Stars in Las Vegas:Warum um die Welt touren, wenn die Fans nach Las Vegas kommen?

Stars in Las Vegas: Welcome to Fabulous Las Vegas: Das berühmte Neonschild begrüßt Tausende Touristen im Jahr.

Welcome to Fabulous Las Vegas: Das berühmte Neonschild begrüßt Tausende Touristen im Jahr.

(Foto: AP)

Popgrößen wie The Who, die Backstreet Boys und Britney Spears spielen heute lieber wochenlange "Residencies" in der Wüstenstadt, statt anstregende Konzertreisen zu unternehmen.

Reportage von Jürgen Schmieder, Las Vegas

Dean Martin sitzt an einem Klavier im Sahara in Las Vegas und singt "Ain't that a Kick in the Head", es dauert keine zwei Sekunden, dann weiß jeder, warum ihn die meisten Leute in dieser Stadt - ach was, auf der ganzen Welt - nur den King of Cool nennen: Bei der Strophe, in der es darum geht, dass er gerade ein Mädchen geküsst hat und dass sein Leben künftig wunderschön sein wird, da zwinkert er den drei jungen Frauen an der Bar zu. Die lächeln verschämt über diesen Schlingel auf der Bühne, rücken ihre Abendkleider zurecht und nippen an ihren Cocktails. Hach!

57 Jahre ist diese Szene aus dem Film "Ocean's Eleven" nun her, einige Musiker erinnern sich gerade daran, dass Martin es damals ziemlich gut getroffen hatte - nicht nur in diesem Film, sondern auch im wahren Leben. Mehr als 30 Jahre lang ist er in verschiedenen Hotels aufgetreten, er hat bei den Konzerten seiner Kollegen Frank Sinatra, Sammy Davis junior oder Joey Bishop vorbeigeschaut und danach mit ihnen jene Partys gefeiert, die heutzutage als legendär gelten, weil sie niemand mit Selfies dokumentieren oder mit Snapchat-Videos entmystifizieren konnte. Die Party war wichtiger als ein Schnappschuss von der Party.

Las Vegas, Gegenwart. Die Backstreet Boys treten im Planet Hollywood auf. Die günstigste Eintrittskarte kostet 159 Dollar, das billigste Bier 24 Dollar, am Merchandising-Stand wird für 100 Dollar eine schwarze Satinbomberjacke feilgeboten, die Arbeitsuniform von 90er-Jahre Boybands und deutschen Werbeagenturchefs im Jahr 2017. Das Publikum ist weniger mit Feiern beschäftigt als vielmehr damit, sich selbst beim Feiern zu fotografieren und die Welt über soziale Netzwerke sogleich über diese wahnwitzige Party zu informieren. Zwischen den Liedern "Larger than Life" und "The One", da brüllt Howard Dorough, einer von fünf Sängern und von der Bühnenpräsenz her eher der Typ deutscher Werbeagenturchef: "Fucking Vegas, baby!"

Sinatra und Martin haben einfach Clubs bespielt, Partys gefeiert und das "Karriere" genannt

Die Backstreet Boys sind seit März in dieser Arena ein Teil der 90er-Jahre-Pop-Endlosschleife, zu der auch Jennifer Lopez und Britney Spears gehören. "Unsere Headliner treten drei oder vier Mal pro Woche auf und sie bleiben jeweils zwischen drei und fünf Wochen", sagt Jason Gastwirth. Er ist bei Caesars Entertainment Corporation (CEC) verantwortlich für Livekonzerte und hat auch Mariah Carey, Rod Stewart und Elton John nach Vegas geholt: "Wir haben mehrere Hallen zur Verfügung und können relativ spontan auf die Nachfrage reagieren. Es hängt immer ein bisschen davon ab, wer sonst noch in der Stadt ist." Drüben im Monte Carlo, auf der anderen Seite des Strip, da schüttelt am gleichen Abend der puerto-ricanische Popstar Ricky Martin seinen Hintern zum Lied "Shake Your Bon Bon", auf einer Videoleinwand ist vor dem Konzert sogar das nackte Prachtstück des Sängers zu bestaunen. Irgendwann singt er "Luck Be a Lady", die inoffizielle Hymne dieser wunderbaren Stadt in der Wüste, während eines Kostümwechsels schmettern leicht bekleidete Hintergrundtänzer "Viva Las Vegas!"

