Pop und Revival: Led Zeppelin:Eigentlich sollten wir erwachsen werden

20 Millionen Fans rissen sich um Karten für das heutige Revivalkonzert von Led Zeppelin - vergeblich. Glück gehabt: Nostalgie und Pop passen einfach nicht zusammen. Vom Trauma des Zuspätkommens.

Andrian Kreye

Es ist wie mit dem Lotto-Jackpot. Eigentlich sollte man dankbar sein, dass man zu den 19,98 Millionen Menschen gehört, die keine Karte für das Led-Zeppelin-Konzert am heutigen Montag im Londoner Millennium Dome bekommen haben. Und doch nagt diese Mischung aus Jagdfieber und der Nostalgie nach ungelebten oder längst verklärten Zeiten. Als gäbe es an diesem Abend die Möglichkeit, einen ganz großen Glücksmoment zu erleben.

Robert Plant und Jimmy Page 1985 auf der Bühne

Robert Plant und Jimmy Page 1985 auf der Bühne.

(Foto: Foto: ap)

Nun gibt es viele gute Gründe, Led Zeppelin zu verehren. Der schwerblütige Bluesrhythmus von "When The Levee Breaks" ist einer von ihnen, die wehmütige Stimmung in "The Way It Is" oder dieser verhallte Slidegitarreneffekt im zweiten Drittel von "Babe, I'm Gonna Leave You" - es ist, als würde einem gerade der Duft von genau der Zuckerwatte um die Nase wehen, die man in genau jenem frühkindlichen Moment spendiert bekam, als man auf einer Kirmes zum ersten Mal begriff, was es heißt, etwas zu erleben.

Der Besuch eines Pop- oder Rockkonzertes, das von Protagonisten vergangener Jahrzehnte bestritten wird, soll solche Momente noch einmal nachvollziehbar machen. Das aber funktioniert in den seltensten Fällen. Denn Nostalgie und Pop sind ein Widerspruch in sich.

Denn Pop entwickelt sich einerseits prinzipiell nach vorne. Andererseits lebt er vom Augenblick. Hat man aber die Jugend einmal hinter sich gebracht, erzeugt er eine nostalgische Rückkoppelung pubertärer Sturm- und Drangmomente, die im Gefühlsleben eines Erwachsenen eigentlich nichts zu suchen haben. Weil Popmusik aber ohne die Qualen und Unsicherheiten der Pubertät als simuliertes Freiheitsmoment empfunden wird, vermag Pop oft noch einmal die angenehmen Seiten der frühen Jugend aus dem Gefühlsgedächtnis abzurufen. Die unbewusst vollzogene Schlussfolgerung daraus ist die Annahme, dass ein Livekonzert jener Bands, die einen durch die Jugend begleitet haben, heute wie eine Art Zeitmaschine funktioniert.

Wider das natürliche Ende

Hat man die besten Zeiten von Led Zeppelin (oder wahlweise The Police, Van Halen, Bruce Springsteens E-Street Band, Simon & Garfunkel oder welcher längst aufgelöste Superformation auch immer, die gerade beschließt, wieder gemeinsam aufzuspielen) gar nicht selbst erlebt, funktioniert diese Hoffnung sogar noch besser. Denn nichts ist in jüngeren Popgenerationen so verbreitet wie die Nostalgie nach ungelebten Zeiten. Was bleibt den jüngeren Popgenerationen auch anderes übrig - sind sie doch mit Eltern, Verwandten und Lehrern aufgewachsen, die ihnen schon früh deutlich machten, dass die Jugend und der Pop nie wieder so grandios sein werden wie zu Zeiten von Woodstock, dem "CBGB's" oder der "Hacienda".

