Popetown:Skandalissimus

Es gab schon bedeutendere Fälle angeblicher Gotteslästerungen. Ein Papst, der auf einem Joystick durch den Vatikan juckelt ist da scheinbar harmlos. Nur scheinbar denn offenbar ist Papstlästerung das üblere Sakrileg.

Willi Winkler

Im Herbst 1904, das ist zugegeben schon etwas länger her, fand in Köln die XVI. Allgemeine Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvereine sowie der Internationale Kongress gegen die unsittliche Literatur statt, um, was sonst, dem allgemeinen Verfall der Werte Einhalt zu gebieten. Ein mitfühlender Zeitgenosse schickte den Moralwächtern ein gereimtes Grußwort, in dem es unter anderem hieß: "Was wissen Sie eigentlich von der Liebe/Mit Ihrem Pastoren-Kaninchentriebe/Sie multiplizierter Kindererzeuger/Sie gottesseliger Bettbesteuger?"

Popetown

Für die einen ein Sakrileg, für die anderen infantile Unterhaltung - der Papst auf dem Joystick im MTV-Cartoon Popetown.

(Foto: Foto: dpa)

Weil der Autor zur Übermittlung seiner Verse nicht die Post wählte, sondern sie gleich in der Zeitschrift Simplicissimus drucken ließ, erregten sie Aufsehen und brachten den Verfasser wegen Beleidigung (der Vorwurf der Religionskritik wurde fallen gelassen) für sechs Wochen nach München-Stadelheim.

Der Autor, das sollte man vielleicht dazu sagen, hieß Ludwig Thoma, war gelernter Jurist und wusste, was er mit seiner frivolen Kritik riskierte. Allerdings praktizierte er schon lang nicht mehr als Anwalt, sondern war lieber Schriftsteller geworden. Die Zeit im Gefängnis nutzte er, um eine Komödie zu schreiben.

Dieses Stück, es heißt Moral, wird auch heute noch gern gespielt, was daran liegen mag, dass man sich gern über die Scheinheiligkeit vergangener Zeiten amüsiert. Ein Satz (den sich Thoma brieflich bei Karl Kraus ausborgte) ist sprichwörtlich geworden: "Vergessen Sie nie, dass der Skandal sehr oft erst dann beginnt, wenn ihm die Polizei ein Ende bereitet."

Kunst regt auf

Kaum sind hundert Jahre vergangen, sorgt die Sittenpolizei wieder für einen Skandal, dem um Himmels willen keiner so schnell ein Ende bereiten soll. Den Skandal liefert der Sender MTV, in dem sonst überwiegend dunkelhäutige Menschen Schwerverständliches zusammensingen und dafür unbegreiflicherweise "Respect!" verlangen.

MTV lässt also auf seine sittlich wenig gefestigten Zuschauer einen gleich gestimmten, im Zweifel infantilen, aber zum Glück bloß gezeichneten Papst los. Das ist auch schon der ganze Skandal, der seit Wochen zahlreiche Sittlichkeitsprediger in Köln und um Köln herum am Bettbesteugen hindert.

Der Bundeskulturminister, der seine Laufbahn damit begann, dass er die Gedichte eines missliebigen Lyrikers am liebsten verbrannt gesehen hätte, fordert MTV auf, die Ausstrahlung lieber zu unterlassen. Thomas Gottschalk, der in Wetten, dass...? keine Zote auslässt, mahnpredigt als Vater in der allzeit kirchentreuen Bunten gegen Popetown.

Skandalissimus

Das Zentralkomitee der Katholiken betet eine "Störung des öffentlichen Friedens" herbei. Es ist fast so schön wie beim Kaiser Wilhelm. Nach § 166 StGB drohen dem bis zu drei Jahre Haft, der öffentlich "den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören".

Gewiefte Medientheoretiker wie Markus Söder und weitere Schreihälse bei der CSU stören ihn vorsichtshalber damit, dass sie gleich eine Verschärfung des Gotteslästerungsparagrafen fordern. Merkwürdig, dass sich trotzdem das Kirchenvolk, dem so prominente Glaubensritter zu Hilfe eilen, kaum aus seinem Desinteresse zu wecken ist, obwohl wir doch alle (Sie erinnern sich?) Papst sind. Von Lichterketten, Bittprozessionen, Geißler-Aktionen auf Domplätzen ist bisher nichts bekannt geworden.

Kalkuliertes Gejammer

Das Gejammer um Popetown ist nur deshalb nicht ganz so dumm wie die geplante Sendung, weil es so erkennbar kalkuliert ist. Edmund Stoibers Aufstieg begann damit, dass er sich so lang über das öffentlich-rechtliche Programm empörte, bis die qualitätsbewussten Privatsender wie MTV eingeführt wurden. Das war allerdings die vergleichsweise gute alte Zeit, als Friedrich Zimmermann 1983 seinem Landsmann Herbert Achternbusch die zugesagte Filmförderung für das Gespenst versagte und zur Begründung nach einem Schnaps verlangte.

