Pop:Schwarzmalerin

Kovacs

Billie Holiday, Etta James, Nina Simone, Tina Turner und Janis Joplin - das sind die Vorbilder von Sharon Kovacs.

(Foto: Robert WInter)

Sharon Kovacs aus Eindhoven blickt in ihre Seele und sieht die Dunkelheit. Dass daraus erfolgreicher Pop entstehen kann, zeigt sie am Mittwoch im Ampere

Von Michael Zirnstein

Sie sitze lieber draußen, im morgenkalten Hinterhof des Design-Hotels im Münchner Bahnhofsviertel, sagt Sharon Kovacs. Im Zimmer sei es heiß gewesen, sie habe kaum geschlafen, die Kühle tue ihr gut, und hier könne sie rauchen. Aus dem Frühstücksraum huschen Blicke über die junge Frau mit kurzem Kleid, dunklen Strumpfhosen, schweren Stiefeln, Nasenring, raspelkurzen Haaren und einer Fellkapuze mit Raubtierohren. Wie eine Mischung aus Punk-Göre und Medizinmann sitzt die Musikerin aus den Niederlanden da, etwas verschlossen und zittrig. Man fragt sich kurz, ob man mehr Angst vor ihr oder um sie haben soll. Allzu schnell denkt man über sie und Alkohol und noch schlimmere Drogen nach, schließlich singt sie darüber auch auf ihrem Debüt-Album.

Die Platte heißt "Shades of Black". Kovacs, wie sie sich als Künstlern nennt, meint damit die unterschiedlichen Zustände, in denen sie sich schwarz fühle. Die gescheiterte Beziehung mit einem Ping-Pong aus Schuldzuweisungen, über die sie in "When The Ladies Hurt" sinniert, fühle sich anders schwarz an, als wenn sie in "Fool Like You" das schlechte Verhältnis zu ihrem Vater ergründe. "Meine Dunkelheit ist in mir, aber auch in meiner Umgebung", sagt die 25-Jährige, "manchmal lasse ich mich in solche alten Gefühle hineinfallen, um Inspiration zu bekommen, aber einfach auch, um sie durchzustehen und etwas daraus zu lernen." Selten war eine so finstere Seelenschau so attraktiv: In den Niederlanden kam "Shades of Black" auf Platz eins der Charts (wie auch im leidgeplagten Griechenland; in Deutschland immerhin auf Rang acht), Kovacs wurde mit dem Edison Award geadelt, der Regisseur Daan Willekens drehte das auf dem Amsterdamer Dokumentarfilm-Festival prämierte Porträt "Wolflady" über sie.

Noch vor drei Jahren war es zappenduster gewesen im Leben der jungen Eindhovenerin. Ihre "komplexe Persönlichkeit", wie sie es nennt, rührt von ihrer Jugend her: Mit acht wurden sie von ihren leiblichen Eltern getrennt, wurde von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht, sie fühlte sich, als würde sie nirgends dazugehören. Nur Musik gab ihr Halt. Sie sang in Schülerbands, dann auf offenen Bühnen in Kneipen, in denen sie kellnerte, und bestand die Aufnahmeprüfung am Eindhovener Rock City Institute. Einfach lief es natürlich auch dort nicht: Einige Gesangslehrer wussten mit der dunklen Stimme nichts anzufangen und legten ihr nahe abzubrechen. "Alle haben mich fallen lassen und gesagt: Mit diesem Mädchen kann man nicht arbeiten." Das Licht am Ende des Tunnels kam von Oscar Hollemann, dem Kovacs über Facebook einen Link zu ihrer Musik geschickt hatte. Normalerweise reagiert der Produzent von Within Temptation, dem neben Caro Emerald einzigen erfolgreichen Pop-Export der Niederlande, nicht auf Demos.

Aber diese soulige, altmodische, traurige, stolze Stimme riss ihn hin - wobei er mit allem anderen rechnete als mit einer jungen Frau mit Konzentrationsschwäche. "Da war auf einmal ein Silberstreif: Oscar hat an mich geglaubt, er hat mich persönlich heller gemacht." Er ließ die Richtungslose in Ruhe viel ausprobieren - ließ sie um ihre Idole wie Billie Holiday, Etta James, Nina Simone, Tina Turner oder Janis Joplin kreisen. Sie machten zusammen eine Abenteuerreise nach Kuba. "Wir gingen blanko hin, brachten Software für die Studios dort mit, bekamen dafür Treffen mit Musikern arrangiert." Mit Mitgliedern des Buena Vista Social Club nahmen sie Grace Jones' altes "I've Seen That Face Before" auf. Es wurde daheim Kovacs' erster Hit. Allmählich entwickelten sie den perfekten Klang für ihre Stimme: Mal ist es Retro-Soul wie bei Amy Winehouse, mal eine zartbittere James-Bond-Ballade, mal klingt romantische Klassik an, mal eine orientalische Linie, mal ein Tango, den sie mit sinistren Trip-Hop-Beats unterlegt, was ihr Vergleiche mit Portishead eingebracht hat.

Und doch ist alles eigen, außergewöhnlich schon, dass jedes Stück in Moll geschrieben ist. "Das gibt mir Raum für meine Geschichten und meine schwarzen Gefühle", sagt sie und sei ihre Medizin. "Musik hilft mir, die Sachen zu verarbeiten, die mich traurig machen." Deswegen habe sie auch keine Angst, so tragisch zu enden wie einige ihrer Idole. "Ich plane nicht, mit 27 zu sterben wie Janis oder Amy. Party und Drogen habe ich hinter mir. Ich stelle mir vor, wie ich mit 50 in irgendeiner alten Jazzbar singe." Als sie das sagt, lacht sie das erste Mal an dem Morgen. Und sie erzählt von ihrem Freund in Berlin und den Leuten dort, mit denen sie verrückte Sachen mache, und wie stolz sie sei, dass das Magazin ihrer Pflegefamilien-Vermittlung ihre Geschichte aufgeschrieben hat - als leuchtendes Beispiel für andere Sorgenkinder. "Und sehen sie", sagt sie und deutet auf eine Blume am Kleid, "heute habe ich ausnahmsweise sogar etwas Buntes an."

Kovacs, Mittwoch, 20. Mai, 20.30 Uhr, Ampere, Zellstr. 4, 21 83 73 00

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