Pop:Vernünftig erhebend

Guter deutscher Mainstream-Indie-Pop - geht das? Das Duo "Me And My Drummer" gaben im Berliner Columbia-Theater eine Antwort.

Von Juliane Liebert

Indiepop-Fans können brutaler sein als Gangster-Rapper, jedenfalls wenn es - wie am Freitagabend im Berliner Columbia-Theater - um einen Platz in den vorderen Reihen des Konzerts von Me And My Drummer geht. Sie operieren dabei nicht mit roher Gewalt, sondern mit bösen Blicken: "Das ist Dreampop", scheinen die zu sagen, "und du bist 1,80 und stehst zwischen mir und meinem Traum, schämst du dich nicht? Hast du schon mal was von sozialem Verhalten gehört?" Der Traum ist das Duo Charlotte Brandi und Matze Pröllochs, und er betritt in diesem Moment die Bühne.

Der Name der Band beschreibt ihren Sound präzise: Charlotte Brandi singt und spielt Keyboard, Matze Prölloch ist ihr Schlagzeuger. Wir hören also Synthiepop mit echten Drums. Diese Musik minimalistisch zu nennen wäre allerdings fahrlässig untertrieben, denn Me And My Drummer fahren das ganze Pathos auf, den der Indiepop noch zu bieten hat.

Brandis Synthieflächen sind konsequent harmonisch und konsequent in Dur, seit dem neuen Album "Love Is A Fridge" (Sinnbus) greift sie auch mal zur Gitarre, und mittenrein knallt Pröllochs Schlagzeug wie die Ohrfeigen eines ganzen Heeres enttäuschter Liebschaften. Und dann wird sich mit Brigitte-Bardot-Frisur ruckartig verbeugt, also vorbildlich mädchenhaft-schüchtern, wie man das als Indie-Diva so macht. Mit ihrer Stimme, die leicht drei Tonlagen umfasst, schmettert, spricht und säuselt sie so hemmungslos inbrünstig, als sei sie unter der Dusche und nicht auf der Bühne. Zwischen den Songs drückt Brandi Synthi-Knöpfchen, bevor sie sich einen Schluck Wasser gönnt. Natürlich. Me And My Drummer trinken Wasser auf der Bühne. Wir haben es hier schließlich mit einer vernünftigen Band zu tun.

Me and My Drummer

Vollkommen unvollkommen: Me And My Drummer.

(Foto: Sashberg)

"Love Is A Fridge" ist der Nachfolger des erstaunlichen Debüts "The Hawk, The Beak, The Prey", das vor drei Jahren erschien. Zwischendurch gab es eine Tour mit Einar Stray, dem sie die Show stahlen. Bei der Aufnahme des neuen Albums war das Duo unzimperlich. "Love Is A Fridge" wurde komplett aufgenommen und dann wieder verworfen. Was im Februar erschien, ist die zweite Version, und auch die reifte ein Jahr im Schrank. Beworben wird sie mit Sinnsprüchen wie "Love is a fridge - when you open the door the light goes on". Die Liebe ist ein Kühlschrank - wenn man die Tür aufmacht, geht das Licht an. Eine gescheiterte Affäre der Sängerin ist das Thema. Nur der Esel nennt sich selbst zuerst, tatsächlich ist Charlotte Brandis Stimme aber natürlich Kern des Projekts. Finden sich auf dem Album noch klassische Songstrukturen, verschwimmen die im Konzert bis zur Abwesenheit jeglicher eingängiger Refrains. Diese Musik verzichtet auf den Mitsingeffekt, auf dem sich der Indiepop sonst so gern ausruht. Die "echten" Chöre und Streicher der Albumaufnahmen werden live durch Chor- und Streicher aus dem Synthesizer ersetzt, was beinahe einen Hauch Ironie in das sonst sehr ernsthafte Gebaren der Band bringt.

Ähnlich wie beim Strahlungswichtungsfaktor kann die Gefährlichkeit von Popkonzerten für Menschen nach den Knutschende-Paare-Faktor eingeordnet werden, er geht von null (bei der Metal-Band Slayer) bis zu zehn (bei Rosenstolz). Der Knutschende-Paare-Faktor liegt am Freitag in Berlin bei 7,2. Das Publikum tanzt nicht, es wippt, sichtlich zufrieden. "Ist der Drummer Skandinavier?", fragt jemand, als ob das eine Rolle spielen würde. Me And My Drummer bedienen ohne Zweifel den Wunsch, Gefühle professionell aufgeführt zu sehen. Die offensichtliche Versiertheit von Brandis Stimme bedient die Sehnsucht nach Können, ihre Verlegenheit zwischen den Songs die nach Unvollkommenheit. Die Band erlaubt sich keine Fehler, was zuweilen überambitioniert wirkt, aber dann doch auch erhebend klingt.

Offen bleibt nur die Frage: Sind Geigen und Chor-Synthiesamples eigentlich mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde vereinbar? Eigentlich lautet die Antwort darauf selbstverständlich: "Nein!" Aber unter der Käseglocke dieses Streberpops haben sie am Ende dann doch ihren Sinn. Und überhaupt: Wer Überzeugungen hat, hat nur noch nichts vertieft. Guter deutscher Mainstream-Indie-Pop - so geht das.

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