Pop:Sanft verdengelt

Seit 2011 ragt Ruban Nielson mit seinem Unknown Mortal Orchestra aus der Masse der Bedroom-Musiker heraus. Auch mit seinem vierten Album "Sex & Food".

Von Martin Pfnür

Die Geschichte des "Lo-Fi-Pop" ist im Gegensatz zur Geschichte der professionellen Studioproduktion eine bislang nur unzureichend erfasste und recht unübersichtliche. Sie beginnt womöglich 1967, als die Beach Boys statt ihres geplanten Großwerks "Smile" mit "Smiley Smile" ein ziemlich krudes Album vorlegten, das sich in seiner amateurhaften Homerecording-Machart und seiner schrägen Psychedelik zwar als kommerzieller Flop erwies - heute aber als Auftakt von Brian Wilsons nur teilweise veröffentlichten "Bedroom Tapes" durchaus eine Art Vorreiter-Funktion einnimmt. Denn wo die Lo-Fi-Produktion bis in die späten Siebziger hinein eher verpönt war, sah das nach dem Aufkommen der Kassette als erschwinglichem Aufnahmemedium für jedermann sowie Punk und Indie-Rock als Gegen- und Subkulturen samt Do-It-Yourself-Ethos noch mal ganz anders aus.

Kein Wunder, dass sich die Lo-Fi-Ästhetik in ihrer Inkarnation als "Bedroom Pop" (die freilich auch Küchen, Hobbykeller oder Wohnzimmer als Aufnahmeorte mit einschließt) gut 40 Jahre nach "Smiley Smile" erfolgreich aus ihrer Underground-Nische befreit hat. Vor allem in den 90-Jahren nachhaltig von Slackern wie Pavement oder Beck gefördert, steht der verrauschte Minimalismus längst für eine neue Form von Cool, die jedem drei Akkorde mächtigem Hipster zwischen New York und Tokio zur Interpretation und Soundcloud-Veröffentlichung frei steht.

UMO

Spezialist in Sachen Lo-Fi-Pop: der Neuseeländer Ruban Nielson alias "Unknown Mortal Orchestra".

(Foto: Neil Krug)

Entsprechend hoch muss man denn auch die Kunst von Ruban Nielson hängen, der als Unknown Mortal Orchestra seit seinem selbstbetitelten Debüt von 2011 auf beeindruckende Weise aus der Masse an selbsternannten Bedroom-Musikern herausragt. Wo die Patina des Lo-Fi-Sounds bei nicht wenigen seiner Geistesverwandten als klangästhetisches Deckmäntelchen für allerlei semi-inspiriertes Geschrammel fungiert, packt der im amerikanischen Indie-Pop-Mekka Portland wohnhafte Neuseeländer seine Retro-Leidenschaften in Songs, deren Charme und Melodik sich gerade über ihre Low-Budget-Produktion entfaltet.

"Sex & Food", das vierte Album seines inzwischen zur Band erweiterten Ein-Mann-Orchesters, macht da keine Ausnahme. Klar wie selten zuvor legt Nielson hier seine Bezüge offen. Er changiert und kontrastiert einerseits zwischen harschen Psychedelic-Rock-Exzessen und honigsüß hingetupften Stücken, die vor allem der Soul- und Funk-Ära auf wunderbar verschrobene Weise huldigen. Anderseits aber auch zwischen ausgestellten Banalitäten wie dem Albumtitel und textlichen Abgründen, die sich oftmals bereits in den Songtiteln andeuten. "American Guilt", "This Doomsday", "Everyone Acts Crazy Nowadays" - das Unbehagen angesichts der Zeitläufte ist mittlerweile auch in Nielsons Lo-Fi-Kosmos eingezogen.

Musikalisch überwiegt auf "Sex & Food" der zarte Schmelz. Während das eröffnende "Major League Chemicals" als aufgekratzter Sixties-Psych-Rock auf funkiger Rhodes-Piano-Basis daherkommt, für den Nielson seine Stimme zu einem giftigen Fauchen filtert, landet er bereits im Anschluss mit dem sanft verdengelten "Ministry of Alienation" bei aller inhaltlichen Tristesse in den erhabensten Soulsphären, die er mit Ausnahme der dreckigen Jack-White-Pastiche "American Guilt" auch nicht mehr verlässt. So hört man etwa den entschlackt federnden Funk von "Honeybee", den sehnsuchtsvoll verschleppten und falsettierten Schlafzimmer-Soul von "The Internet of Love (That Way)", den komplett auf einen simpel gepatschten Beat und eine akustische Gitarre herunterskeletierten Trip-Hop von "This Doomsday" - und in Form von "Not in Love We're Just High" tatsächlich auch ein R'n'B-Stück, das mit seinen charakteristischen Phrasierungen und seinem Fingerschnipsen niemand geringeren als den jungen Michael Jackson zu "Off-the-Wall"-Zeiten heraufbeschwört. Im günstigen Lo-Fi-Gewand, versteht sich.

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