Clueso im Interview:"Udo und ich haben einiges gemeinsam"

Clueso gilt als einer der besten Songschreiber Deutschlands. An diesem Freitag erscheint seine Version des Udo-Lindenberg-Klassikers "Cello". Der Meister singt ihn gemeinsam mit Clueso. Im Interview spricht er über die Zusammenarbeit mit Lindenberg, nervige Dudelsongs - und warum er nicht nach Berlin will.

Toni Lukic

Clueso sitzt aufrecht auf einem Sofa in den Katakomben der Bielefelder Stadthalle. Auf dem Tisch vor ihm liegen iPad, Laptop, Boxen und ein Sampler. Alles ist miteinander verkabelt. Aus den Boxen tönen Elektrobeats. Clueso tippt auf die Tasten des Laptops. "Warte kurz, ich muss nur noch abspeichern." Unbeirrt tippt er weiter. Mal ertönen Gitarrenriffs, dann verschrobene Synthesizerklänge und schließlich dumpfe Elektrodrums, als würde man von innen an eine Regentonne hauen. Doch irgendwie passt alles zusammen.

Clueso im Interview: In Spanien nahm er einen neuen Anlauf: Clueso.

In Spanien nahm er einen neuen Anlauf: Clueso.

(Foto: Julian Essink)

Clueso lässt man spielen. Jemand der Gold- und Platin-Schallplatten im Schrank hängen hat und hierzulande als bester junger Songschreiber gehandelt wird, der hat es richtig gemacht. Das verwundert, denn laut seiner Vita konnte er offenbar nie etwas zu Ende führen: Thomas Hübner, wie er bürgerlich heißt, in Erfurt geboren, bricht die Friseurausbildung ab. Anfangs rappt er, doch hört damit auf, weil er merkt, dass er ein besserer Sänger als Rapper ist. Breakdance lässt er auch bleiben, als er sieht, wie ein Freund immer besser wird als er.

Cluesos Vita ließt sich so: Ausgepackt, einmal mit gespielt und wieder weggelegt. Doch die Kurzlebigkeit seiner kreativen Fachgebiete ist gleichzeitig Segen für sein Schaffen als Songwriter. Ob Hip-Hop, Reggae oder Jazz - alles findet irgendwo seinen Platz. Auch die Altmeister wissen das musikalische Potential Cluesos zu schätzen. Herbert Grönemeyer nahm ihn mit auf Tour. Mit Udo Lindenberg spielte er ein Remake des Lindenberg-Klassikers "Cello" ein - es erscheint an diesem Freitag.

Nach zwei Minuten drückt er ein letztes Mal entschieden auf die Entertaste und schaut rüber.

Clueso: Sorry, jetzt bin ich da. Diese Technik ist echt cool. Du musst im Prinzip nur alles miteinander verstöpseln und kannst sofort einen Beat produzieren - und der Klang ist geil. Mich hat Damon Albarn inspiriert, der musikalische Kopf der "Gorillaz", der auf einem iPad ein ganzes Album gemacht hat.

sueddeutsche.de: Schreibst du deine Texte auch auf dem iPad?

Clueso: Ne, ich habe ganz viele Bücher, in die ich immer reinkritzle. Wenn ich literarische Texte lese und irgendein Wort oder eine Zeile sehe, die mich inspiriert, schreibe ich die dort hinein und überlege mir noch eine Zeile. Das mache ich dann in diesen Büchern oder auf dem Laptop. Das iPad ist mir da zu fummelig. Aber ich benutze diese ganzen Geräte um schnell Musik machen zu können. Das ist wie joggen für mich, da kann ich entspannen.

sueddeutsche.de: Es stimmt also, dass du unruhig und rastlos bist und nur beim Musikmachen entspannen kannst. Das erwartet man bei deiner eher ruhigen Musik gar nicht.

Clueso: Ich weiß auch nicht woran das liegt. Vielleicht ist das genau der Gegenpol. Ich habe da schon öfter drüber nachgedacht. Aber ich finde, dass meine Musik Energie hat, weil ich extrem viel Herzblut reinstecke. Deswegen halten die Songs auch so lange. Es ist eben nicht nur das ruhige Songwriting, das würde sich, glaube ich, abnutzen. Im nächsten Leben würde ich aber eine Rock'n'Roll-Band vorziehen.

sueddeutsche.de: Warum?

