Pop:Mut zum Fehler

"1115" überführen die Improvisationskunst des Krautrock in elektronische Klangwelten. Nun veröffentlicht das Münchner Duo sein politisch unterfüttertes Debüt "Post-Europe"

Von Martin Pfnür

Nein, man muss dieses dichte Geflecht an Bezügen, das 1115 im Booklet ihres Debüts "Post-Europe" versammeln, nicht zwingend durchschauen, um ihre Musik wertzuschätzen. Und doch weckt der Überbau aus Text-Fragmenten zum "Afropessimismus", Deutungen der Merkel-Raute als Symbol der "Power-of-Trinity" oder einem Foto des Sendlinger-Tor-Platzes "am Tag nach der Räumung" ein Interesse, über das sich, nicht zuletzt angesichts des Album-Titels, ein leichtes Unbehagen legt. "Der Begriff Post-Europe ist für uns weder negativ noch positiv belegt", sagt der Sänger Fehler Kuti, der sich mit seinem Künstlernamen an den nigerianischen Afro-Beat-Musiker Fela Kuti anlehnt. "Er ist eine reine Zustandsbeschreibung. Dieses Kohlsche Nachkriegsprojekt von Europa ist gescheitert, und der Begriff Post-Europe fragt nach den Bedingungen dessen, was Europa überhaupt sein soll. Was sind die verdrängten Erzählungen? Wer sind die ausgegrenzten Menschen, die uns erst dazu befähigt haben, sagen zu können: Das hier ist Europa. So betrachtet ist dieser Niedergang eine Chance, über das Format selbst nachzudenken."

Nun mag dieser Exkurs, mit dem Kuti implizit auf aufkeimende Nationalismen, geschlossene Grenzen, Ausgrenzung, Rassismus und Ressentiments hinweist, zwar eher noch ein paar Fragen mehr aufwerfen - im Hinblick auf das Arbeitsprinzip des Duos ist er jedoch durchaus aufschlussreich. Streben 1115 selbst doch nach einem künstlerischen Ausdruck, in dem, gewissermaßen als Blaupause des Begriffs "Post-Europe", "das vormals Verdrängte mitgedacht wird", wie Kuti sagt.

1115 Krautrock

Fehler Kuti und Grey forschen kulturanthropologisch mit den Mitteln des Pop.

(Foto: Buero Monaco)

"Kraut-Fehler-Rave", nennen 1115 diese Musik. Wo sich das "Kraut" schlicht auf die frei fließende Kunst der Improvisation bezieht, über die sich vor allem visionäre deutsche Bands aus den Siebzigerjahren wie Can oder Cluster einen Namen machten, verweist der "Rave" auf die rein elektronische Ausgestaltung. Bliebe noch der Fehler, den Kuti ja auch im Namen trägt: "Fertig ausproduzierte Songs arbeiten mit Verknappungen und Zuspitzungen, mit denen versucht wird, die Hörer zu affizieren. Das interessiert uns aber nicht. Wir begreifen das Musizieren und Improvisieren als soziale Praxis, und da gehören die Irritationen, die Fehler, die Störgeräusche, die Frustration mit dazu", sagt der studierte Kulturanthropologe.

Das "vormals Verdrängte", es liegt bei 1115 also genau hier. Im Fehler. Entsprechend experimentell fällt auch "Post-Europa" aus, das nach der EP "The Drowned World" bereits die zweite Veröffentlichung des Duos auf "Alien Transistor" darstellt. Final und sorgsam auf die Konservierung des Improvisations-Moments hinproduziert von Label-Chef Markus Acher und dem Multiinstrumentalisten Cico Beck, bestehen die elf Tracks zwischen pulsierender Electronica und treibender Afro-Beat-Trommelei mehr aus atmosphärisch verdichteten Loops denn aus Melodiebögen und Harmonien, während Kutis über allerlei Filter-Effekte verfremdete Stimme, krautrocktypisch eher als eine Art Instrument erklingt. Im "Suchen und Finden", im "Ausloten und Scheitern" liege ihre musikalische Basis, sagt Kuti. "Wir einigen uns am Anfang eines Auftritts lediglich auf die Beats per Minute. Alles, was folgt, entsteht in dem Moment und ist total abhängig vom Raum, der Atmosphäre und der (Ent-)Spannung der Anwesenden." Es dürfte ein spannender Abend werden, wenn 1115 in der Roten Sonne als Live-Act in die soziale Praxis übergehen. Fehler inklusive.

1115, Montag, 15. Mai, 20 Uhr, Favorit Bar, Damenstiftstraße 12 ("Anhörung" des Albums); Donnerstag, 18. Mai, 21 Uhr, Rote Sonne, Maximiliansplatz 5

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