Pop:Marsmobil

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(Foto: Compost Records)

Warm oder kalt? Wie eine Stadt gefühlsmäßig temperiert ist, lässt sich sehr gut an der Musik messen, die sie hervorbringt. Im Büro der Plattenfirma Compost führte die Gruppe Marsmobil vor, dass München alles andere als kühl ist. Wie Paris.

Von Andrian Kreye

Es gibt unterschiedliche Methoden, die emotionale Temperatur einer Stadt zu messen. Elektronische Musik ist gar nicht die schlechteste, weil es sich dabei um ein immanent temperaturloses System handelt, das nur unter größtmöglichen musikalischen Anstrengungen aufgeheizt oder heruntergekühlt werden kann. Ein Konzert, das die Münchner Gruppe Marsmobil diese Woche im Büro ihrer Plattenfirma Compost gegeben hat, war ein Musterfall für die Behauptung, dass sich die emotionalen Temperaturen der elektronischen Musikorte ziemlich eindeutig in "kalt" (Detroit, Düsseldorf, Berlin) und "warm" (Wien, Paris, München) aufteilen lassen.

Marsmobil ist eigentlich keine Gruppe, sondern Roberto Di Gioia, der eine erstaunlich zweiteilige Karriere als Popproduzent (Max Herre, Joy Denalane, DJ Hell) und Jazzpianist (Klaus Doldingers Passport, Till Brönner, Web Web) gemacht hat. Vor der achtjährigen Pause waren Marsmobil Anfang der Nullerjahre schon mal ein Ausläufer der sommersonnigen "Glo Fi"-Elektronikwelle, die Air in Paris angefangen haben und Toro y Moi in Kalifornien derzeit fortsetzen.

Beim Bürokonzert stand Di Gioia nun an einem Tisch voller anachronistischer Elektronikinstrumente, einem Korg VC-10-Vocoder zum Beispiel, der seine Stimme in freundliches rosa Rauschen verwandelt, oder einem Yamaha RX-11-Schlagzeugcomputer von 1984, der dementsprechend spitzen Druck erzeugt. Neben ihm spielte der Gitarrist Ferdinand Kirner, der von melancholischen Amerikana-Flächen bis zum aufwallenden Jazzsolo schon weiß, wie er seinen Platz in einem Stück findet, das so konsequent durchelektronisiert gar nicht viel Platz lässt.

Es ging natürlich auch darum, das neue Album "Fairytales of the Supersurvivor" (Compost) vorzustellen. Das hat der Wiener DJ Peter Kruder mitproduziert, was zwangsläufig eine Verdoppelung der musikalischen Freundlichkeit bedeutet. "Heels Much Too High" ist ein ganz guter Einstieg in das Album, das mit vielen subtilen Anspielungen auf die Popgeschichte gespickt ist, die jeder für sich selbst herausfinden kann. Für die Geburtsjahrgänge Mitte Sechziger bis Ende Achtziger gibt es jedenfalls einiges an "Ah, ja genau"-Momenten. Eben das ist natürlich sehr zeitgemäß.

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