Popkolumne:Blaue Stunden

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Die Popereignisse der Woche. Diesmal mit "Gang Gang Dance", Martyn, XXXTentacion und der Antwort auf die Frage, ob man als deutscher Gangsta-Rapper auch mit einem Leihwagen glaubhaft sein Revier markieren kann.

Von Jan Kedves

(Foto: N/A)

Die neue Nummer-1 der Single-Charts ist "Berlin lebt" von Capital Bra. In dem harten Trap-Song rappt Vladislav Balovatsky, wie Capital Bra bürgerlich heißt, zu Sirenen-Samples, die wohl das Heranrasen der Berliner Polizei andeuten sollen, über "Para". Jeder Mensch in Deutschland sollte inzwischen wissen, dass damit Geld gemeint ist, und zwar bitte ein ganzer Haufen davon. "Berlin lebt" ist der Vorbote des gleichnamigen neuen Capital-Bra-Albums, das am Freitag erscheint und mit einiger Sicherheit ebenfalls zum Nummer-1-Hit wird. Man ist im härteren deutschen Straßenrap ja inzwischen auf das Schlimmste gefasst, aber: Antisemitische oder homophobe Reime hört man hier keine, was dieser Tage ja durchaus eine Erleichterung ist. Und wie sieht es mit der Frauenfeindlichkeit aus? Wenn in "Berlin lebt" von einer "Bitch" oder einer "Schlampe" die Rede ist, ist damit offenbar auch keine Frau gemeint, sondern allgemein "das Leben". Durch das Video rollen viele teure Sportwagen, weshalb die Welt schrieb, Capital Bra füge, anders als humorfrei böse Rapper wie Bushido oder Kollegah, in seine Drastik auch "eine fast noble Form der Selbstironie" ein. Aus den Raps ist das nicht zwingend herauszuhören, aber im Video gibt es ein Indiz: Der Mercedes-AMG-Roadster, mit dem Capital Bra durch die Stadt cruist (V8-Biturbo, 557 PS), hat kein Berliner Kennzeichen, sondern da steht: OHV. Landkreis Oberhavel. Von wem hat sich Bra denn diesen Flitzer ausgeliehen? Und: Lässt sich mit einem Leihwagen glaubhaft das Revier markieren?

(Foto: AP)

Der Rapper XXXTentacion ist tot. Er wurde am Montag in Deerfield Beach in Florida auf offener Straße erschossen, als er aus einem Laden für Motorräder kam. Mutmaßlich fiel er einem Raubüberfall zum Opfer. XXXTentacion, bürgerlich Jahseh Dwayne Onfroy, stand im März mit seinem Album "?" auf Platz 1 der amerikanischen Billboard-Charts. Er gehörte zu jenen Rappern, deren Musik heute Cloud-Rap genannt wird. Düstere, paranoide Musik, die billig produziert und mit den Effekten der Gesangs-Software Autotune bearbeitet ist, und deren Reime häufig um psychische Lädierungen und Selbstmordgedanken kreisen. In die Schlagzeilen geriet er, weil er vor zwei Jahren seine schwangere Freundin schwer misshandelt und Zeugen eingeschüchtert haben soll. Er saß einige Monate im Gefängnis. Der Streaming-Service Spotify entfernte kürzlich seine Musik aus seinen kuratierten Playlisten. Onfroy wurde 20 Jahre alt. Der Rapper Kanye West twitterte: "Ich habe dir nie sagen können, wie sehr du mich inspiriert hast. Danke, dass es dich gegeben hat."

(Foto: N/A)

Das schönste schräge Pop-Album der Woche heißt "Kazuashita" (4AD) und kommt von der New Yorker Avantgarde-Pop-Band Gang Gang Dance. Sieben Jahre lang hat das Quartett, das mit der LP "Saint Dymphna" (2008) zum Liebling der Popkritik wurde, nichts Neues veröffentlicht. Die Mitglieder sind eben auch sonst noch ziemlich umtriebig, als Künstler oder als Künstlerin. Lizzi Bougatsos ist die Frontfrau von Gang Gang Dance und singt immer noch mit dieser irre hohen Elfenstimme, die zugleich an Kate Bush, Yoko Ono und Grimes erinnert. Ist das Englisch? Man versteht jedenfalls kein Wort. Was aber gar kein Problem ist, denn eigentlich soll sich der Gesang ja auch nur wie ein weiteres Instrument über den verschlurften Dream-Pop legen, in dem sich wilde Noise-Passagen mit süßlich-sentimentalen Elegien abwechseln. Das letzte Stück, "Salve On The Sorrow", ist ganz wunderbar. Musik, die den Hörer anschmeichelt, ihn aber zugleich einem ordentlichen Härtetest unterzieht. Denn man muss das absichtlich Schräge ja auch mögen.

(Foto: N/A)

Wer danach noch etwas nonverbale Instrumental-Musik braucht, dem sei das neue Album "Voids" (Ostgut Ton) des niederländischen Produzenten Martijn Deijkers alias Martyn ans Herz gelegt. Der ist seit einigen Jahren bekannt dafür, auf hochelegante Weise Elemente aus verwandten elektronischen Tanzmusikstilen wie Dubstep, House und Techno zusammenzubringen. Tracks wie "Manchester" oder "World Gate" verbinden eine gewisse Düsternis mit perlender Melodik, einerseits grooven sie, andererseits haben sie auch etwas In-sich-gekehrtes, weswegen man aber nicht behaupten muss, dass sich hier Paradoxien vereinen. Martyns Tracks halten einfach die Stimmung offen - und sind damit perfekt für die blaue Stunde, zum langsamen Herunterkommen nach einem heißen hektischen Tag oder zur Einstimmung auf die ekstatische klare Mittsommernacht.

© SZ vom 20.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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