Popkolumne:Angenehm unperfekt

Die Lage im Pop. Diesmal mit grandioser neuer Musik von Angel Olson, Mavis Staples und Dillon - und der Antwort auf die Frage, warum man Paul McCartney gerade für ein paar Hundert Euro seine Schuhe abkaufen kann.

Von Annett Scheffel

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Eine der kleinen Eitelkeiten der Popmusik ist, dass sie der ausführlichen Rückschau mindestens genauso zugeneigt ist wie dem Fortschritt. Wenn aber mal wieder jemand in seinem Archiv gekramt hat, ist das für Fans zwar oft interessant, für alle anderen aber im besten Fall erhellende Zusatzinformation. Eine Ausnahme bildet "Phases" (Jagjaguwar), eine neue Sammlung von B-Seiten, Demos und Covern der amerikanischen Songwriterin Angel Olsen. Was bei ihr in den vergangenen Jahren so liegen geblieben ist, ist stärker als viele reguläre Alben. Nachdem sie sich auf der letzten Platte, "My Woman", durch so ziemlich alle Stimmungen tastete, die zwischen Folk und Dream-Pop existieren, spürt man auf "Phases" wieder deutlich die unmittelbare Wucht ihres Songwritings. Das Terrain ihrer Lieder ist das Niemalsland der Liebe zwischen Folter und Erlösung: "You can love you can love you can lose / Even at your own game", singt sie in einer schönen Verdichtung über die Irrwege des Lebens - du kannst lieben und doch verlieren. Olsen wandelt in diesem Grenzgebiet leichtfüßig von einer auf die andere Seite - oft nur mit kleinen Akkordwechseln und einem Zittern in ihrem warmen Gesang. Die Unruhe in ihrer Stimme erzählt immer eine eigene Geschichte, egal, ob sie sich an einer Roy-Orbison-Beschwörung versucht oder an einem Country-Song aus einer alten "Bonanza"-Folge.

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"If All I Was Was Black" (Anti) ist der Titel eines Albums, das einen vor die Frage stellt, was eine 78-jährige Soul-Veteranin im Jahr 2017 noch zu sagen hat, deren Stimme es schon in den Fünfzigern dem Schuljungen Bob Dylan angetan hatte und die in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wichtig wurde. Die Rede ist von Mavis Staples. Und die Antwort in Trump-Zeiten: sehr viel, auch wenn sie an ihrer Botschaft seit den Sechzigern erschreckend wenig verändern musste: "Guns are loaded / This kind of tension", singt sie über die gewalttätige Stimmung im Land der Waffennarren. Und: "We've got work to do" - es gibt einiges zu tun. Für ihr 15. Studioalbum hat sie sich wieder mit Jeff Tweedy zusammengetan. Der Kopf der Indie-Americana-Band Wilco hat die Songs geschrieben und arrangiert, als Mischung aus nachdenklichem Blues und klassischem Erbauungs-Soul. Wunderbar ist die Beharrlichkeit, mit der Staples ihre Protest-Statements wiederholt. Dass ihr dafür nach über 60 Jahren keine neue Sprache mehr einfällt, liegt wohl eher an der Zähigkeit des amerikanischen Rassismus. Dafür findet sie eine kraftvolle Gefühlsmischung aus Wut, Milde, großmütterlicher Weisheit - und viel Geduld. Das ist die wichtigste Message: "I ain't done yet" - sie ist noch lange nicht fertig.

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Politisch weniger wuchtig, dafür jedoch zart und persönlich ist das neue Elektro-Popalbum der brasilianischen Wahlberlinerin Dominique Dillon de Byington - besser bekannt als Dillon. Auf "Kind" (PIAS) macht sie ungefähr dort weiter, wo sie auf dem letzten Album "The Unknown" aufgehört hat: Ihre am Piano entwickelten Popballaden suchen auf so nüchterne wie rührende Weise Halt in elektronisch wabernden Abstraktionen. Diesmal schleichen sich auch ein paar minimalistische Glockenspiele und Bläsersätze ein. Das Soundkonzept wirkt offener und müheloser. Und dazu singt Dillon mit ihrer müden Traumwandler-Stimme, über die DJ Koze mal gesagt hat, sie sei "angenehm unperfekt", über die vielen kleinen Selbstfindungsgeschichten einer Frau Ende zwanzig, die zögert, sucht und tastet, sich selbst in den Schlaf singt und dabei unversehens stärker wird.

Zum Schluss müssen wir noch über Schuhe sprechen - und über die weitverbreitete Überzeugung, dass Schuhe über ihre Träger mindestens so viel verraten wie der Beruf oder der Musikgeschmack. Für eine Charity-Auktion des britischen "Small Steps Project", die noch bis kommende Woche läuft, haben Popmusiker wie Katy Perry, Lorde oder Mac DeMarco jeweils ein Paar ihrer Schuhe gespendet und signiert. Die meisten davon sind Turnschuhe. Am höchsten liegen die Gebote derzeit für ein Paar braune Lederstiefel (mit Männerabsatz) von Depeche Mode-Kopf Dave Gahan (2581 Euro), die Schnürstiefel mit Silberlaschen von Bandkollege Martin Gore folgen auf Platz drei (1730 Euro). Beliebt auch: die blauen Stoffschuhe von Sia (1290 Euro) und die klobigen, aber sicher sehr bequemen Daddy-Turnschuhe von Paul McCartney (1118 Euro). Echte Schnäppchen sind dagegen noch die Gummistiefel von Blur-Bassist Alex James (17 Euro) oder die Pumps von Annie Lennox (34 Euro). Völlig undurchsichtig ist damit allerdings, welche Gründe die Preise haben. Liegt's an der Beklopptheit der Fans? Oder an so simplen Dingen wie der Schuhgröße?

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