Céline Dion tritt wie Mariah Carey und Jennifer Lopez im Caesar's Palace auf, Cher im Monte Carlo, Boyz II Men im Mirage. Die britische Rockband The Who schaut vom 29. Juli an für sechs Konzerte vorbei, Journey spielte kürzlich im Hard Rock Hotel, Carlos Santana rockt regelmäßig im Mandalay Bay. Was da gerade stattfindet: Die Sinatrifizierung der Rockmusik, die Deanmartisierung des Pop. Zahlreiche Künstler gönnen sich derzeit statt opulenter Welttourneen lieber ein ausgedehntes Engagement in Las Vegas. "Residencies" nennen sie das hier - ein Begriff, über den Sinatra und Martin nur müde gelächelt hätten. Die haben damals mit ihren Bands einen Club bespielt, Partys gefeiert und das ganz einfach "Karriere" genannt. Hach!

"Unsere Fans sind mittlerweile erwachsen, sie müssen nicht mehr wie früher als Teenager darauf warten, bis wir während einer Tournee auch in ihre Stadt kommen und die Eltern ihnen erlauben, ein Konzert von uns zu besuchen", sagt Dorough von den Backstreet Boys: "Sie feiern Geburtstage und Junggesellinnenabschiede in Las Vegas - und wir helfen ihnen dabei, einen spektakulären Abend zu erleben und eine gigantische Party zu feiern."

Es gibt Keks-Gitarren und auf dem Weg zur Arena steht ein Britney-Spears-Roulettetisch

Die Shows sind tatsächlich bombastisch. Wer etwa zum Backstreet-Boys-Konzert auch im Planet Hollywood übernachtet, der bekommt ein signiertes Bandposter und einen Cookie in Gitarrenform (es sind schließlich ernsthafte Musiker) aufs Zimmer geliefert. Er läuft auf dem Weg zur Arena vorbei an einem Britney-Spears-Roulettetisch und der dinosaurierhohen Ankündigung, dass J-Lo auch bald wieder auftreten wird. Während der Vorstellung bemerkt AJ McLean, dass der Reißverschluss seiner rosaroten Seidenhosen - noch so eine Uniformvariante deutscher Werbeagenturchefs - offen ist, da zuckt er mit den Schultern und zwinkert beim langsamen Schließen den nicht mehr ganz so jungen Frauen in der ersten Reihe zu. Die kreischen nicht wie früher. Sie machen Fotos.

"Fucking Vegas, baby"

Es gibt Hintergrundtänzer in Kompaniestärke, die überspielen sollen, dass die einstige Boyband nun eine Ansammlung mittelalter Männer ist, die es mit Fitnessprogramm und Ernährung nicht so ernst nehmen wie etwa Jennifer Lopez, die sich vom Laufpensum her bei ihrem Auftritt ein paar Wochen später der Marathondistanz nähert. Sie tragen vier verschiedene Outfits, es gibt eine Lichtershow und am Ende Konfetti. "Wir müssen die Bühne nicht nach jedem Konzert abbauen und am nächsten Tag in einer anderen Stadt wieder aufbauen, da können wir noch mal eine Schippe drauflegen", sagt Dorough, dessen "Fucking Vegas, baby" während des Auftritts den Charakter einer Ansage hatte.

Fucking Las Vegas, dieses sagenhafte Gebilde in der Wüste von Nevada, wird zur Heimat zahlreicher Popstars, weil es eine Win-win-win-Situation für Künstler, Veranstalter und Fans verspricht. Es ist keine Stadt mit einer begrenzten Anzahl an Einwohnern, die sich schnell satt sehen an einer Band. Im vergangenen Jahr kamen 43 Millionen Touristen und gaben insgesamt 35,5 Milliarden Dollar aus, so viel wie noch nie zuvor. Es heißt, dass an keinem Tag im Jahr weniger als 500 000 Gäste in dieser Stadt nach Unterhaltung lechzen. Sie wollen in Fünfsternerestaurants speisen, in Nachtclubs feiern und dazwischen den Lieblingsstar ihrer Jugend noch einmal live sehen.

Lady Gaga and Tony Bennett

Heute sind es Stars wie Lady Gaga, hier mit Tony Bennett auf der Bühne des Planet Hollywood Casinos, die sich das Leben dort vergolden lassen.

(Foto: Erik Kabik/Retna)

Die Hotels müssen, weil die Leute nicht mehr so bereitwillig wie früher ihr Geld an den Spieltischen und Automaten verzocken, mit immer neuen Spektakeln um Aufmerksamkeit buhlen. Die Gastspiele der Neuzeit begannen im Jahr 2003, sowohl die Künstlerin (Céline Dion) als auch der Gastgeber (Ceasar's Palace) wurden damals für verrückt erklärt - es hieß gar, dass Dions Karriere damit beendet sei. Das war sie tatsächlich, allerdings nur die Laufbahn als Popsängerin, in Las Vegas etablierte sie sich als singende Diva, die nicht dem nächsten Hit hinterherhechelt. Um es kurz zu machen: In den nächsten vier Jahren sahen insgesamt drei Millionen Menschen die 717 Konzerte.

