Popkolumne:Fiebrig verwaschen

Die interessantesten Neuerscheinungen der Woche. Diesmal mit Moses Sumney, Ariel Pink, Iglooghost und der Antwort auf die Frage, warum man keine Beats spielen sollte, die Stripperinnen durcheinanderbringen könnten.

Von Annett Scheffel

Popkolumne: undefined

Das Album der Woche kommt auf leisen Sohlen daher: "Aromanticism" (Jagjaguwar) heißt das langerwartete Debütalbum von Moses Sumney. Seit der Kalifornier mit ghanaischen Wurzeln 2014 seine erste EP veröffentlichte, kreist eine auserlesene Fangemeinde um ihn, zu der etwa Solange, Sufjan Stevens oder Beck gehören. Sumney macht geisterhaften Future-Folk, der - so wie der Sänger auf dem Cover - immer mindestens einen halben Meter über dem Boden zu schweben scheint. Die Songs glühen in ihrem Minimalismus und oft erscheint es rätselhaft, wie Sumney mit so wenig - Schlagzeug, Synthesizer, Kammerarrangements und ganz viel Hall - nach so zentnerschwerer Einsamkeit klingen kann. Die Antwort muss in dieser Stimme liegen: Sie ist heiser, ruhig und verwirrend komplex, hauchzart in den Falsettlagen und dunkel vibrierend in den Tiefen. "Doomed", der beste Song des Albums, besteht praktisch nur aus dieser Stimme und einer langsam anschwellenden Synthesizer-Nebelfront. Der Song strebt auf ein Finale, eine Erlösung zu, die niemals eintritt. Es bringt einen fast um den Verstand. Und ist eines der anmutigsten Dinge, die die Popmusik in diesem Herbst zu bieten hat.

Popkolumne: undefined

Ein Kauz von einem ganz anderen Stern ist Ariel Marcus Rosenberg. Als Ariel Pink macht der Amerikaner und ehemalige Ashram-Jünger seit mittlerweile 15 Jahren exzentrisch verspulten, anspielungsreichen Lo-Fi-Pop, den er in immer neuen Mischverhältnissen aus den besonders rauschhaften Pop-Strömungen zusammenschraubt - von Sechzigerjahre-Psychedelic-Harmonien, bis zur dunklen Hektik des Wave-Pop der Achtzigerjahre. Eingewickelt in diesen verwaschenen Sehnsuchts-Sound verhandelt er in seinen Songtexten am liebsten menschliche Abgründe aller Art. Sein neues Album "Dedicated To Bobby Jameson" (Mexican Summer) hat er einer tragischen Figur der Popgeschichte gewidmet: Jameson hatte in den Sechzigern einige halbe Indie-Hits, an denen er aber auch später, als sich ein kleiner Kult um ihn entwickelt hatte, keinen Penny verdiente. Er starb 2015, nachdem er jahrzehntelang in Alkohol- und Drogensucht versunken war. Diese deprimierende Biografie überführte Ariel Pink in schimmernde Songs über verschwendete Wochenenden und Abstürze auf dem Sunset Strip. Und weil Pink ein Meister der klebrigen Melodien ist, schlängeln sich diese Schnappschüsse aus einem verhunzten Leben tief ins Ohr - ob man sie dort haben will oder nicht.

Popkolumne: undefined

Die irrste Popmusik bietet im Moment Iglooghost. Der irische Produzent scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, so viele hyperbeschleunigte, schrill knallende, elektronische Versatzstücke wie möglich in einzelnen Tracks unterzubringen. "White Gum" (Brainfeeder) heißt seine neue Single und sie ist - man muss das so sagen - eine durchgeknallte Angelegenheit, bei der man schon ganz hibbelig wird, noch bevor die erste Minute vorbei ist. Wenn einem danach nicht gleich schwindelig wird, kann man staunend beobachten, mit was für einer zügellosen Raserei hier Footwork, Chipmunk-Grime, japanischer Knallbonbon-Rave-Pop und Noise zusammengeworfen, hochgepitcht und in mehrere Richtungen gleichzeitig verzerrt werden. Es ist, als habe Iglooghost in mühevoller Kleinarbeit Hunderte Hochgeschwindigkeits-Clubtracks in ihre Einzelteile zerlegt und als hektischen Amphetamin-Trip wieder zusammengesetzt. Und ohne dass man es ganz durchschaut, ahnt man: Diese Musik klingt wie eine fiebrige Zukunftsvision. Wie man dazu tanzen soll, bleibt allerdings ein Rätsel.

Die besten Interviews gibt dagegen derzeit eindeutig Marilyn Manson, der im Oktober sein neues Album veröffentlicht. Der alte Lieblings-Provokateur der Popwelt (irgendwie schaffte er es sogar auf das T-Shirt von Justin Bieber) formulierte in Zane Lowes "Beats 1"-Radioshow zum Beispiel die schöne Beobachtung, dass Rihanna und ihr Video zu "Bitch Better Have My Money" gerade das Einzige sei, das dem Manson'schen Begriff von "Hardcore" nahekäme. Dann gibt es da die schöne Anekdote, wie er einmal mit dem großen Gonzo-Journalisten Hunter S. Thompson versuchte, auf Johnny Depps Stern auf dem Walk Of Fame zu, nun ja, fäkalieren. Noch schöner ist nur die Geschichte, wie er einmal mit Johnny Depp, Joe Perry, dem Lead-Gitarristen von Aerosmith und Josh Homme von den Queens Of The Stone Age gejammt und zu Letzterem gesagt habe: "Josh, ich werde dir denselben Rat geben, den ich Dave Lombardo von Slayer gegeben habe: Mach keine Beats, die Stripper durcheinanderbringen können. Das ist nicht fair, die tanzen für ihren Lebensunterhalt. Jag ihnen keinen Schrecken ein!"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: