Pop:Vom Donner umarmt

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Es ist nicht ganz einfach, eine Band, die aus bis zu 19 Spitzenmusikern besteht, über die Jahre hinweg zusammenzuhalten. (Foto: Norman Wong)

Die Band "Broken Social Scene" besteht aus 19 Spitzenmusikern. Also hat es ein paar Jahre gedauert, bis die Truppe ein neues Album herausgebracht hat: ihr Meisterstück.

Von Thomas Bärnthaler

Wenn gefeierte Bands sehr lange nichts von sich hören lassen, kündet das entweder von kreativen Blockaden und Auflösungserscheinungen oder von einem Opus Magnum, das eben seine Zeit braucht. Es droht entweder langsames Vergessenwerden oder - wie im Falle der kanadischen Band Broken Social Scene - eine sich immer weiter steigernde Erwartungshaltung. Wenn nun also nach sieben Jahren endlich ein neues Album des Indierock-Kollektivs um Sänger, Gitarristen, Filmemacher und Mastermind Kevin Drew ansteht, dann herrscht automatisch Meisterwerkalarm. Vielleicht ist der Grund für die Pause aber viel profaner: Es ist eben nicht ganz leicht, eine Truppe zusammenzuhalten, die bis zu 19 Musiker umfasst, viele davon mit ihren eigenen Bandprojekten beschäftigt, und praktisch alles versammelt, was in der Alt-Rock-Szene Torontos Rang und Namen hat. Darunter Mitglieder der Bands Metric, Stars, KC Accidenta l sowie Drews Ex-Freundin Leslie Feist.

Nicht nur aus diesem Grund werden Broken Social Scene gerne als Indie-Supergroup bezeichnet, was jedoch falsche Assoziationen weckt. In der Popgeschichte waren Supergroups meist Ensembles berühmter Super-Egos, die sich mit anderen berühmten Super-Egos zusammentaten, um den Star-Faktor zu erhöhen, was meist nicht lange gut ging und nur selten exzeptionelle Musik hervorbrachte. Ein Team aus lauter Ronaldos macht eben noch kein Real Madrid. Daneben gab es Supergroups wie die Travelling Wilburys, in denen altgediente Pophelden wie George Harrison, Jeff Lynne und Roy Orbison fröhlich schunkelnd in die Abendsonne ihrer Karriere ritten.

"Hug of Thunder" ist das bisher größte Meisterstück dieses Experimentalmusikerkollektivs

Broken Social Scene hingegen muss man sich eher als lose Assoziation frei flottierender Ausnahmemusiker vorstellen, die seit nunmehr 17 Jahren um Zeremonienmeister Drew und seinen Kumpel Brendan Canning kreisen wie Metallspäne um einen Magneten und sich immer wieder zu neuen Formationen gruppieren. Von Album zu Album, von Song zu Song. Diese Pop-Utopie der musikalischen Promiskuität spiegelte sich in einem Sound wider, der die Vielstimmigkeit zum Prinzip erhob. Dabei packten Broken Social Scene ihre Improvisationslust immer in hitverdächtige Melodien. Selten klang experimentelle Musik so catchy und verführerisch und - dank der stattlichen Mannschaftsstärke - auch so sinfonisch. Mal leise anschwellend, mal barock aus allen Rohren feuernd. Getreu dem Motto, das nicht weniger, sondern mehr mehr ist. Und nur Euphorie und Wahrhaftigkeit die Verhältnisse zum Tanzen bringen können. Dafür wurde sie von der Kritik zu Recht gefeiert; entsprechend hoch hängt die Latte nun für "Hug of Thunder", ihr neues Album.

Broken Social Scene begegnen dieser Hypothek Gott sei Dank ziemlich gleichmütig. Was gibt es Schlimmeres, als Bands, die zwanghaft glauben, sich ständig neu erfinden zu müssen? Wo es doch nichts Herrlicheres gibt, als eine einmal gefundene Zauberformel zu immer größerer Meisterschaft zu führen? Genau das gelingt auf "Hug of Thunder", das die ganze, nach allen Seiten wegstiebende Welt aus Postrock, Neofolk und Orchester-Pop endlich so bändigt, dass die Songs ins Fliegen kommen. Das sind die Hymnen wie "Halfway Home", die es an Hymnenhaftigkeit mit jeder U 2-Hymne aufnehmen können - nur minus den Betroffenheitsschmus. Das volle Programm aus Streichern, Trompeten, Gitarrengeplucker und himmelstürmenden Chorgesängen. Oder das kontemplative, sich Strophe um Strophe steigernde "Hug of Thunder", in dem Leslie Feist über die alltäglichen Widersprüche der eigenen Biografie sinniert.

Die Losung angesichts der finsteren Weltlage heißt für Broken Social Scene nicht Eskapismus oder Resignation, sondern Realismus und Trotz. Das Nichteinverstandensein, die Melancholie, die sich in Songs wie "Protestsong" oder "Please Take Me With You" artikuliert, weiß dabei um ihre kosmische Unerheblichkeit und ist gerade deshalb nie wohlfeil. Die Botschaft geht tiefer: "Come right, into the sunlight, caus' I see their cold eyes," heißt es in "Halfway Home". Es gibt ein richtiges Leben im Falschen, feiern wir doch wenigstens das.

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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