Der Film mag unter die kleineren Kunstwerke gehören, für Zimmermann war es die Chance, mit der "geistig-moralischen Wende" ernst zu machen und der ganzen linken Kultur aufzuräumen. Dass es ihm nicht gelang, lässt Hoffnung, dass die amtlich anerkannten Erregungskünstler auch jetzt nicht weit kommen.

Es ist ja richtig, es gab schon bedeutendere Fälle als Popetown, bei denen man sich gegen obrigkeitliche Zensurversuche empören musste. Sei es der ewige Streit um Oskar Panizzas Liebeskonzil, die Bilder von George Grosz, Werner Egks Abraxas oder Arno Schmidts Gedanken über den Herrn, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt oder 10 Millionen im KZ vergast werden: Kunst hat stets für Aufregung gesorgt.

Schmidt wurde 1955 von einem Dr. jur. K. Panzer aus Köln verklagt, weil er, so steht es in den Akten, "öffentlich in beschimpfenden Aeusserungen Gott lästert, die christlichen Kirchen, ihre Einrichtungen, ihre Gebräuche und ihre Mitglieder in unerhörter Weise beschimpft" habe. Wahrlich unerhört! Dem Dr. jur. Panzer hatte bei seinem Studium offenbar keiner von Voltaire und dessen Candide erzählt, den genau dieses Problem schon 200 Jahre vorher durch die beste aller Welten trieb.

Skandalissimus

Das waren noch Zeiten!, seufzt der Kulturkritiker, und der Laie wundert sich, wie billig so ein Skandal heute hergeht. Es ist das gut eingespielte Reiz-Reaktionsschema, das Kunstproduzenten und ihre Kritiker wie in einer Symbiose zusammenleben lässt. Die beiden brauchen einander wie Brot und Wein, wie Fleisch und Blut. Ohne öffentliches Ärgernis ist auch in der Kunst alles nichts.

Bei Popetown scheint es sich diesmal allerdings um ein besonders übles Sakrileg zu handeln, nicht mehr bloß um Gottes-, sondern gleich Papstlästerung. Schon richtig, der Papst sieht dabei nicht sehr würdig aus, aber in der Reformationszeit - die Älteren werden sich vielleicht erinnern - wurde ihm weit übler mitgespielt, und zwar nicht von einem Kiddie-Sender, sondern vom Doktor der Gottesgelahrtheit Martinus Luther. Aber egal, darum geht es nicht: Wir stehen in einem Kulturkampf, wir müssen die Werte des Westens, nein, unser deutsches Vater- und Papstland verteidigen.

Bei uns im Papstland

Jetzt mal ganz langsam zum Mitdenken: Es ist keine Gotteslästerung, wenn ein Zeichentrick-Papst auf einem Joystick durch den Vatikan juckelt - und den öffentlichen Frieden gefährden jene, die sich so demonstrativ um ihn sorgen. Es ist schon richtig, in manchen arabischen Ländern wird man wegen weniger geköpft, und selbst in einigen der besonders gottgefälligen Vereinigten Staaten wandelte manchen Rechtgläubigen bei derlei Frivolitäten die Lust auf ein bisschen Lynchjustiz an.

Man schämt sich ja, solche Plattheiten zu schreiben: der Westen und seine Werte werden durch Klamauk wie Popetown nicht geschwächt. Es ist vielmehr ein Zeichen seiner Stärke, dass er auch Infantiles verkraftet und nicht gleich fundamentalistisch reagiert wie die Ayatollahs Khomeini und Söder.

"Mir haben sie beim Rentamt 11000 Mk Steuern aufgebrummt als Nachzahlung für Moral etc.", meldete der glückliche Steuerzahler Ludwig Thoma seinen Freunden. "Dabei glaubten sie, dass Moral nur 80000 eintrug." Allein bis 1921 verdiente Thoma mit seiner Moral über eine Million Mark. Am Ende wird es ausgehen wie immer: Die CSU durfte ein bisschen krawallieren, die Kirche drauf hinweisen, dass es sie auch zwischen den Papstbesuchen gibt, und MTV (Marktanteil: 0,4 Prozent) hat dank unbezahlbarer Reklame die Chance, kurzfristig den Kultursender Arte (0,5 Prozent) zu überholen. Und wir haben den Islamerern mal wieder gezeigt, dass die Werte des Westens so fest stehen wie die Wacht am sittlichen Rhein.

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