Popkolumne:Monogamie als Utopie

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Die interessantesten Pop-Ereignisse der Woche. Diesmal mit den Rapperinnen Cardi B und Ace Tee, einer Kompilation des Frankfurter House-Labels Running Back, Jordan Rakei und der Frage, wie man im Pop den Rechtsruck subtil kritisiert.

Von Jan Kedves

Ob der Titel "Bodak Yellow", abgesehen davon, dass er auf den Namen des Rappers Kodak Black anspielt, eine Bedeutung hat, darüber wird noch gerätselt. Sicher ist aber, dass der Song "Bodak Yellow" von Cardi B (Atlantic) soeben auf Platz eins der Billboard-Charts geklettert ist. Damit steht seit 19 Jahren, genauer: seit Lauryn Hill mit "Doo Wop (That Thing)", zum ersten Mal wieder eine Solo-Rapperin an der Spitze der amerikanischen Charts. Eine ziemlich große Sache, nicht nur, weil Cardi B, die aus der Bronx stammt und bürgerlich Belcalis Almanzar heißt, Newcomerin ist. Sondern auch, weil ihr Hit eben die Frage aufwirft, wie es eigentlich sein kann, dass im Geburtsland des Rap Frauen nur dann auf Platz eins kommen, wenn sie sich - wie in "Stand Up" von Ludacris feat. Shawnna (2003) - an einen Mann schmiegen oder sich zusammentun, wie bei "Fancy" von Iggy Azalea & Charli XCX (2014). In "Bodak Yellow" reitet Cardi B einen ultradüsteren Trap-Beat, die Kraft kommt ganz aus ihrem Flow und ihrem Selbstbewusstsein. Mit leicht karibischem Einschlag sagt die 24-Jährige in diversen Metaphern immer wieder dasselbe: "Du kannst mir gar nichts, hau bloß ab!" Missy Elliott und Nicki Minaj, die solo noch nie Nummer-eins-Hits hatten, haben schon gratuliert.

(Foto: cover)

Aus Hamburg kommt "Bounce in den Jumpa", das neue Video, das Ace Tee zu ihrer Debüt-EP "Tee Time" (Four Music) gedreht hat. Als die Rapperin und R&B-Sängerin, bürgerlich Tarin Wilda, Ende vergangenen Jahres mit "Bist du down?" debütierte, wurde sie gleich international bestaunt, unter anderem von der amerikanischen Vogue. Denn dass eine schwarze Rapperin aus Deutschland mitsamt ihrer afrodeutschen Crew musikalisch und modisch sehr stilecht den Neunzigerjahre-Groove von Aaliyah und TLC wieder aufleben lässt, damit hätte man nun nicht unbedingt gerechnet. Das neue Video der 23-Jährigen macht nun genau da weiter: fette Kopfnicker-Beats, Gruppen-Choreografie, Latzhosen und Kapuzen in knalligen Farben. Wären wir in Los Angeles, würde Ace Tee im verchromten Chevrolet herumcruisen. Hier ist es ein altes Käfer-Cabriolet. Auf der Kühlerhaube prangt das VW-Logo, das in seiner ursprünglichen Form 1938 ein stilisiertes Hakenkreuz beinhaltete. In Zeiten, in denen die AfD dreizehn Prozent holt, liest man das ja gerne als subtilen Stinkefinger in Richtung irren arischen Denkens.

(Foto: cover)

Ebenfalls schön ist das Video, das zu ihrer neuen Single "Deadly Valentine" (Because) Charlotte Gainsbourg gedreht hat. In den sechs Minuten sieht man quasi im Zeitraffer, wie ein Liebespaar vom Sandkasten bis zum Grab gemeinsam durchs Leben tanzt. Gainsbourgs Partner in dem Video ist Dev Hynes, den man als Musiker und Produzenten unter dem Namen Blood Orange kennt, er ist hier aber wirklich nur Schauspieler. Produziert hat den eleganten Slow-Disco-Song der französische Produzent Sebastian Akchoté alias Sebastian. Gainsbourg und Hynes sind ein hübsches Paar, sie tragen durchgehend die Farbe der Unschuld: Weiß. Lebenslange Monogamie als verlockende Utopie? Ein bisschen mit den Augen zwinkern darf man da schon.

Wer wissen will, wie man heute in den Clubs der Welt schon zur zweiten beziehungsweise im Grunde längst dritten Durcharbeitung von Disco-Musik feiert, der sollte "Mastermix By Tony Humphries" anhören, die Kompilation, die sich das Frankfurter Label Running Back zum 15-jährigen Bestehen gegönnt hat. Betrieben von dem House-DJ Gerd Janson, hat sich Running Back einen exzellenten Ruf in der internationalen DJ- und Club-Szene erarbeitet. Die Veröffentlichungen, unter anderem von Redshape, Tiger & Woods oder Todd Terje, halten die Tradition im Blick. Da wird dann auch viel gesampelt, etwa Dr. Buzzard's Original Savannah Band im erhabenen Deep-House-Track "The Voice From Planet Love" von Precious System. Andererseits geht es nicht allein um die Sehnsucht nach echtem Disco-Staub. Die Arrangements und die Sound-Designs sprechen klar dafür, dass Running Back im 21. Jahrhundert tanzt. Der Mix des legendären, aus New Jersey stammenden DJs Tony Humphries macht alles richtig: Er spielt die Tracks aus, lässt sie für sich sprechen, also: glänzen, er blendet sie nur sanft ineinander. Alte Club-Schule für die neue Club-Schule.

Zum Schluss noch ein Name, den man sich merken sollte: Jordan Rakei heißt der 24-jährige neuseeländische Songwriter und Sänger, der auf seinem neuen Album "Wallflower" (Ninja Tune) elegant Soul, Folk und Jazz verbindet. Rakei singt mit ähnlich sanfter Stimme wie James Blake und wie der umjubelte Brite türmt er gern die Echos. Im Gegensatz zu Blake sind die Beats bei Rakei aber polyrhythmischer, nervöser. Ein Mauerblümchen wird Rakei mit diesem raffinierten Album nicht bleiben.

© SZ vom 27.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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