Popkolumne:Generisches Gedudel

Die Popereignisse der Woche. Diesmal mit dem neuen Album von Andreas Dorau, dem Techno-Großvater Pierre Henry und der Antwort auf die Frage, ob der Musikstreaming-Dienst Spotify inzwischen in großem Stil die Charts manipuliert.

Von Jan Kedves

Die Pop-Meldung der Woche ist ohne Zweifel, dass der Streaming-Dienst Spotify angeblich Musik von "Fake-Künstlern" spielt. Wie bitte? Werden russische Bots jetzt musikalisch und mischen sich unter die Hits von Katy Perry und Ed Sheeran? Wie immer bei News zum Thema "Fake" muss man genauer hinsehen. Der Website Music Business Worldwide ist aufgefallen, dass sich zu einigen Künstlern, die auf Spotify auffällig erfolgreich sind, außerhalb der Plattform keinerlei Informationen finden lassen - keine Webseiten, keine Social-Media-Profile. Der Verdacht: Diese Künstler ("Piotr Miteska", "Benny Treskow", "Charles Bolt") sind Pseudonyme von Produzenten, die unerkannt bleiben wollen, und Spotify hat sie zu günstigen Konditionen mit dem Komponieren von Musik beauftragt. Der Vorteil für Spotify wäre, dass der Service seine Playlists mit eigener Musik anreichern, also gewissermaßen strecken könnte, und dass sich so bei der Auszahlung von Tantiemen sparen ließe. Spotify dementiert kategorisch. Auffällig ist, dass "Piotr Miteska" und Co. nur in von Spotify zusammengestellten Gebrauchsmusik-Playlisten wie "Peaceful Piano" oder "Sleep" auftauchen, kurz: in Listen, die man eigentlich sowieso nicht hören, sondern zu denen man nur möglichst schnell wegdösen will. Wäre die eigentliche Meldung nicht eher, dass hinter diesem generischen Gedudel scheinbar immer noch echte Komponisten mit Schamgefühl stecken? Und eben noch keine Ambient-Algorithmen, oder Fake-Bots, oder wie man sie nennen soll? So oder so: Dass Spotify die Pop-Charts im großen Stil manipuliert, lässt sich nicht behaupten.

Popkolumne Cover

Das dürfte Andreas Dorau freuen, denn der hat erklärt, dass er mit seinem neuen Album genau dahin will: in die Pop-Charts. "Die Liebe und der Ärger der Anderen" (Staatsakt) ist das zehnte Album des in Hamburg lebenden Popsängers. 1981 landete er, als 16-jähriger Schüler, mit "Fred vom Jupiter" seinen ersten Hit in Westdeutschland (damals durfte man das ja noch sagen, also dass man einen Hit "landet"). 1996 kam er in Frankreich mit der Euro-Dance-Single "Girls In Love" in die Top-Ten. So langsam wäre es also wieder an der Zeit. Und ja, es ist durchaus raffiniert, wie Dorau gleich im Eröffnungs-Song "Liebe ergibt keinen Sinn" alles daran setzt, die Hit-Formel von jüngeren deutschen Chart-Erfolgen nachzustricken: Lagerfeuer-Gitarre, plumper Stampf-Beat, idiotensichere Mitpfeif-Melodie - ganz ähnlich wie bei "Die immer lacht" (Stereoact feat. Kerstin Ott) oder "Stolen Dance" (Milky Chance). Sogar der Text ("Liebe ergibt keinen Sinn, mal macht sie Freude, dann ist sie wieder sehr schlimm") scheint geeignet, die Betrunkenen auf Beach-Partys aller Art zum kollektiven Hopsen zu animieren. Das könnte er sein, der große neue Hit. Wobei Dorau im Verlauf des Albums dann wieder etwas zu schlau wird, wenn er in "Stadt aus Musik" das Wörtchen "abstrakt" im Refrain unterbringt (damit landet man in Deutschland nun wirklich keine Hits) oder wenn er, in "Radiogesicht", singt: "Die Leute sagen, ich hab' ein Radiogesicht, die Stimme dazu hab' ich leider nicht." Das ist schöner selbstironischer Meta-Pop, der so tut, als sei er feister Dumpfbacken-Pop. Leider ist das wohl ein bisschen zu kompliziert für die deutschen Charts.

Pierre Henry
(Foto: Stéphane de Sakutin/AFP)

Die Musikwelt trauert um Pierre Henry, den französischen Komponisten und Pionier der "Musique concrète". Henry hatte von 1937 bis 1947 unter anderem bei Nadia Boulanger und Olivier Messiaen am Pariser Konservatorium studiert und experimentierte dann in den Fünfzigerjahren im legendären "Club d'Essai"-Tonstudio des Senders RTF. Dieses Studio war sozusagen das Pariser Äquivalent zum Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln, wo Karlheinz Stockhausen arbeitete. Wie Stockhausen gilt Henry heute als einer der Vordenker von Techno und elektronischer Musik. Er experimentierte mit Rauschgeneratoren, Tonband-Loops und diversen Klangmodulationstechniken, um eine neue Geräuschmusik zu entwickeln - beziehungsweise um Geräusche zu Musik zu emanzipieren. In der Popwelt wurde Henry damit nicht sofort bekannt, was sich allerdings 1967 mit seinem "Psyché Rock" änderte, einer schrillen Verzerrungsorgie aus E-Gitarre, Glocken, außerweltlich anmutenden Quietsch- und Pfeifsounds und eingängigen Melodien. Sie war ursprünglich Teil der Ballettmusik "Messe pour le temps présent" gewesen, die Henry zusammen mit dem Komponisten Michel Colombier für den Choreografen Maurice Béjart komponiert hatte. Aus dem Ballett herausgelöst und auf knapp drei Minuten komprimiert, wurde "Psyché Rock" zum Hit für das poppig psychedelische Space-Age. 1997 wurde das Stück im Remix von Fatboy Slim erneut zum Hit und dann zwei Jahre später, in leicht veränderter Fassung, zur Titelmusik von Matt Groenings Science-Fiction-Cartoon-Serie "Futurama". Henry starb vergangene Woche in Paris im Alter von 89 Jahren.

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