Pop:Perfekte Nostalgie

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Ein Konzert der "Pet Shop Boys" enthält genug Laster für sieben Leben, von der Synthie-Romantik bis zum grünen Laserlicht. Genau deshalb war der Tourauftakt in Leipzig so wundervoll.

Von Juliane Liebert

Musik ist eine schlechte Angewohnheit, wie Nägelkauen. Man sollte damit aufhören, solange man noch kann, sonst ist es auf einmal 2016 und man steht auf einem Pet Shop Boys-Konzert. Und dann ist man geliefert. Es ist der Auftakt der Europatournee. Die Arena in Leipzig ist ausverkauft, Laser suppen durchs Publikum, träge grüne Lichtfäden. Auf der Bühne ein Haufen Punkte, dazwischen zwei große Kreise, die sich um sich drehen und Neil Tennant und Chris Lowe preisgeben. Guten Abend, meine Damen und Herren. Die Pet Shop Boys sind da.

Die Pet Shop Boys, beanzugt, fackeln nicht lange, sondern fallen nach einem "Inner Sanctum"-Interlude mit ihrem Hit "West End Girls" ins Konzert. Vor der Show wurde (sehr sächselnd) durchgesagt, man dürfe nicht filmen und nicht fotografieren und solle doch jetzt bitte sein Handy abschalten. Als würden Sachsen auf Sachsen hören, wenn Neil Tennant im Haus ist. Natürlich hat niemand sein Handy abgeschaltet, natürlich fotografieren alle, natürlich filmen alle. Aber das nervige Gerätegeschwenke wird angesichts der albernen Durchsage beinahe zu einem Akt des Protestes. So singt Neil Tennant in einer echten und Hunderten kleinen Displayversionen seiner selbst seine Zeilen "The East End Boys and West End Girls, West End Girls", und alle sind vom ersten Ton an beglückt. Tennant hat eine der unvergleichlichsten Stimmen im Pop - weder Mann noch Frau, dabei immer irgendwie manierlich, immer ein bisschen distanziert von oben herab. Und die Hits der Pet Shop Boys - an diesem Abend "Love comes quickly", "It's a Sin", "Go West" und "Left to My Own Devices" - bleiben unwiderstehlich.

Kann ein beseeltes, vernunftbegabtes Wesen die Pet Shop Boys nicht lieben? Sie nicht zu mögen, wäre in etwa, wie zu sagen, man mag die Beatles nicht. (Gewiss, es ist gerade sehr angesagt, die Beatles nicht zu mögen, doch das hat weniger mit den Beatles zu tun als mit ihrer Überkanonisierung.) Man muss "Always on my mind" nicht als Lieblingssong haben - aber ihn als schlecht zu bezeichnen, würde von Taubheit gegenüber der Popkultur zeugen. Wir reden hier von Bands, die das Koordinatensystem, innerhalb dessen man "gut" oder "schlecht" überhaupt ansiedelt, erst gezeichnet haben. Die Pet Shop Boys sind so etwas wie eine Zusammenfassung der Synthie-Achtziger, und zwar auch und gerade im Nachhinein. Sie haben die Achtziger quasi historisiert, bevor sie Geschichte waren. Ihre Songs glorifizieren die Simplizität, in der sich die Eleganz des Pop zeigt, das Romantisch-Verklärte dieses Jahrzehnts. Eine perfekte Nostalgiemaschine.

Die Gehirne der Konzertbesucher werden jetzt wochenlang "Go West" im Chor singen

Das Visuelle steht bei ihnen wie stets auf einer Stufe mit dem Klanglichen. Die Videos, das Artwork und die Bühnenshow waren immer extrem wichtig; sie klingen mehr nach Andy Warhol, als es Velvet Underground je taten. Darum wirkt ihre Bühnenshow auch 2016 nicht antiquiert. Obwohl jeder schon tausendmal grüne Laser gesehen hat, scheint es, als hätten sie sich grüne Laser gerade eben eigenständig ausgedacht. Das ist so wenig ironisch wie das alte Testament. Die Frage ist nicht: Wissen die Pet Shop Boys, dass sie eine ironische Band sind? Sondern: Kann Neil Tennant über Laser laufen wie Jesus über Wasser?

Sehr nervig dagegen: Es gibt einen Deal zwischen Neil und dem Publikum, die ersten 60 Sekunden der Songs rhythmisch zu klatschen, aufzuhören, sobald er singt, dann (von ihm angefeuert) wieder rhythmisch zu klatschen. Neil! Leipzig! Merkt ihr's denn nicht? Rhythmisch Klatschen ist böse. Eine der sieben Todsünden. Hochmut, Wollust, rhythmisch Klatschen, Gier, deines nächsten Weib, und so weiter. Aber sei's drum.

Es wird schwer sein, herauszufinden, wie die Besucher das Konzert fanden. Sie werden jetzt wochenlang nicht antworten können, weil ihre Gehirne "Go West" im Chor singen, während Fantasiearmeen vor Vektorgrafik-artigen Computerhintergründen durch sie hindurchmarschieren. Gibt es kein Entkommen? Nein, aber wer will schon entkommen. Es gibt nichts Besseres als schlechte Angewohnheiten. Oscar Wilde hat einmal gesagt, man besiege seine Laster am einfachsten, indem man ihnen nachgebe. Dieses Konzert enthält genügend Laster für sieben Leben, es ist eine Ansammlung von Songs, die man sonst nur heimlich oder sehr besoffen spielt, es ist ein Tag in der Badewanne, wenn man eigentlich zum Zahnarzt gemusst hätte, zwei zusätzliche Stück Zucker im Kaffee — es ist, was würde es besser ausdrücken: ein Pet Shop Boys-Konzert.

© SZ vom 28.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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