Neues Album von Destroyer:Kommt herbei, ihr jungen, revolutionären Kapitalisten!

Neues Album von Destroyer: Dan Bejar ist der Kopf des Bandkollektivs "Destroyer", das lange ein Geheimtipp der Indie-Szene war, mittlerweile aber immer mehr Fans hat.

Dan Bejar ist der Kopf des Bandkollektivs "Destroyer", das lange ein Geheimtipp der Indie-Szene war, mittlerweile aber immer mehr Fans hat.

(Foto: Fabiola Carranza)

Wer das neue Album der Band Destroyer hört, lernt mehr über die Schönheit und Trostlosigkeit dieser Welt als auf allen anderen gelobten Indie-Platten des Jahres.

Von Annett Scheffel

Diese Platte hat keine Zeit zu verlieren. Das Eröffnungsstück "Sky's Grey" ist nicht einfach ein Popsong, sondern eher drei verschiedene. Er beginnt mit dem unruhig flackernde Takt eines Drum-Computers, dazu ein paar getragene Pianoakkorde und eine sanfte, leicht spöttische Männerstimme. Und dann, als schon beinahe die Hälfte des Songs vorüber ist, scheppert plötzlich eine knackige Synthesizer-Bassline in den stetigen Schwebezustand der Ballade, die auch von The Human League stammen könnte, auf jeden Fall aus den Achtzigern. Die Männerstimme steigert sich währenddessen in die Rolle eines Schauspielers hinein, der einen hitzigen Panikmonolog abhält: "Give up acting? Fuck no! I'm just starting to get the good parts" - Die Schauspielerei aufgeben? Verdammt, nein! Ich fange gerade an, die guten Rollen zu bekommen.

Die Stimme gehört dem 45-jährigen Dan Bejar aus Vancouver, Kopf des kanadischen Bandprojekts Destroyer. Und die vielen schönen, verwirrend zusammenhangslosen Zeilen, die noch folgen, bevor dieser erste Song seines neuen Albums "Ken" (Merge/Dead Oceans) vorüber ist, intoniert Bejar wie ein Schauspieler, der vorm Spiegel fürs Vorsprechen probt: "I've been working on the new Oliver Twist." Am Ende wirkt es, als sei in vier Minuten ein schöner, kleiner Arthouse-Film in Fragmenten an einem vorbeigezogen. Nicht, weil es ums Schauspielern geht, sondern weil Bejars Lieder filmisch funktionieren. Die Bilder sind so genau, dass man meint, man hätte sie gesehen.

"Blue Monday" war gestern, Dan Bejar besingt lieber die Leiden eines Donnerstags

Seit über 20 Jahren ist Bejar der große Unbekannte des Indierock. Ein rätselhafter Kauz, dessen Songs von Platte zu Platte versponnener werden, immer anders klingen. Lange galt er als Geheimtipp, für die Eingeweihten eine feste Größe im Indie-Kosmos, darüber hinaus wurde er kaum wahrgenommen. Dann kletterte er 2011 mit "Kaputt" immerhin bis auf Platz 62 der amerikanischen Album-Charts. Dass sich der Bekanntheitsradius so unversehens ausdehnte, lag an der klangästhetischen Kehrtwende der Platte: Bejars bisheriger Indie-Rock öffnete sich hier den schwelgerischen Qualitäten von Yacht-Rock, Jazz und Achtziger-Pop, wie man es in dieser Mischung auch noch nicht kannte. Das letzte Album, "Poison Season", drang vor zwei Jahren noch ein bisschen weiter in Richtung jener Romantik vor, in die der unverhohlene Einsatz von schwärmerischen Saxofon-Soli deutet.

"Ken" ist bereits das elfte Destroyer-Album und klingt nun wieder kühler und geschmeidiger: nach dem düster-melodischen, britischen Indie-Pop der späten Achtziger, in dem sich auch die bleierne Schwere der Thatcher-Ära erahnen ließ, New Order, The Cure, The Smiths. Der Bass wird nach vorne gespielt, die Drum-Computer und Sequencer beben sehnsuchtsvoll. Dieser Sound, heißt es in einem Statement zur neuen Platte, sei damals für Bejar das erste Mal gewesen, "dass Popmusik über mich kam wie eine Krankheit."

Das ergibt Sinn, weil seine eigene Musik immer eine große Gemeinsamkeit mit diesem britischen Sound verband und eine Verweigerung der amerikanischen Indie-Ästhetik war. Im Herzen ist Dan Bejar Europäer. Und als dieser leiht er sich die düster-romantische New Order-Stimmung und überträgt sie in seine eigene Sound-Ästhetik. Im neuen Song "Tinseltown Swimming in Blood" scheinen die Gitarrenakkorde erst unter einem verregneten Achtziger-Manchester-Himmel festzuhängen, bis er sie Stück für Stück in eine Art Pop-Nervenzusammenbruch aus Saxophon- und Syntheziser-Melodien führt. Und "La Regle du Jeu" ist so etwas wie sein persönliches "Blue Monday", nur dass er hier die endlosen, mageren Möglichkeiten eines Donnerstags besingt: "Thursday possibilities that are slim and endless."

Was das genau zu bedeuten hat, bleibt bei seinen Texten oft im Unklaren. Auch das ist so eine typische Eigenschaft von Destroyer-Songs: Sie sind gleichzeitig provozierend direkt und sinnlich, traurig und komisch und komplett verwirrend. Es ist schwer zu benennen, was man fühlt, wenn einem zu Klavier und Jazzgitarren folgende Zeilen entgegentönen: "Come one, come all, dear young revolutionary capitalists! The groom's in the gutter and the bride just pissed herself!" - Kommt herbei, ihr jungen, revolutionären Kapitalisten! Der Bräutigam liegt in der Gosse, die Braut hat sich eingemacht. Oder wenn an anderer Stelle ein blonder Che Guevara nachts im Park Shakespeare rezitiert. Oder in einem blutverschmierten Hollywood eine Weinverkostung anberaumt wird. Trotzdem hat man am Ende von "Ken" das Gefühl, mehr über die Schönheit und Trostlosigkeit dieser Welt gelernt zu haben als auf allen anderen gelobten Indie-Platten des Jahres (Arcade Fire, The National, LCD Soundsystem). Denn egal, was genau hinter den Zeichensystemen von Bejars Liedern steckt, immer spürt man deutlich, dass er der Welt da draußen nicht entfliehen, sondern sie in diesen wahnwitzigen Geschichten besser verstehen will. Ganz so wie ein guter Film den modernen Menschen manchmal in den absurdesten Szenen besser zu packen bekommt als jede Realität.

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