Dieses Gefühl, etwas versäumt zu haben oder etwas versäumen zu können, hat einen ernsten Grund. Die Auflösung der Beatles war für die Geschichte des Pop so etwas wie ein Urtrauma. Wer sie nicht mehr erlebte, dem wurde für ewige Zeiten ein Gefühl des Zuspätkommens vermittelt. Wer sie noch erlebte, bei dem blieb das Gefühl, dass das Schicksal der Welt nach dem Ende der bis heute unbestritten kreativsten Band aller Zeiten viel Großes vorenthalten hat. Auch wenn sich die Beatles vielleicht schon bald selbst überlebt hätten. Immerhin waren die vier Bandmitglieder zum Zeitpunkt der Auflösung schon zwischen 27 und 30 Jahren alt. Und es gab und gibt nur wenige Pop- und Rockstars, die nach ihrem dreißigsten Lebensjahr noch Großes leisteten.

Der Sport, der ja nach ganz ähnlichen Regeln der Massenunterhaltung und des Starkults funktioniert, ist da gnädiger. Ende zwanzig finden Sportlerkarrieren ihr natürliches und verdientes Ende. Wer käme schon auf die Idee, Boris Becker auf dem Rasen von Wimbledon noch einmal gegen Kevin Curren spielen zu lassen? Wenn dann doch jemand versucht, historische Momente wiederaufleben zu lassen, kommt es zu so traurigen Zirkusveranstaltungen wie Henry Maskes Schaukampf gegen Virgil Hill.

Enttäuschung, die man nicht zugeben kann

Wer seine Neugier in den letzten Jahren bei einer der unzähligen Formationen stillen wollte, die sich Jahrzehnte nach ihrer Auflösung wieder zusammentaten, der wurde meist bitter enttäuscht. Crosby, Stills, Nash & Young, die für die amerikanische Rockgeschichte eine ähnlich epochale Rolle spielten wie Led Zeppelin für die britische, beschlossen aus unerfindlichen Gründen vor acht Jahren wieder gemeinsam auf Tour zu gehen. Und weil ihr ätherischer Gesang und ihr leichtfüßiger Countryrock zum Leitmotiv einer ganzen Generation geworden war, verkauften sie auch im Handumdrehen wieder ganze Sportstadien aus.

Die Musik der Wiedervereinigung aber war niederschmetternd. Suchtkrankheiten und Alterserscheinungen hatten drei der vier Legenden in wandelnde Wracks verwandelt. Keiner traf noch die hohen Töne, und selbst die als Begleitband engagierten Booker T. & the MG's konnten das Debakel nicht aufhalten. Das Problem war jedoch nicht ein verdorbener Abend, sondern die Spätfolgen. Waren ihre Songs bis dahin Teil sorgsam gehüteter Jugenderinnerungen gewesen, blieb fortan nur noch das Gefühl der Enttäuschung, die gebrechlichen Schatten der Vergangenheit gesehen zu haben.

Das Spiel mit unserer Nostalgie ist für die legendären Bands deswegen nicht nur ein Geschäft, sondern auch ein Risiko. Im Marketingjargon würde man sagen - ein schlechtes Revivalkonzert kann die Marke einer Rocklegende so nachhaltig beschädigen, dass die kurzfristigen Einnahmen die langfristigen Verluste nicht ausgleichen können. Wer den missglückten Auftritt von Pink Floyd beim Live-Earth-Konzert sah, der weiß, warum die Psychedeliker selbst Angebote von 500 Millionen Pfund für eine Wiedervereinigung ausschlagen.

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Led Zeppelin heute Abend in London noch einmal ihre Songs spielen. "Whole Lotta Love", "Stairway to Heaven" und "Kashmir" werden ganz sicher auf der Liste stehen. 19,98 Millionen Menschen werden heute Abend das Gefühl haben, Großes zu versäumen. Zwanzigtausend Zuhörer werden Zeuge der bisher am sehnlichsten erwarteten Wiedervereinigung in der Manege des Nostalgiezirkus sein. Sie werden ihre Enttäuschung nicht zugeben können. Denn das wäre letztendlich Verrat an der eigenen Vergangenheit.

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