Clueso: Keine Ahnung, weil ich das wohl bräuchte. Aber ich weiß nicht, ob ich das durchhalten würde.

sueddeutsche.de: Dann würdest du ja nur noch unter Strom stehen.

Clueso: Ja, ich glaube, ich würde nicht alt werden. Dann würde ich wohl verglühen.

sueddeutsche.de: Du wirkst gar nicht wie ein Popstar. Ist dieses Understatement auch ein bisschen Kalkül?

Manchmal schalte ich den Gag-Filter aus

Clueso: Es entspricht einer gewissen Intelligenz, dass man merkt, was zu einem passt und was nicht. Das erzieht sich dann von selbst und ist kein Kalkül. Es gibt natürlich Momente, wo man gepusht wird, wie auf der Bühne zum Beispiel, aber dann bremsen meine Bandkollegen und ich uns gegenseitig. Ich mag es auch nicht, wenn andere Künstler, die eine gewisse Öffentlichkeit erfahren haben, dies dann andere spüren lassen oder auch zynisch werden. Und wenn ich das bei anderen doof finde, sollte ich selbst so auch nicht werden. Aber probiert habe ich es schon.

sueddeutsche.de: Wie hat sich das geäußert?

Clueso: Der beste Vergleich ist wieder die Bühne. Man versucht, mit dem Publikum so offen zu reden, wie man es auch backstage tun würde. Man kann dann aber doch nicht alles sagen. Wenn ich unter meinen Freunden bin, sind die Witze manchmal unter Niveau und ich verwende auch Kraftausdrücke. Das kann ich auf der Bühne aber alles nicht bringen. Man muss dort merken, ob ein Witz angebracht ist, sonst kann man ganz schnell zynisch oder wie ein arrogantes Arschloch wirken, obwohl man es nicht so meint. Aber es ist auch schon passiert, dass ich diesen "Gag-Filter" ausgeschaltet habe und gemerkt habe, wie die Leute denken: "Wie geht der denn mit uns um?" Generell versuche ich so respektvoll wie möglich gegenüber dem Publikum zu sein.

sueddeutsche.de: Wie erklärst du dir den Erfolg von jungen Singern/Songwritern wie Tim Bendzko und Philip Poisel?

Clueso: Philip Poisel erzählt schöne kleine Filme und hat eine bestimmte Ästhetik in seinem Style. Das versuchen viele Musiker zu schaffen. Ich kann es nicht genau erklären, was bestimmte Leute haben, wie sie es so auf den Punkt bringen, dass man ihre Musik hört. Diese Wirkung hat man als Künstler nicht zu 100 Prozent im Griff, Kleinigkeiten machen viel aus. Bei Poisel sind es Wendungen in seinen Liedern, bestimmte Worte, eine Art und Weise wie die Songs transportiert werden und natürlich er als Typ selbst.

sueddeutsche.de: Jan Delay hat mal gesagt, dass der Hip-Hop-Boom von 2000 deutschsprachige Künstler wie Silbermond erst möglich gemacht hat. Damals hast du noch gerappt. Siehst du das auch so?

Clueso: Ja, zum Teil stimmt das. Es ging den Leuten irgendwann auf die Nerven, ständig englische Dudelsongs, Verpackungen ohne Inhalt, im Radio zu hören. Es fing im Hip-Hop an, dass mit der Sprache jongliert wurde oder Reime verwendet wurden, die es vorher nur in der Literatur gab. Im Prinzip ist Hip-Hop das gelungen, was die Neue Deutsche Welle Anfang der 80er geschafft hatte. Konnte man sich vorher nur mit der Musik und dem transportierten Gefühl identifizieren, so ging das ab sofort auch mit den Texten. Andererseits gab es früher auch die Hildegard Knef und Udo Lindenbergs.

sueddeutsche.de: Hat Letzterer mit dem gemeinsamen Lindenberg-Remake "Cello" den Staffelstab an dich weitergereicht? Ihr habt musikalisch ja einige Parallelen.

Clueso: Die Parallelen sind mir angenehm, aber natürlich achtet man als Künstler darauf, in seinem eigenen kleinen Universum stattzufinden. Doch ich glaube, was Udo und ich gemeinsam haben, ist die Einfachheit der Worte, die Tiefe, die dann durch die Musik kommt, und eben die Haltung, eine Ballade nicht triefen zu lassen. Wenn ein Künstler nur auf Pathos setzt, dann geht mir das ziemlich auf die Nerven. Udo hat das immer vermieden und versucht Kredibilität zu bewahren.

sueddeutsche.de: Als DDR-Kind mit abgebrochener Friseur-Ausbildung und Erfahrungen in der Rap-, Graffiti- und Breakdanceszene hast du eine ziemlich unübliche Vita für einen Popstar.