"Dion hat aufgrund ihres Erfolgs den Weg für andere Stars geebnet. Britney Spears hat danach mit ihrer Show bewiesen, dass auch Popmusik in Las Vegas funktioniert", sagt CEC-Manager Gastwirth. Es ist ihm wichtig zu betonen, dass eine größere Arena nicht unbedingt höhere Einnahmen bedeute: "Jennifer Lopez zum Beispiel gibt gerne verhältnismäßig intime Konzerte, dafür können wir jedoch einen höheren Eintrittspreis verlangen. Es gibt Nächte, da nehmen wir im 4600-Zuschauer-Theater eine Million Dollar ein." Die 39 Shows im vergangenen Jahr spielten insgesamt 34,6 Millionen Dollar ein, im Februar durfte Gastwirth zudem verkünden, mit weniger als 250 Britney-Spears-Auftritten mehr als 103 Millionen Dollar umgesetzt zu haben.

Die Hotelbetreiber füllen ihre Arenen mittlerweile nicht mehr nur mit Zauberern, Showgirls und Komikern, sondern mit Musikern, die keine Lust mehr darauf haben, jede Nacht in einem anderen Hotelzimmer aufzuwachen. "Wir sind keine jungen Hüpfer mehr", sagt Dorough. "Der Lebenswandel hat sich verändert, wir sind nun alle Väter." Natürlich ist es für die Backstreet Boys angenehmer, in Los Angeles am Strand zu wohnen und hin und wieder mal für ein paar Auftritte nach Las Vegas zu kommen, als wie vor 18 Jahren während der "Into the Millennium Tour" innerhalb von neun Monaten 123 Konzerte in 84 Städten zu absolvieren - zumal die Casinos nicht nur mit Gehalt, sondern allerlei Annehmlichkeiten locken. Das gilt nicht nur für Sänger, sondern auch für DJs wie etwa Pitbull, der nachmittags hin und wieder bei Poolpartys auflegt und nachts das Planet Hollywood auf modernstem Equipment bespielt.

Adele erhält 500 000 Dollar pro Auftritt, eine Penthouse-Suite und unbegrenzte Privatflüge

Das MGM Grand hat der britischen Sängerin Adele nun 500 000 Dollar pro Auftritt geboten, dazu eine Gratis-Penthouse-Suite und unbegrenzte Privatflüge zwischen Los Angeles und Las Vegas. Adele will sich um die Erziehung ihres Sohnes Angelo kümmern und deshalb zehn Jahre lang nicht mehr für Konzerte um die Welt gondeln. Bei einem Engagement in Vegas könnte sie ihre Fans begeistern und könnte ihr Kind am nächsten Morgen zur Schule bringen. Es heißt, dass sie bislang nur deshalb nicht unterschrieben hat, weil die ebenfalls interessierten Casinos Venetian und Caesar's Palace mit noch großzügigeren Angeboten kontern könnten.

Wer ein paar Auftritte der Popstars und Rockgötter in Vegas gesehen hat, der weiß: Es sind vergnügliche Abende, es sind jedoch keine legendären Konzerte, wie sie Dean Martin, Frank Sinatra oder Sammy Davis junior damals hingelegt haben und bei denen als Ankündigung drei Worte über der Eingangstür des Caesar Palace genügte: "Sie sind da." Die Konzerte von heute sind heftig beworbene und perfekt choreografierte Veranstaltungen. Sie sind einfacher zu produzieren, lukrativer und weniger stressig als eine Tournee. Die meisten Fans sind nach dem Backstreet-Boys-Konzert ziemlich glücklich, mit der Leistung der Künstler auf der Bühne und mit den Fotos, die sie gemacht haben. Es genügt ihnen, die Illusion einer krassen Party zu erleben - und im Erschaffen von Illusionen sind sie in Vegas seit jeher geübt.

Wie angenehm stressfrei so ein Engagement in dieser Stadt für einen Künstler sein kann, das wusste Dean Martin freilich bereits vor mehr als 30 Jahren. Er begrüßte im Juni 1985 den millionsten Besucher und wurde von einem Reporter gefragt, ob er denn nicht mal wieder um die Welt reisen und Konzerte geben wolle. Martin zwinkerte dem Fragesteller zu und sagte: "Ich muss niemandem was beweisen, ich will nur singen und Spaß haben. Ist das denn nicht genug?"

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