegen. Der zweite Mix kommt von Horse Meat Disco aus London. Das queere DJ-Team vermischt kosmische Disco-Jams, fast vergessene Synth-Pop-Kollaborationen zwischen Stevie Wonder und Paul McCartney sowie den "Coitus Interruptus" der New-Wave-Band Fad Gadget zu einer amüsanten großen Sause. Ebenfalls wunderbar für die Silvesternacht: "RA.603" von der südafrikanischen, in Berlin lebenden DJ Lakuti. Ihr Beitrag zu der Podcast-Serie der Plattform Resident Advisor (über Soundcloud zu hören) arbeitet meisterhaft die Gemeinsamkeiten zwischen Deep-House, Afrobeat und spirituellen Gospel-Tracks heraus. Die Euphorie setzt hier nicht ad hoc ein, dafür dann aber umso mächtiger.

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Kurz vor Weihnachten kündigte die neuseeländische Popsängerin Lorde an, im Juni 2018 ein Konzert in Tel Aviv spielen zu wollen, nun hat sie den Auftritt abgesagt. Lorde denkt, dass es eine gute Idee sei, sich dem künstlerischen Israel-Boykott anzuschließen, mit dem Stars wie Roger Waters oder Kate Tempest meinen, konstruktive Kritik an der israelischen Siedlungspolitik im Westjordanland zu üben. Lorde bezieht sich in ihrer Absagenotiz nicht explizit auf die antisemitische BDS-Kampagne ("Boycott, Divestment and Sanctions"), die regelmäßig Künstler, die in Israel auftreten, mit Schmähkampagnen überzieht. Sie beruft sich auf Protestbriefe, die sie von Fans bekommen habe - sowohl von jüdischen wie von palästinensischen. Sieht so aus, als blieben der Israel-Boykott und die Diskussionen darum auch 2018 ein bestimmendes Thema im Pop.

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Einen letzten Ausblick auf das neue Jahr bietet Belcalis Almanzar alias Cardi B mit ihrer neuen Single. Die 25-jährige New Yorker Rapperin wurde 2017 zum Shooting-Star, als sie mit ihrem Hit "Bodak Yellow" in den USA quasi aus dem Nichts auf Platz eins der Billboard-Charts schoss. In "Bartier Cardi" geht es zu düster wummernden Trap-Beats um den privaten Turbokapitalismus, den sie sich leisten kann, seit sie Star ist. "Cartier Bardi in a ,Rari"", in solch einer Zeile komprimieren sich Juwelier-Geprotze, Selbstmythologisierung und ein teures Auto zu großer Rap-Kunst (mit "'Rari" ist natürlich der Ferrari gemeint). Der Gastrapper Shayaa Bin Abraham-Joseph alias 21 Savage bedauert in seiner beigesteuerten Strophe, dass er es Frauen gerade nicht oral besorgen kann, weil Ramadan ist und er fasten muss. Derb. Aber mit derbem Flow gerappt. 2018 könnte das Jahr der Rapperin werden.

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