Pop:Retrokolumne

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Damit die Amerikaner bloß nichts verstehen: Eine Compilation gräbt auf Französisch singende Punk-Bands aus den 1970er-Jahren wieder aus und eine andere Platte geht zurück an die Anfänge der Dance-Musik der frühen Neunziger.

Von Jan Kedves

Punk in Frankreich? Heute muss man da vor allem an das Dance-Duo mit den goldenen Helmen denken: Daft Punk. Als die sich 1993 ihren Namen gaben (er bedeutet übersetzt so viel wie "beknackter Punk"), taten sie das mit einer Generation Abstand, nicht ehrfurchtsvoll, sondern ironisch. Aber natürlich gab es in Frankreich einst auch die richtigen Punks, oder: "Pönks". An sie erinnert die Compilation "Les Punks: The French Connection", die soeben beim Londoner Label Soul Jazz erschienen ist. Darauf: Musik von Punkbands, die zwischen 1977 und 1980 Platten aufnahmen und die außerhalb Frankreichs weitgehend vergessen sind. Das begleitende Booklet geht im Versuch, ihr Schaffen historisch einzuordnen, sogar so weit, die Ursprünge des Punk ganz in Frankreich zu verorten - in Surrealismus und Dadaismus, in bohemistischen Sonderlingen wie Henri Rousseau oder Guillaume Apollinaire oder in der Studentenrevolte von 1968. Was man zu hören bekommt, ist nicht immer so aufregend: Zum Beispiel hätte man nicht unbedingt erfahren müssen, dass die Band Fantômes 1978 die rotzig-masochistische Proto-Punk-Hymne "I Wanna Be Your Dog" von den Stooges (1969) eher kraftlos, aber immerhin akzentfrei nachspielte. Wunderbar allerdings: "Paris Maquis" von Métal Urbain. Der Song war 1977 die erste Veröffentlichung auf dem Londoner Independent-Label Rough Trade, was schon viel darüber aussagt, wie vernetzt die Punk-Szenen damals waren, auch ohne Internet. Der Song wechselt rasend zwischen Fünfviertel- und Viervierteltakt, der Titel spielt auf die "maquis" an, französische Résistance-Kämpfer während des Zweiten Weltkriegs. Passend dazu schreien Métal Urbain zu ihren schrammelnden Gitarren alle zusammen "Fasciste!" und singen über den dünn ploppenden Beats aus der Drum-Machine gegen die "ville zombie régulée" an, die regulierte Zombiestadt Paris. Wut und Verweigerung, Schläue und Arroganz: Als Métal Urbain 1977 von einem amerikanischen Punk-Fanzine gefragt wurden, warum sie auf Französisch sängen, antwortete die Band: "Damit ihr Amerikaner uns nicht versteht."

Dass sich Bedeutungen im Pop innerhalb weniger Jahre auch mal ins Gegenteil verkehren können, wird in der historisch noch jungen Dance-Kultur immer häufiger deutlich. "Deep House" zum Beispiel. Der Begriff wird inzwischen gerne für die spiegelglatt poppigen, rhythmisch unterkomplexen Plöcker-Plöcker-Produktionen vornehmlich weißer deutscher Produzenten wie Robin Schulz, Felix Jaehn oder Alle Farben verwendet. Sogar Dieter Bohlen lässt, wenn er die Schlagerqueen Vanessa Mai produziert, diese im sogenannten Deep-House-Sound trällern ("Meilenweit"). Was einigermaßen unfassbar erscheint, wenn man weiß, dass Deep House in den Neunzigerjahren mal eine sehr unpoppige, vertrackt polyrhythmische, erdig klingende und vor allem sehr afroamerikanische Angelegenheit war. Das zeigt schön die Kompilation "Prescription: Word Sound & Power", die nun auf dem Amsterdamer Label Rush Hour erscheint. Prescription ("Rezept") war der Name das Labels, das die beiden aus Chicago stammenden Produzenten Ron Trent und Chez Damier zwischen 1993 und 2000 betrieben. Sie produzierten gemeinsam auch den Großteil der hier veröffentlichten Tracks. Während andere Produzenten House in den Neunzigerjahren noch als hektische, geradezu discomäßig hysterische Sache betrachteten, vertieften sich Chez N Trent in ihren ganz eigenen, auf Funk und Jazz fußenden, ruhige Moll-Akkorde favorisierenden House-Entwurf. Die Referenz war der New Yorker Club Sound Factory, genauer: dessen brillante Musik-Anlage. Sie habe, so Ron Trent, ihnen beiden die Ohren geöffnet und sie damit beginnen lassen, in Tracks wie "Morning Factory" oder "Foot Therapy" jedem einzelnen Klang penibel seinen eigenen Bereich zuzuweisen: Sub-Bass, Bass, mittlere Tiefen, Mitten, Höhen und so weiter. Die genaue Mischung blieb geheim. Prescription stand für ein geradezu spirituelles Verständnis von elektronischer Musik. House als Medizin. Wirkt auch heute noch allerbestens, ganz egal ob man nur zuhört oder auch dazu tanzt.

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