Clueso: Ich reiße viele Dinge an, wie ein Zehn-Kämpfer, der in keiner Disziplin top ist, aber in allen so gut, dass ich weit vorne bin. Am Anfang war das ziemlich unübersichtlich, auch für meine Eltern, aber ich bin da wie ein Alchemist. Es macht mir Spaß Dinge zu lernen, wenn ich sie aber verstanden habe, lege ich sie weg.

sueddeutsche.de: Ist das der Grund für die Vielfalt in deiner Musik?

Clueso: Ich denke, dass es wohl so sein muss.

sueddeutsche.de: Auf deinem im Frühjahr erschienenen Album "An und für sich" experimentierst du auch mit elektronischen Einflüssen. Was können wir in Zukunft erwarten?

Clueso: Ich denke, da geht noch einiges. Ich bin umgeben von vielen Künstlern und Freigeistern, mit denen ich viele Sachen mache, zum Beispiel mit einem Jazz-Trio, das noch wirkliche Straßenmusik macht. Udo (Lindenberg) hat es selbst mal gesagt (Clueso imitiert dessen Stimme): "Wir brauchen keine Musiker, wir brauchen Kanalratten." In dieser Nische tobe ich mich gerade aus und werde sicher was für die Zukunft daraus mitnehmen. Es kann auch sein, dass mich Elektro irgendwann anödet, weil es jeder macht - und ich achte ja immer darauf etwas zu tun, was nicht jeder macht.

sueddeutsche.de: Du hast die Abgabe des Albums und die Tour verschoben. Warum?

Clueso: Der Hauptgrund war, dass ich viele andere Musiker an das Projekt herangeholt habe, also immer mehr Köche an den Brei gelassen habe. Und alle hatten ihre Vorstellungen, die man unter einen Hut bekommen sollte. Irgendwann war es ziemlich schwer den Überblick zu bewahren. Zum anderen hatte ich schon viele Songs fertig, die aber so klangen, wie schon mal da gewesen. Ich wusste, dass die funktionieren würden, aber ich hätte sie nicht lange geliebt. Ich brauchte dann einen neuen Schritt und musste mich von mir selber abkapseln.

sueddeutsche.de: Deshalb seid ihr nach Spanien gegangen um das Album aufzunehmen?

Clueso: Genau, um erst mal den Druck loszuwerden in einem Umfeld, in dem dich keiner kennt und mit einer unbekannten Sprache. Weg von Terminen, Releasedaten und dem Stress, einfach nur in die Sonne und Musik machen. Das war eine Erfahrung, die uns sehr gut getan hat.

sueddeutsche.de: Die Band Kraftklub hat den Song "Ich will nicht nach Berlin" geschrieben, weil man bei den ersten einsetzenden Erfolgen sofort von ihnen erwartet habe, in die Hauptstadt zu ziehen. Hat man von dir gefordert, Erfurt zu verlassen?

Clueso: Klar, aber ich habe nicht einen Song drüber geschrieben, das war mir nicht der Rede wert. Es gibt einen Amerikaner, der in Weimar eine jüdische Musikschule, die "Other Music Academy" gegründet hat. Die Leute fragen ihn immer, wieso ausgerechnet in Weimar und er antwortet immer: "Weimar? Why not?". Und so sehe ich das auch mit Erfurt. Man muss sich fast dafür entschuldigen, wenn man dort wohnen bleibt. Aber das will ich nicht, Erfurt ist voll die geile Stadt. Es hat mich nie nach Berlin gezogen. Vielleicht weil ich Schiss hatte und zu neugierig für Berlin war.

sueddeutsche.de: Zu neugierig?

Clueso: Ja, ich würde viele Sachen sehen und erleben wollen und das wäre nicht immer so gesund. Ich habe ein ziemlich diszipliniertes Leben, vor allem während der Tour trinke ich kein Alkohol und achte auf meine Gesundheit. Manchmal will man aus diesem braven Image ausbrechen und da ist Berlin vielleicht nicht das beste Pflaster.

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